Inmitten der täglichen Routine vergessen wir oft zu schätzen – zumindest ich tue das – wie außergewöhnlich unser Planet doch ist! Es gibt etwa 8,7 Millionen verschiedene Arten auf der Erde. Und trotz aller technischen Errungenschaften haben wir noch immer nicht alle entdeckt. Es gibt Ecken auf der Welt – wie tiefe Ozeane und dichte Wälder -, in denen die Natur ihre Geheimnisse gut verborgen gehalten hat.
Das große und bunte Mosaik
Alle Arten zusammen bilden ein großes buntes Mosaik – die biologische Vielfalt. Jedes Mosaiksteinchen – und sei es noch so klein und unscheinbar – muss an seinem Platz bleiben. Sonst wird das Bild verzerrt, das Gleichgewicht ist nicht mehr gegeben.
In unserem Ökosystem arbeitet alles zusammen – jedes Mitglied erbringt Leistungen für andere und ist im Gegenzug auf andere angewiesen. Bäume reinigen die Luft im Wald, Pflanzen liefern Nahrung für Tiere, Tiere helfen den Pflanzen zu überleben, indem sie ihre Samen verbreiten, Bienen bestäuben Blumen, damit sie gedeihen. Dies sind „Ökosystemleistungen“ – all die nützlichen Dinge, die Lebewesen füreinander tun.
Neben diesen Leistungen gibt es auch wertvolle Güter, die die Natur besitzt: sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Mineralien – so genannte „Umweltgüter“. Trotz unserer vergleichsweisen kurzen Existenz auf der Erde haben wir Menschen es geschafft, sowohl die Güter als auch die Dienstleistungen in vollem Umfang zu nutzen. Zurückgeben war leider nicht unsere starke Seite. Das Ergebnis dieses utilitaristischen Ansatzes kann man heute sehen: Die biologische Vielfalt geht so schnell zurück wie nie zuvor in der Geschichte. Über 1 Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Es ist höchste Zeit, dass wir anfangen, unsere Schulden bei der Natur zurückzuzahlen.
Welche Risiken birgt der Verlust der biologischen Vielfalt?
In The Future of Life (2002) rechnete Edward Osborne Wilson aus Harvard vor, dass bei einer Fortsetzung des derzeitigen Tempos der menschlichen Eingriffe in die Biosphäre die Hälfte der höheren Lebensformen der Erde bis zum Jahr 2100 ausgestorben sein wird. Mit weniger Arten werden die Ökosysteme anfälliger für einen Zusammenbruch. Ökosystemleistungen wie Bodenfruchtbarkeit und Wasserreinigung, auf die wir für unsere Existenz angewiesen sind, stehen nicht mehr zur Verfügung. Systemische Risiken, wirtschaftliche Risiken, Gesundheitsrisiken – das sind die ersten Dinge, die einem in den Sinn kommen, aber es gibt noch viele weitere Gefahren und Auswirkungen.
Politik und Regulierung zur Eindämmung von Naturverlusten
Die Finanzaufsichtsbehörden haben das akute Systemrisiko durch den Verlust der Natur erkannt und entsprechende Maßnahmen und Vorschriften erlassen. Das ehrgeizigste Projekt ist das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF), das den Verlust der Natur bis 2030 aufhalten und umkehren soll.
Die Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) dürften die Qualität der naturbezogenen Angaben zumindest in der EU erheblich verbessern. Die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) hat eine Reihe von Offenlegungsempfehlungen entwickelt, die es Unternehmen ermöglichen, ihre naturbezogenen Auswirkungen, Risiken und Chancen zu bewerten, um die Natur in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. TNFD ist in seinen Spezifikationen strenger und in seinem Umfang umfassender als ESRS. Auf der diesjährigen Konferenz der Vertragsparteien (COP16) des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) werden die Fortschritte der Länder bei der Verwirklichung der nationalen Ziele und Vorgaben im Rahmen des Globalen Rahmens für die biologische Vielfalt von Kunming und Montreal erörtert.
Um die Erreichung der GBF-Ziele voranzutreiben, müssen alle Beteiligten ihre Kräfte bündeln. Politische Entscheidungsträger, Hochschulen, Finanzinstitutionen und der Privatsektor müssen ihren Beitrag zur Wiederherstellung unseres Planeten leisten. Die Erste AM trägt ihrerseits zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt bei, indem wir:
- Naturbelange in ihre Investitionsentscheidungen einbeziehen,
- mit Unternehmen bezüglich ihrer Naturstrategie in Kontakt treten,
- uns mit der breiteren Öffentlichkeit über naturbezogene Themen austauschen.
Die Finanzströme müssen in „naturfreundliche“ Projekte gelenkt werden. Investitionsentscheidungen – sowohl von Unternehmen als auch von Finanzakteuren – müssen Naturaspekte einbeziehen. Um fundiert zu sein, müssen die Entscheidungen auf Fakten beruhen, die durch umfassende Unternehmensangaben offengelegt werden. Die derzeitige Offenlegungspflicht überlässt es jedoch den Managern, zu entscheiden, was für ihr Unternehmen wichtig ist, und nur das offen zu legen. Viele sehen darin einen Vorwand, auf eine naturbezogene Berichterstattung gänzlich zu verzichten.
Chemische und pharmazeutische Industrie im Fokus
Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, die Unternehmen einzubinden und ihre Haltung zur biologischen Vielfalt zu hinterfragen, damit das Thema auf die Tagesordnung der Vorstandssitzungen gesetzt wird. Die Auswirkungen und Abhängigkeiten von der Natur müssen gründlich bewertet und offengelegt werden. Es müssen Übergangspläne für die biologische Vielfalt erstellt werden. Biodiversitätsziele müssen in der Unternehmensführung verankert werden. Dies sind die Ziele, an denen wir uns orientieren, wenn wir Unternehmen auf das Thema Biodiversität ansprechen.
Damit ein Engagement effektiv ist, muss es zielgerichtet sein. In diesem Jahr haben wir die chemische und pharmazeutische Industrie als oberste Priorität für unser Engagement im Bereich der biologischen Vielfalt ausgewählt, da Unternehmen in diesen Bereichen in hohem Maße auf Naturkapital angewiesen sind und gleichzeitig einen großen Beitrag zur Umweltverschmutzung leisten. Die Produktionsprozesse und Abfallentsorgungspraktiken von Pharmaunternehmen können Bioabfälle erzeugen, die eine Gefahr für die biologische Sicherheit von Mensch und Umwelt darstellen – insbesondere für aquatische Ökosysteme. Eines der am heftigsten diskutierten Themen ist der Einsatz von Pestiziden. Laut PAN Europe hat ihr Einsatz „in der Pflanzenproduktion neben dem Verlust von Lebensräumen und dem Klimawandel einen großen Einfluss auf die biologische Vielfalt.“ Ziel 7 der GBF spricht dies direkt an, indem es darauf abzielt, das Risiko durch Pestizide bis 2030 um mindestens 50% zu reduzieren.
Unser neues Engagement mit der Bayer AG
Als eines der größten Pharma- und Chemieunternehmen sowie eines der sechs Unternehmen, die für fast 80 % der weltweiten Pestizidproduktion verantwortlich sind, schien die Bayer AG ein perfektes Ziel für ein Engagement zu sein. Bayer hat erhebliche Fortschritte bei der Einbeziehung der Natur in seine Produkt- und Investitionsentscheidungen gemacht, aber es gibt immer noch ungelöste Probleme, die angegangen werden müssen.
Erstens hat Bayer seine Ziele nicht mit dem Global Biodiversity Framework in Einklang gebracht: Das Unternehmen hatte sich verpflichtet, die Gefährdung durch Pestizide um 30 % zu reduzieren – im Gegensatz zu den 50 %, die das Framework fordert. Wir sind außerdem besorgt darüber, dass die Methodik zur Bewertung der Umweltauswirkungen seiner Pflanzenschutzmittel nicht umfassend genug ist und nur die Auswirkungen auf das aquatische Ökosystem berücksichtigt. Daher sollte eine Prüfung durch Dritte sinnvoll sein, sobald die Methodik abgeschlossen ist.
Darüber hinaus ist das Unternehmen in mehrere Kontroversen verwickelt. Im Jahr 2023 wurde Bayer beschuldigt, den europäischen Aufsichtsbehörden die Ergebnisse von 9 Studien zur Hirntoxizität vorzuenthalten – höchstwahrscheinlich aus Angst vor dem Verlust des Vertriebsmarktes für seine Pestizidprodukte mit umstrittenen Wirkstoffen. Laut der ShareAction-Studie hatte Bayer 2018 3.055 Tonnen von in der EU verbotenen Pestiziden für den Export angemeldet. Das Ziel war die Ukraine. Die Pestizide wurden verboten, da es Hinweise darauf gab, dass ihr aktiver Bestandteil „Acetochlor“ Krebs verursacht und die Fruchtbarkeit beeinträchtigt. Nichtsdestotrotz arbeitet das Unternehmen aktiv an der Verbesserung seiner Unternehmensführung, und die Unternehmensleitung war sowohl offen für den Dialog als auch bereit, sich die Bedenken der Aktionäre anzuhören.
Ehrgeizigere Ziele erforderlich
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass sich der Wandel nicht über Nacht vollziehen kann, dennoch hoffen wir auf ehrgeizigere Ziele und radikalere Veränderungen in den nächsten Jahren. Bayer sollte seinen Beitrag zum Verlust der biologischen Vielfalt bewerten und offenlegen, wissenschaftlich fundierte Ziele im Einklang mit dem Global Biodiversity Framework festlegen, eine klare Strategie zur Erreichung dieser Ziele umsetzen, eine Governance einrichten und die Anreizsysteme anpassen – für den Vorstand, das Management und die Mitarbeiter.
Zu diesem Zweck arbeiten wir mit Bayer über verschiedene Kanäle zusammen, unter anderem über Nature Action 100 (NA100), PRI Spring und die Pesticide Working Group von ShareAction. NA100 ist ein gemeinschaftliches Engagement von Investoren aus aller Welt, das Unternehmen dazu anhält, ihre naturbezogenen Auswirkungen, Risiken und Chancen (I/R/O) zu bewerten, offenzulegen und besser zu managen.
Als Teil der ShareAction-Arbeitsgruppe Pestizide werden wir uns mit Bayer über die Skalierung seiner nachhaltigen Produktlösungen und die Anpassung seiner Ziele an den GBF austauschen. Im Rahmen der PRI Spring-Initiative, die im Sommer 2024 beginnen soll, planen wir, den Dialog mit Bayer zu vertiefen. Um sinnvolle Fortschritte zu erzielen, muss das Unternehmen seine Praktiken des Lieferkettenmanagements und seine Aktivitäten im Bereich des Umweltengagements mit den Zielen der GBF in Einklang bringen.
Schließlich werden wir mit Bayer, wann immer möglich, persönliche Gespräche führen, um zu erfahren, wie das Unternehmen die Natur in die Unternehmensführung integriert und wie es sicherstellt, dass naturbezogene Probleme frühzeitig erkannt und proaktiv angegangen werden.
Der offene Dialog, die Zusammenarbeit und die Bereitschaft zu reden und zuzuhören, die wir bisher bei Bayer vorgefunden haben, stimmen uns optimistisch, was die Ergebnisse dieses Engagements angeht. Wir werden Sie, liebe Leser, über die Fortschritte auf dem Laufenden halten – halten Sie also Ausschau nach unseren nächsten ESGenius-Newsletter, um zu sehen, wie sich diese Geschichte entwickelt.