Die EU-Parlamentswahlen zeigten eine leichte Stärkung der rechten Parteien. Gleichzeitig wurden die Linken und Zentrumsparteien dementsprechend moderat geschwächt. Auf unserem Investment Blog hatten wir über den Ausgang der Wahl und Reaktionen darauf berichtet.
Größere Auswirkungen sind auf staatlicher Ebene zu finden. Sowohl in Deutschland als auch in Italien und Frankreich zeigen die rechten Parteien (Alternative für Deutschland, Fratelli d’Italia und Rassemblement National) beachtliche Gewinne. Auf EU-Ebene behalten die integrativen Kräfte die Mehrheit. Im Fokus stehen derzeit vor allem die vorgezogenen Neuwahlen in Frankreich.
Renew Europe verliert deutlich
Der Stimmenanteil der rechten Parteien stieg von 17% auf 18% an. Im Unterschied dazu fiel der Anteil der Linken und Grünen Parteien von 15% auf 12%. Die Zentrumsparteien verloren nur leicht von 59% auf 56%. Die Europäische Volkspartei (EVP) konnte jedoch um 10 Sitze auf 186 zulegen. Die nicht zuordenbaren Stimmenanteile stiegen von 9% auf 14% an. Bemerkenswert ist, dass die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron (Renew Europe) die meisten Sitze verlor (von 102 auf 79). Als Reaktion darauf rief Macron vorgezogene Wahlen des französischen Parlaments für den 30. Juni und den 7. Juli aus.
Mögliche Auswirkungen durch Rechtsruck
Die rechten Parteien gehen gestärkt aus der EU-Wahl hervor. Doch welche Auswirkungen könnte ein Rechtsruck in der EU haben? Hier ein Überblick über die möglichen Implikationen auf mehreren Ebenen:
- Integration: Dem Zuwachs der EU-kritischen (rechten) Parteien steht der Trend zunehmender geopolitischer Spannungen gegenüber. Dieser Druck von außen unterstützt die Notwendigkeit von mehr Zusammenarbeit zwischen den Staaten (Integration). Dazu gehören unter anderem die Themen Kapitalmarkt- und Bankenunion sowie gemeinsame EU-Anleihen. Die weitere Teilaufgabe von nationaler Souveränität ist aber durch den Zuspruch für die rechtspopulistischen Parteien nochmals schwieriger geworden.
- Sicherheit: Das Thema „nationale Sicherheit“ wird wahrscheinlich auch zukünftig zu zunehmenden Verteidigungsausgaben führen. Das gilt auch dann, wenn der Krieg in der Ukraine beendet wird. Die Friedensdividende ist weggefallen und der Druck der USA, den Anteil der NATO-Ausgaben in allen NATO-Staaten zu erhöhen hat zugenommen.
- Soziales: Gleichzeitig werden die Ausgaben für Soziales wahrscheinlich nicht gesenkt werden. Dafür sorgt auch der zunehmende populistische Druck.
- Budget: Die Kombination aus mehr Verteidigungsausgaben und keinen Einsparungen im „Rest“ impliziert, dass die Budgetdefizite in den kommenden Jahren kaum reduziert werden. Sogar ein weiterer Anstieg ist wahrscheinlicher geworden.
- Industriepolitik: Neben den geopolitischen Spannungen nimmt die Fragmentierung der Weltwirtschaft zu. Die Tendenz zu mehr protektionistischer Industrie- und Handelspolitik wird durch einen höheren Anteil der populistischen Parteien verstärkt. Im Prinzip bedeutet das höhere Kosten (Zölle, Produktion wird teurer) mit dem Risiko, dass ineffiziente Unternehmen am Leben erhalten werden.
- Produktivität: Leider impliziert ein Mehr an Industriepolitik nicht unbedingt ein höheres Produktivitätswachstum (eher das Gegenteil). Eine Politik für produktivitätssteigernde Maßnahmen stand nur bei wenigen Parteien auf der Agenda. Zudem ist, wie gesagt, die Aussicht auf mehr integrative Politik (Kapitalmarktunion) etwas gedämpft worden.
- Energiewende: Die Stärkung der Anti-Establishment-Haltung könnten das Thema „Energiewende“ auf der Prioritätenliste etwas nach unten rutschen lassen.
- Immigration: Ein wichtiges Wahlmotiv für den Zuspruch der rechtspopulistischen Parteien ist das Thema „Immigration“. Aus volkswirtschaftlicher Sicht bedeutet ein niedrigeres Wachstum der arbeitsfähigen Bevölkerung ein niedrigeres reales
- Wirtschaftswachstum: Zudem könnte die Produktivität leiden, wenn der Zuzug zu stark und unreflektiert eingeschränkt wird (Facharbeiter, Schlüsselarbeitskräfte).
Macron tritt Flucht nach vorne an
Die Ankündigung von Neuwahlen in Frankreich war überraschend. Macron hat die Flucht nach vorne angetreten. Seine Partei (Renaissance) fiel auf nur noch 14,5%. Die Partei von Le Pen (Rassemblement National) erreichte mit 31,5% hingegen ein sehr starkes Ergebnis. Der Schritt wird von politischen Analysten als riskant bezeichnet. Die Überlegung von Macron könnte sein, mit einer Regierungsbeteiligung den rechtspopulistischen Ansatz als wenig praktikabel erscheinen zu lassen. Dem steht gegenüber, dass Le Pen die Strategie von Giorgia Meloni anwenden, und sich in Richtung Mitte öffnen könnte.
Der Auswirkung auf die Märkte ist zwar signifikant, aber zumindest noch nicht relevant. Der Renditedifferenz zwischen den französischen und deutschen Staatsanleihen ist von 49 Basispunkten auf 77 Basispunkten angestiegen. Die Aussicht auf eine mehr national ausgerichtete Politik in Frankreich (und in anderen Ländern) schadet generell der EU und dem Euro. Am wahrscheinlichsten ist, dass Macron bis zu den Präsidentschaftswahlen eine „lahme Ente“ sein wird, auch wenn die Partei von Le Pen die absolute Mehrheit im zweiten Wahlgang nicht erreicht.
Langfristige Trends werden wenig berührt
Die EU-Wahl hat die zentrifugal wirkenden Kräfte zugunsten der zentripetal wirkenden Kräfte verstärkt. Im Aggregat sind die Auswirkungen jedoch gering. Eine wichtige Unsicherheit stellt der Ausgang der Wahlen in Frankreich dar. Solange die integrativen Kräfte in der EU nicht zu sehr geschwächt werden, werden die langfristigen Politiktrends wenig geändert werden. Auch vor dem Rechtsruck haben die Wirtschaftsprognosen auf ein niedriges Wirtschaftswachstum (niedrige Produktivität, nachteilige Demografie), eine ansteigende Staatsschuldenquote (Verteidigung, Soziales) und eine Inflation über dem Zentralbankziel (Industriepolitik, Fragmentierung der Weltwirtschaft) hingedeutet.
Durch die EU-Wahl werden diese Trends nicht geändert, aber eventuell etwas nationalistischer ausgerichtet werden. Nach den Wahlen in Frankreich werden die nächsten wichtigen Wahltermine die Parlamentswahlen in Deutschland im nächsten Jahr und die Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Jahr 2027 sein. Beide Wahlen haben das Potenzial, den Zusammenhalt in der EU weiter zu schwächen.
Integrative Schritte unwahrscheinlicher geworden
Die Aussicht auf eine Verbesserung des niedrigen Produktivitätswachstums ist durch den Ausgang der EU-Wahl gedämpft worden. Denn durch die Stärkung der nationalistischen Kräfte sind weitere integrative Schritte unwahrscheinlicher geworden.