Europa steht vor gravierenden demografischen Veränderungen. Bis 2021 wird der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter voraussichtlich zurückgehen, während ältere Menschen voraussichtlich einen steigenden Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen werden. Unsere Grafik illustriert diese bevorstehende Entwicklung auf Basis der Prognose des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat).
Was augenscheinlich ist: Der Anteil der über 80-Jährigen an der EU-Bevölkerung wird demzufolge von 6,0% auf 14,6%, um das Zweieinhalbfache, steigen. Die über 65-Jährigen werden Ende des Jahrhunderts 31,3% der EU-Bevölkerung ausmachen. Derzeit liegt ihr Anteil nur bei 20,8%. Die Bevölkerungsgruppe im Alter von 15 bis 65 Jahren schrumpft dagegen im selben Zeitraum um etwa 10 Prozentpunkte.
Die „neue“ demografische Realität
Der Anstieg des relativen Anteils älterer Menschen lässt sich durch eine längere Lebensdauer erklären – ein Muster, das sich seit mehreren Jahrzehnten zeigt, da die Lebenserwartung gestiegen ist. Diese Entwicklung wird oft als „Altern an der Spitze“ der Bevölkerungspyramide bezeichnet. Die über viele Jahre konstant niedrige Fertilität hat zur Alterung der Bevölkerung beigetragen. Wobei weniger Geburten zu einem Rückgang des Anteils junger Menschen an der Gesamtbevölkerung führten.
Staat gibt mehr als ein Fünftel des Budgets nur für Pensionen aus
Die demografische Veränderung hat jetzt schon massive Auswirkungen auf die Finanzierung der Pensionssysteme. In Österreich werden aus dem Bundesbudget 16,7 Milliarden Euro in das Pensionssystem gepumpt (Quelle: Budget Republik Österreich 2024). Das ist mehr als ein Fünftel des gesamten Bundesbudgets. Finanziert werden die steigenden Zuschüsse vorerst über höhere Staatsschulden. Das sind natürlich nicht die gesamten ausgezahlten gesetzlichen Pensionen in Österreich. Diese lagen 2023 bei etwa 57 Milliarden Euro laut dem Jahresbericht der Sozialversicherung. Die Beiträge reichen aber nicht, um die Auszahlungen komplett zu decken – weswegen der Bund die Differenz deckt, um die Pensionshöhe zu garantieren.
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Jeder Euro, der in die Finanzierung des Lebensabends einer immer größer werdenden Personengruppe fließt, fehlt dort, wo das Kapital für Innovationen benötigt wird, etwa in der Forschung und in der Bildung. Falls nicht reformiert wird, führt das möglicherweise dazu, dass der Staat (real) über kurz oder lang doppelt so viel Geld aus dem Budget zuschießen muss wie heute, in 30 Jahren bereits dreimal so viel, befürchten Expert:innen.
Die staatliche Vorsorge wird meist über ein Umlageverfahren organisiert, so auch in Österreich. Wesentlich ist für das Umlageverfahren, dass es auf einem ungeschriebenen „Solidar-Vertrag“ zwischen den Generationen beruht. Die im Erwerbsleben stehende Bevölkerung kommt für die anfallenden Pensionen auf. Eine Alternative dazu ist das Kapitaldeckungsverfahren, bei dem – analog zur privaten Pensionsvorsorge – jeder Aktive selbst für seine Rente anspart.
Umlageverfahren wird immer mehr strapaziert
In Europa dominiert das Umlageverfahren. Einige Länder bevorzugen mittlerweile eine Mischform beider Systeme. Ein Teil der Beiträge läuft in ein Umlageverfahren, ein anderer in ein kapitalgedecktes System. In Großbritannien und der Schweiz ist die Rolle des kapitalgedeckten Systems bedeutend. In Schweden ist es zwar vorhanden, aber von untergeordneter Bedeutung (Quelle: www.agenda-austria.at).
Auch wenn die Bedeutung und die Akzeptanz des Umlageverfahrens außer Streit steht, an einem Ausbau der kapitalgedeckten Vorsorge führt langfristig kein Weg vorbei. Denn die Zukunftsaussichten dieses Systems schauen nicht besonders rosig aus. Mit der Pensionierung der Babyboomer:innen-Generation in den nächsten Jahrzehnten kommen weit mehr Pensionist:innen auf eine im besten Fall gleichbleibende Zahl von Erwerbstätigen.
In der politischen Diskussion fällt oftmals der Anspruch auf „sichere Pensionen“. Wer hört nicht gerne, dass der Staat für ihn bzw. sie Vorsorge getroffen hat. Dennoch stehen Maßnahmen zur Diskussion, die darauf schließen lassen, dass eine ausreichende Vorsorge „in alle Ewigkeit“ wohl nicht gegeben ist. Wenn etwa von einem höheren Pensionsantrittsalter bzw. die Anpassung an die steigende Lebenserwartung die Rede ist. Oder wenn eine Angleichung des Pensionsalters von Männern und Frauen verlangt wird und Expert:innen höhere Beiträge zur Pensionsversicherung oder einen höherer Beitrag aus dem Bundesbudget ansprechen. Dies alles deutet darauf hin, dass eine Ergänzung zum Umlageverfahren langfristig unausweichlich ist.
Bereits über eine Million Pensionskassen-Anwartschaftsberechtigte
Nun sind die Wahlen in Österreich geschlagen. Eine der Aufgaben, vor der die nächste Bundesregierung steht, wird es sein, die Herausforderungen bei der Altersvorsorge anzunehmen und Lösungen zu entwickeln. In Österreich hat sich ergänzend zum staatlichen Umlagesystem seit Jahrzehnten ein System aus privater und betrieblicher Vorsorge etabliert. Bei den österreichischen Pensionskassen gibt es mehr als eine Million Anwartschafts- und Leistungsberechtigte (Quelle: Bericht FMA zur Lage der österreichischen Pensionskassen, 2. Quartal 2024). Damit hat in etwa bereits jede:r Vierte aller unselbständig Erwerbstätigen in Österreich (23,39%) eine Anwartschaft auf eine derartige Pensionsleistung. Etwa 148.000 Personen in Österreich beziehen bereits eine ergänzende Pension aus der betrieblichen Vorsorge, der zweiten Säule. (Anmerkung: Die Zahlen der Abfertigungsanwartschaften sind hier nicht berücksichtigt.)
Der Kapitalmarkt spielt dabei eine entscheidende Rolle: Das Vermögen der Pensionskassen wird nämlich zu 95% indirekt über Investmentfonds gehalten. Durchgerechnet in Veranlagungsklassen machen Aktien mit rund 40% den größten Anteil aus, gefolgt von Schuldverschreibungen mit 33%.
Initiative Kapitalmarkt Österreich erhebt Forderungen
Foto Veranstaltung Wiener Börse anlässlich Präsentation Positionspapier und Podiumsdiskussion vom 17.9.2024 (v.li.n.re.): Stefan Maxian (RBI, ÖVFA), Paul Severin (Erste Asset Management, ÖVFA), Sabine Kirchmayr-Schliesselberger (Institutsvorständin für Finanzrecht, Universität Wien), Fritz Mostböck (Erste Group, ÖVFA), Christoph Boschan (CEO Wiener Börse), Thomas Url (Senior Economist, WIFO)
Foto: Jakob Huber, Lizenzfreie Verwendung, Fotorechte bei ÖVFA
Aus gutem Grund sieht daher die Finanzindustrie Reformbedarf. Sie ortet Möglichkeiten, wie das System mit Hilfe des Kapitalmarktes gestärkt werden könnte. Aus dem Positionspapier der Initiative Kapitalmarkt Österreich*, das im September im Rahmen einer Publikumsveranstaltung an der Wiener Börse präsentiert wurde, wurden folgende Vorschläge zur Förderung der betrieblichen und privaten Vorsorge für alle Bürger:innen Österreichs erhoben:
- Künftig sollen nicht nur Arbeitgeber:innen, sondern auch Arbeitnehmer:innen ihre Beiträge zur Vorsorge steuerlich absetzen können.
- Zudem sollte jede Person die Möglichkeit haben, in der zweiten Säule vorzusorgen, ohne darauf angewiesen zu sein, dass Arbeitgeber:innen einen Pensionskassenvertrag unterzeichnet haben (sogenannter Generalpensionskassenvertrag). Eine Abwicklung über die Betrieblichen Vorsorgekassen wäre zum Beispiel mit geringem Aufwand möglich.
- Auch das Vorsorgekonto (Vorsorgedepot) mit einer KEST-Freistellung für Veräußerungsgewinne von Wertpapieren bei einer mehrjährigen Behaltedauer wäre eine sinnvolle Ergänzung, um die private Vorsorge (dritte Säule) zu forcieren.
* Die Initiative wird von den acht Organisationen Aktienforum, CFA Society Austria, CIRA, ÖVFA, VÖIG, Zertifikate Forum, WKÖ Pensions- und Vorsorgekassen und Wiener Börse unterstützt.
Mit der Realisierung dieser Vorschläge wären nicht nur Banken, Versicherungen sowie Pensions- und Vorsorgekassen besser eingebunden. Klar wäre, dass die stärkere Verankerung der Vorsorge am heimischen Kapitalmarkt einen starken Hebel für den gesamten Kapitalmarkt (österreichische Staatsanleihen, Unternehmensanleihen, Aktien) zur Folge hätte. Das wäre angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre eine durchaus willkommene Begleiterscheinung für die gesamte Finanzindustrie.
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Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.