Auf den Märkten gibt es zurzeit zwei bemerkenswerte Entwicklungen: Einerseits deuten die Indikatoren für das reale Wirtschaftswachstum auf ein gleichmäßiges, reales globales Wachstum um etwa 3% hin. Demgegenüber steht ein Rückgang der globalen Konsumentenpreisinflation seit Jahresanfang. Die Reflationsphase, also der allgemeine Anstieg der Inflationsraten in der zweiten Jahreshälfte 2016, scheint (vorerst) zu Ende zu sein.
Niedrige Inflation günstig für Märkte
Eine niedrige, gleichmäßige Inflation stellt allgemein ein günstiges Umfeld für die Märkte dar. Allerdings hat in den vergangenen Monaten eine fallende Dynamik eingesetzt. Die globale Konsumentenpreisinflation ist von 2,3% im Jahresabstand im Jänner auf 1,8% im Mai gefallen. In den entwickelten Volkswirtschaften ist sie im selben Zeitraum von 1,9% auf 1,7% gefallen. Diese Bewegung wird bis dato als Noise, also von zufälligen Schwankungen getrieben (Stichwort: Ölpreis), gesehen. Die Inflation konsolidiert sich auf einem niedrigen Niveau. Auch wenn sie nicht ansteigt, das wirtschaftliche Umfeld spricht gegen einen anhaltenden Rückgang.
Arbeitslosenraten fallen
Hauptargument gegen einen weiteren Niedergang der Preise: Das vergleichsweise gute Wirtschaftswachstum führt zu fallenden Arbeitslosenraten auf globaler Ebene. Findet dieser Trend eine Fortsetzung, wird in immer mehr Ländern jene Untergrenze bei der Arbeitslosenrate erreicht, ab der der Inflationsdruck zunimmt (die Non-Accelerating-Inflation Rate of Unemployment, kurz: NAIRU). Laut den Schätzungen der OECD ist diese Grenze in den USA, Großbritannien, Deutschland, Japan, Australien und Schweden bereits unterschritten. Wir müssen uns also nur gedulden, bis die Inflation in Richtung Zentralbankziel ansteigt. Das kann Jahre dauern.
Tiefe Zinsen
So eigenartig das klingen mag: Das Zinsniveau könnte jedoch nach wie vor zu hoch sein. Die jüngste Erfahrung zeigt, dass Zinsen auch unter die Null-Prozent-Marke fallen können. Damit ist das Konzept des sogenannten Zero-Lower-Bound (Null-Prozent-Zinsuntergrenze) nicht vollkommen obsolet. Mittlerweile spricht man vom Effective-Lower-Bound (Effektive Zinsuntergrenze). Hier stoßen die Zinsen im negativen Bereich auf eine absolute Untergrenze. Wenn das erforderliche Zinsniveau für einen anhaltenden Anstieg der Inflation jedoch unter dieser Untergrenze liegt, bleibt die Inflation niedrig. Praktische Auswirkung: Das Rendite-Niveau von Anleihen bleibt in diesem Fall ebenso niedrig.
Neutrales Zinsniveau als Zinsobergrenze
Es gibt auch eine theoretische Obergrenze bei den Zinsen: Das neutrale Zinsniveau. Steigen die Zinsen über dieses Niveau an, wirken die Zinsen dämpfend auf das Wirtschaftswachstum und die Inflation (restriktives Zinsniveau). Aktuelle Schätzungen der Fed beziffern die reale Zinsobergrenze für die USA bei lediglich 0,4% (Eurozone: minus 0,5%!). Je niedriger die Inflationsrate, desto geringer das neutral nominelle Zinsniveau (reales Zinsniveau plus Inflation). Bei einer Inflation von 2% beträgt es in den USA 2,4% (0,4% reales neutrales Niveau plus 2% Inflation). In den USA befindet sich der Leitzins aktuell in einer Bandbreite von 1% – 1,25%. Gleichzeitig indiziert die Vorsitzende des Offenmarktausschusses (Janet Yellen) eine Fortsetzung des Zinsanhebungszyklus. Je näher der Leitzinssatz dem geschätzten neutralen Zinsniveau von 2,4% rückt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Leitzinsen darüber hinaus angehoben werden könnten.
Praktische Auswirkung: Der Unterschied zwischen lang laufenden und kurz laufenden Renditen von Staatsanleihen in den USA nimmt immer mehr ab. Allgemein ist die Steilheit der Zinskurve ein sehr guter Konjunkturindikator. Die kurz laufenden Renditen steigen, im Einklang mit den Leitzinsanhebungen, an. Die lang laufenden Renditen, als Durchschnitt der zukünftigen kurz laufenden Renditen, beginnen bereits eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums und der Inflation einzupreisen.