
„The Great Transformation“ – unter diesem Generalmotto standen beim heurigen Forum in Alpbach die Gespräche und Paneldiskussionen der versammelten Spitzenpolitiker, Wirtschaftslenker und Wissenschafter aus aller Welt. Insgesamt 4.134 Teilnehmer aus 62 Ländern diskutierten – teilweise vor Ort und teilweise online – von 18. August bis 3. September mögliche Wege aus der Coronakrise und globale Zukunftsszenarien.
Die beherrschenden Themen waren dabei die Energiewende und Dekarbonisierung der Wirtschaft, Europas nötige Aufholjagd in Sachen Digitalisierung sowie die Anforderungen an Arbeits- und Kapitalmarkt in der neuen Corona-Welt.
So forderte der OECD-Chef Mathias Cormann umfangreichere und global koordinierte Maßnahmen gegen den Klimawandel. Eine entscheidende Rolle spiele dabei die Reduktion der Treibhausgase und die angepeilte Dekarbonisierung der Gesellschaft. Österreich sei noch zu 70 Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig, die EU zu rund 80 Prozent, so die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. Ziel der EU ist derzeit eine Reduzierung der Treibhausgase auf 55 Prozent des Niveaus von 1990 bis zum Jahr 2030. Der Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix soll dafür auf 40 Prozent erhöht werden. Bis 2050 will die Union überhaupt klimaneutral sein.
Diese Veränderung erfordert aber große Investitionen. „Alleine, um die Transformation im Energiesektor zu schaffen, sind bis 2030 jährlich 350 Milliarden Euro an Investitionen nötig“, sagte die EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuiness in Alpbach. Bis Ende des Jahres will die EU dafür Kriterien formulieren, welche Investitionen als nachhaltig eingestuft werden.
Kapitalmarktunion und Finanzbildung nötig für Investitionen in Klimaziele
McGuiness betonte in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit, eine EU-Kapitalmarktunion zu schaffen. Ein großer Teil der Investitionen zur Erfüllung der EU-Ziele wird aus dem privaten Sektor kommen müssen, der europäische Finanzrahmen muss daher neu durchdacht werden. „Wir wollen eine starke Kapitalmarktunion schaffen, die es erlaubt, dass mehr Gelder in gesunde Unternehmen fließen“, so die Kommissarin.
Damit verbunden ist auch eine Stärkung von Kapitalmarktkultur und finanzieller Bildung in Europa. „Wir brauchen einen viel größeren Fokus auf finanzielle Bildung – und zwar schon vom ganz jungen Alter an, ähnlich wie bei Sprachen. Bildung ist Macht“, so McGuiness. Nur Bildung ermögliche den Menschen, ihre eigenen Entscheidungen im Finanzbereich treffen können.

Ein Problem sei dabei, dass Menschen immer mehr sparen, wenn die Zeiten so wie jetzt unsicher sind, erklärte der Erste-Group-Chef Bernhard Spalt. Finanzielle Bildung brauche es daher in allen Bereichen. In der Schule solle die Thematik in verschiedene Fächer aufgeteilt einfließen. Ideologische Schranken würden zudem oft das Investitionswachstum verhindern: „Politiker müssen ein Framework schaffen, in dem sicher investiert werden kann“, forderte der Spitzenbanker, und dürften nicht aus ideologischen Gründen davor zurückschrecken.
Auch bei Unternehmen sei oft nicht die Liquidität das Problem, sondern dass sie mehr Eigenkapital brauchen, so Spalt. „Die Wirtschaft fährt wieder hoch, wir hoffen auf eine sehr robuste Erholung. Cash ist vorhanden, aber Firmen brauchen den in Form von Equity, um wieder zu wachsen zu beginnen.“ Hier hätten die vielen familiengeführten Unternehmen in Österreich aber Angst, dass ihnen ein Geldgeber hineinregieren würde, wenn er in ihr Unternehmen einsteige, bedauerte Spalt. Partizipation sei aber nicht das Ende des Geschäfts, so der Erste-Chef, „sie wird dir helfen, weiter zu wachsen.“

Junge Gründer bekämen zudem oft keine Bankkredite und sind daher auf einen funktionierenden und risikobereiten Kapitalmarkt angewiesen, so Maria Demertzis, Direktorin des Brüsseler Bruegel-Thinktanks. Derartige Investitionen sollten von der Politik gefördert, und nicht als Spekulation gesehen werden, forderte auch der Forum-Alpbach-Präsident und Ex-Erste-Group-Chef Andreas Treichl. Er wäre für den Anfang schon zufrieden, wenn Finanzierungen aus dem Kapitalmarkt von rund 25 auf wenigsten 35 Prozent anstiegen würden. In den USA herrsche derzeit das umgekehrte Verhältnis wie in Europa: Dort kommen rund 75 Prozent der Gelder an Firmen aus dem Kapitalmarkt und nur 25 Prozent von den Banken, so Treichl.
Auch der Anleihenmarkt soll bei den grünen Investitionen eine immer stärkere Rolle spielen. So soll die Republik Österreich im ersten Halbjahr 2022 erstmals einen sogenannten „Green Bond“, also eine Anleihe zur Kapitalbeschaffung für Maßnahmen gegen Umwelt- und Klimaschäden, begeben, sagte Finanzminister Gernot Blümel am Rande des Forums zur APA.
Der OeNB-Gouverneur Robert Holzmann forderte zudem gezielte Infrastrukturinvestitionen der öffentlichen Hand, um der Wirtschaft auf ihrem Weg zur Klimaneutralität zu helfen. Damit verbunden seien auch Chancen für Weiterentwicklung, Digitalisierung und Innovation. „Es gilt, die Dekarbonisierung dafür zu nutzen, die in Österreich schon gut entwickelten Technologie und Verfahren zu benutzen, um Österreich zu einem der führenden Länder Europas in der Umsetzung solcher Technologien zu machen“, forderte der Notenbanker.
Experten orten für Europa Aufholbedarf bei erfolgreichen Umsetzungen von Innovationen
Europa habe dabei im internationalen Vergleich einen gewissen Aufholbedarf bei Digitalisierung, Innovation und Entwicklung. Wirtschaftsministerin Margrate Schramböck sieht vor allem bei der unternehmerischen Umsetzung von Innovationen einen Rückstand. Viele Erfindungen werden zwar in Europa gemacht, diese müssten aber verstärkt in Spin-Offs zu erfolgreichen Unternehmen werden. „Was wir jetzt vermissen, ist der Transfer von Basic Applied Sciences in Unternehmen. Hier müssen Österreich und Europa stärker werden“, forderte die Ministerin in Alpbach. In der Vergangenheit habe Europa hier Fehler gemacht, und etwa Telekom-Firmen und damit auch Know-How verkauft.
Klimaschutzministerin Gewessler führte in ähnlicher Weise an, dass Europa fast den ganzen Photovoltaik-Sektor China überlassen habe. Europa sollte nun die wirtschaftlichen Chancen nutzen, die es durch Technologieführerschaft in der Energiewende habe, so Gewessler. Allein in Österreich gebe es 2.700 Grüne Energietechnik-Unternehmen, die vor der Pandemie hohe Wachstumsraten von etwa sechs Prozent gehabt hätten.

Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess zeigte sich über Europas Nachhinken im Digitalisierungsprozess besorgt: „Wir müssen von den Wettbewerbern lernen, die anders denken. Wenn wir nicht schnell genug sind, werden wir Probleme bekommen“. Dieser Rückstand hänge auch mit einem Kulturunterschied zusammen. So werden Daten in Europa als etwas Persönliches gesehen, in den USA und China hingegen als Grundlage für Geschäftsmodelle und Innovationen. Eine führende Rolle bescheinigt Diess Europa aber im Kampf gegen den Klimawandel. Dies eröffne auch viele Möglichkeiten für Innovationen und neue Geschäftsfelder. VW sehe im Kampf gegen den Klimawandel nicht Bedrohung, sondern eine Möglichkeit.
Aufholbedarf in der Branche sieht der Volkswagenchef in Europa in Sachen Elektromobilität – gegenüber US-Konzernen wie Tesla aber auch gegenüber chinesischen Autobauern. ÖBB-Chef Andreas Matthä sieht hingegen den verstärkten Umstieg auf die Bahn als logischen Weg zu den Klimazielen.
„Ein Umstieg von der Straße auf die Bahn wirkt sofort für den Klimaschutz“, erklärte Matthä und fordert Kostenwahrheit im Verkehrssektor. Er unterstütze wie alle anderen europäischen Bahnen den Vorschlag der EU-Kommission eines Emissionshandelssystems (ETS) für den Verkehr. Der ÖBB-Chef schlägt vor, dass die Einnahmen aus diesem ETS-System zumindest teilweise zweckgebunden für Ausbau und Digitalisierung des Bahnsystems verwendet werden.
Weitergehen dürfte jedenfalls die während der Lockdowns rasant beschleunigte Digitalisierung der Arbeitswelt. Telearbeit werde bleiben, auch wenn auch nicht so ausgeprägt wie zum Höhepunkt der Pandemie, ist OECD-Chef Cormann überzeugt: „Das Pendel wird zurückschwingen, aber nicht so weit wie es war“. OeNB-Chef Holzmann sieht noch große Herausforderungen auf den Arbeitsmarkt zukommen. „Wichtig ist es, die verlorenen Jobs auf dem Arbeitsmarkt wieder herzustellen und vor allem auch Langzeitarbeitslose wieder zu integrieren“, so Holzmann.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.
„So werden Daten in Europa als etwas Persönliches gesehen, in den USA und China hingegen als Grundlage für Geschäftsmodelle und Innovationen. “ – Nun sieht aber in China auch anders aus mit den Daten….wie es die neusten Entwicklungen eindeutig zeigen.