In der ersten Hälfte dieses Jahres verlangsamte sich die Wirtschaftsaktivität im Euroraum. Hervorzuheben sind die unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Sektoren und Ländern. So war das Wachstum im Dienstleistungssektor stärker als im verarbeitenden Gewerbe und in den südlichen Ländern – wie Italien und Spanien – stärker als in Deutschland und Frankreich.
Euroraum: Reales BIP-Wachstum Q1 im Quartalsabstand
Quelle: Eurostat, Daten per 13.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Aus volkswirtschaftlicher Perspektive zeigt sich vor allem Spanien im Unterschied zu anderen Ländern im Euroraum resilient. Auf nationaler Ebene bereitet sich das südeuropäische Land aber nun auf eine heiße, enge und unberechenbare, vorgezogene Neuwahl vor.
Was war geschehen?
Nach schlechtem Abschneiden bei den Regional- und Kommunalwahlen am 28.Mai 2023 hat Spaniens amtierender Premierminister Pedro Sánchez von der Partido Socialista Obrero Español-Partei (kurz: PSOE) vorgezogene Neuwahlen für den 23. Juli ausgerufen. Somit findet die fünfte Parlamentswahl in den vergangenen neun Jahren nun im Sommer, fünf Monate früher als ursprünglich geplant, statt. Der seit 2019 in einer Koalition mit der Partei Podemos regierende Sánchez stand in letzter Zeit trotz der relativ starken Leistung der spanischen Wirtschaft und einer Reihe arbeitnehmerfreundlicher, gesetzlicher Maßnahmen immer wieder in der Kritik.
Um ein Gefühl zu bekommen, wie die politische Landschaft nach dem Wahlgang im Juli aussehen könnte, kann man die Region Valencia heranziehen. In der Region rund um die Hafenstadt an der Südostküste Spaniens haben gut zwei Wochen nach dem Ausgang der Regionalwahlen die Partido Popular (kurz: PP) und die Partei Vox ein Grundsatzabkommen vereinbart.
Erneute Änderung der politischen Landschaft nach der Wahl in Spanien?
Die jüngsten Meinungsumfragen deuten derzeit darauf hin, dass eine Änderung der Wahllandschaft in Spanien durchaus möglich ist und die Region Valencia als gute Indikation für gesamt Spanien herangezogen werden kann. Beachtlich ist jedoch, wie sich die Umfragewerte der diversen Parteien im Zeitablauf verändert haben. Anfangs zeigten die Umfragen einen komfortablen Vorsprung für die wichtigste Oppositionspartei, die Partei Partido Popular mit Alberto Núñez Feijóo, als Spitzenkandidat. Doch in letzter Zeit hat sich dieser Trend deutlich umgekehrt und der Abstand zwischen den beiden stimmenstärksten Parteien (PP & PSOE) ist deutlich kleiner geworden. Somit wird auch der Wahlausgang unsicherer.
Wahlumfragen im Zeitverlauf
Quelle: Nationale Umfrageinstitute, Daten per 13.07.2023
Letzten Umfragen zufolge liegt die PP mit einer etwa 34%-Zustimmung in Führung, aber der Abstand zu der PSOE mit circa 29%, ist deutlich geringer geworden. Um den dritten Platz konkurrieren, mit einigem Abstand, die Parteien Vox (zuletzt etwa 14% der Stimmen) und Sumar. Aktuell liegt die Vox mit einem bescheidenen Vorsprung voran.
Doch in Spanien bedeuten Stimmen nicht unbedingt Parlamentssitze. Grund dafür ist das gültige proportionale Wahlrecht im südeuropäischen Land. Die Größe der Wahlkreise variiert von sehr großen (bspw. Madrid, 37 Sitze) bis hin zu sehr viel Kleineren (u.a. Ceuta) mit jeweils einem Sitz. Die formale Hürde für den Einzug ins Parlament liegt bei 3% der Wählerstimmen. Daraus resultierend ist aber in kleineren Wahlkreisen ein viel höherer Stimmanteil erforderlich, um Abgeordnete ins Parlament zu wählen. Insofern können kleine Unterschiede bei den Stimmen einen viel größeren Unterschied in Bezug auf Mehrheiten im Parlament auslösen. Dies stellt einen Unsicherheitsfaktor dar und macht diese Wahl zu einem knappen Rennen.
Drei Wochen vor der Wahl deuten die Meinungsumfragen jedoch auf einen Regierungswechsel hin. Mit durchschnittlich 30% in den diversen nationalen Umfragen würde die Partei Partido Popular 138 Sitze im Parlament beanspruchen. Sollte sich nun die Vox (circa 14% aktuell der Stimmen) auf die Seite der PP schlagen, was im Moment das Basisszenario darstellt, würden die Koalition PP-Vox zusammen auf etwa 180 Sitze kommen – vier mehr als eine Regierungsbildung benötigt.
Entscheidungsfaktor Sommer?
Für viele Beobachterinnen und Beobachter birgt jedoch weniger das prognostizierte knappe Rennen Grund zur Sorge, sondern eher das gewählte Wahldatum. Eine richtungsweisende politische Entscheidung an einem Sonntag, mitten im Hochsommer, in welcher mindestens 10 Millionen der 37 Millionen wahlberechtigten Personen auf Urlaub sind, stellt einen unberechenbaren Unsicherheitsfaktor dar. Hervorzuheben hier, ist die mit der Wahl behaftete Unklarheit, wie viele Wählerinnen und Wähler nicht in ihren Heimatstädten sind und zur Stimmabgabe zurückkehren oder per Briefwahl abstimmen werden.
Kritische Beobachterinnen und Beobachter sehen den vorgezogenen Wahltermin von PSOE-Parteivorsitzenden Sanchez als Ziel, die Wahlbeteiligung zu drücken und so eher zu seinem Vorteil zu drehen. Insofern lässt sich zusammenfassen, dass zusätzlich zu den unzähligen Variablen die entscheidend in dieser Wahl sind, der ungewöhnliche Zeitpunkt ebenso eine große Rolle bei der Ermittlung des Ergebnisses spielen könnte.
Alte Bekannte oder neues Terrain?
Als Basisszenario zeichnet sich ein Wechsel in der Regierung mit der Wahl am 23. Juli dieses Jahres ab. Eine formelle Koalition zwischen der Partei PP und der Vox ist zwar das wahrscheinlichste Szenario, aber es ist auch nicht auszuschließen, dass die PP allein regieren könnte, jedoch mit parlamentarischer Unterstützung von Vox. Somit würde sich Spanien auf ein neues politisches Terrain begeben. Die daraus resultierenden politischen Änderungen sind noch nicht absehbar, hingegen lassen sich ein paar Punkte aus den öffentlichen Äußerungen von PP-Politikerinnen und Politiker schließen. In seinen letzten Auftritten machte sich PP-Parteichef Alberto Núñez Feijóo für Maßnahmen zur Förderung von Kapitalinvestitionen, zur Steigerung der Produktivität und strengeren Haushaltskontrollen stark.
Im Alternativszenario bleibt die derzeitige Regierung unter Pedro Sánchez an der Macht. Die Agenden der derzeitigen Regierungen waren hauptsächlich durch die Pandemie bestimmt und insofern von sozialen Themen dominiert. So wurde beispielsweise eine Pensionserhöhung von 9% und eine Erhöhung des Mindestlohnes um 8% in der aktuellen Regierungsperiode beschlossen. Fiskalische Disziplin standen zum Teil eher im Hintergrund und spielten eine untergeordnete Rolle. Für viele Beobachterinnen und Beobachter liegt aber genau in der fiskalischen Konsolidierung die wahre Herausforderung für Spanien.
Wahre Aufgabe: Fiskalische Konsolidierung!
Wie am Beginn dieses Blog-Beitrages dargestellt, zeigte sich die Spanische Wirtschaft zuletzt resilient. Besonders hervorzuheben hier ist der starke Arbeitsmarkt und der Tourismus-Sektor, auch wenn sich zuletzt auf dem Arbeitsmarkt erste Anzeichen einer Verlangsamung sichtbar machten. Was den Ausblick betrifft, so schätzt die Europäische Kommission in ihrem „Spring 2023 Economic Forecast“ (Erscheinungsdatum: 15.05.2023) für Spanien ein reales Wachstum von 1,9% im Jahr 2023 und 2,0% im Jahr 2024.
Reales BIP-Wachstum im Vergleich zum Vorjahr
Quelle: Eurostat, Daten per 13.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Trotz des jüngst starken Wachstums – und boomender Steuereinnahmen – bleibt das Haushaltsdefizit relativ hoch, da die Ausgaben mit der Inflation Schritt gehalten haben. Eine weitere Senkung des Defizits in der Zukunft könnte eine schwierige Herausforderung darstellen, da die Wahlen kurz vor Verhandlungsbeginn des Haushaltsbudgets 2024 stattfinden und die kommende Regierung möglicherweise auf die externe Unterstützung von Regionalparteien angewiesen ist. Dies könnte zusätzlichen Druck auf die Ausgaben ausüben.
Haushaltsdefizit in % des BIP von Spanien & Durchschnitt im Euroraum
Quelle: OECD, Daten per 13.07.2023, Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Ausblick und Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich ein knappes Rennen bei den vorgezogenen Wahlen im Juli abzeichnet. Das Basisszenario stellt einen Wechsel der politischen Landschaft dar, mit einer PP-Regierung und einer möglicherweise notwendigen Unterstützung der Partei Vox. Aber auch hier gibt es gewisse Unsicherheitsfaktoren. Diese wären unter anderem die aktuellen Trends bei den Wahlumfragen, der ungewöhnliche Zeitpunkt der Wahl und die Unsicherheit über die zukünftige Fiskalpolitik. So lässt sich beurteilen, dass Spanien im Moment eher geringe, aber steigende politische Risiken und mittelfristig moderate, fiskalpolitische Risiken aufweist.
Die oben genannten Punkte könnten mitunter dafür verantwortlich gewesen sein, dass sich der Renditeaufschlag einer 10-jährigen spanischen Staatsanleihe zu einer 10-jährigen deutschen Bundesanleihe, aber auch zu anderen vergleichbaren europäischen Ländern unterdurchschnittlich entwickelt hat.
Renditeaufschlag: Entwicklung seit Jahresanfang in Basispunkten
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen, Daten per 13.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Auf relativer Basis lässt sich aber festhalten, dass sowohl die eher gering, aber steigenden politischen Risiken als auch die moderaten mittelfristigen fiskalpolitischen Risiken, niedriger erscheinen zu manchen vergleichbaren Ländern. Spanische Staatsanleihen können somit durchaus ein attraktives Investment darstellen.
Erläuterungen zu Fachausdrücken finden Sie in unserem Fonds-ABC.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.