Hinweis: Dieser Beitrag richtet sich an fortgeschrittene Anleger und setzt ein gewisses Maß an Vorwissen voraus. Die behandelten Themen sind komplexer und erfordern ein tieferes Verständnis der Materie.
Angesichts der zunehmenden öffentlichen Verschuldung handeln ausgewählte Unternehmensanleihen unter Staatsanleihen. Welche Rolle spielen negative Swap-Spreads?
Die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen guter Bonität (Investment Grade) über deutsche Staatsanleihen (Govt OAS; Option Adjusted Spread) nähern sich in der Eurozone wieder den Tiefständen von 2021, wie folgende Grafik zeigt.
Abb. 1: Rendite- und Spread-Entwicklung
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: LSEG Datastream
Abb. 2: Staatsverschuldung im Zeitablauf
Quelle: IWF
Es drängt sich die Frage auf, wie weit sich die Risikoaufschläge (Spreads) überhaupt noch einengen können. Passiert die Annäherung dieses Mal vielleicht sogar von zwei Seiten? Auf der einen Seite sind die Unternehmen solide aufgestellt, und auf der anderen Seite zeigen Staatsfinanzen eine Bonitätsverschlechterung.
Abbildung 2 stellt den Anstieg der Staatsverschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung einiger Länder dar. Währenddessen weisen Unternehmen guter Bonität in der Eurozone zumindest bis zum 3. Quartal 2024 einen Anstieg ihrer liquiden Mittel, ihrer Umsätze sowie stabile Verschuldungsgrade und Gewinn-Margen auf. Das wird auch von den Rating-Agenturen gewürdigt: So gab es in den vergangenen Quartalen einen positiven Rating-Drift – also mehr Upgrades als Downgrades.
Unternehmens- handeln gewöhnlich über Staatsanleihen
Die folgenden drei Grafiken zeigen drei einzelne Beispiele, bei denen Unternehmensanleihen mit geringeren Renditen handeln als ihr jeweiliges Herkunftsland. Anscheinend erachtet der Markt nunmehr die Unternehmensanleihen als risikoärmer, weil sich der Markt zuletzt mit geringeren Renditen zufriedengibt (vergleiche die rote Fläche in den Diagrammen).
Abb. 3: Louis Vuitton Moet Hennessy (EUR)
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: LSEG Datastream
Abb. 4: AXA (EUR)
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: LSEG Datastream
Abb. 5: Microsoft (USD)
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: LSEG Datastream
Dieses Phänomen erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich und mag durch den Umstand begünstigt sein, dass sich auch Swapsätze zuletzt deutlich gegenüber Staatsanleihen eingeengt haben. Bei diesen Zinstauschgeschäften (Swaps) tauschen Markteilnehmer feste gegen variable Zinssätze. Bei einem Swapvertrag mit fünfjähriger Laufzeit im Euro empfängt ein Kontrahent beispielsweise aktuell fix 2,05% p.a. und zahlt halbjährlich den sich ändernden 6-Monats-Geldmarktsatz (aktuell 2,62%).
In der Vergangenheit rentierte die fixe Seite des Swaps immer über Staatsanleihen, d.h. in der Eurozone über Deutschland und in den USA über US Treasuries. Dieses Gefüge bekam zuletzt Risse. In der Eurozone sind die 10-jährigen Swap-Spreads seit Anfang November und in den USA seit ca. einem Jahr negativ. Infolge des Überganges weg von Libor-Terminsätzen auf der variabel verzinsten Seite des Swaps hin zu Übernacht-Sätzen wie €STR und SOFR ist der Swap-Spread quasi eine Zinsdifferenz zwischen zwei kreditrisiko- oder fast kreditrisikofreien Sätzen.
Info: Die €STR ist die von der EZB berechnete und veröffentlichte Euro Short-Term Rate. Sie erfasst die Kosten der unbesicherten Übernacht-Transaktionen, die Eurozonenbanken untereinander tätigen.
Die SOFR (Secured Overnight Financing Rate) ist ein von der Federal Reserve Bank of New York veröffentlichter Zinssatz. Die SOFR kann als durchschnittlicher Zinssatz für in US-Dollar (USD) ausgegebene besicherte Kredite mit einer Laufzeit von 1 Tag (Overnight) angesehen werden.
Abb. 6: Swap-Spreads (EUR)
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: LSEG Datastream
Abb. 7: Swap-Spreads (USD)
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: LSEG Datastream
Für diese Entwicklung in der Eurozone sehen wir zumindest vier treibende Faktoren.
- Die Unterscheidung zwischen Peripherie und Kernländer löst sich auf. Der Spanien-Spread handelt unter dem Frankreich-Spread, und der Portugal-Spread weist ein ähnliches Niveau wie der Österreich-Spread auf. Hauptursache hierfür war wohl das EUR 750Mrd schwere „Wiederaufbauinstrument“ der Europäischen Union das sogenannte „NextGenerationEU“. Es war zugleich der Dammbruch für die Aufnahme vergemeinschafteter Schulden. Die Wahrnehmung des Risikos eines Auseinanderbrechens der Währungsunion hat sich nahezu verflüchtigt. Folglich verlor der Aspekt von deutschen Bundesanleihen als sicherer Hafen an Bedeutung. Obendrein offerierten die EU-Emissionen selbst eine Alternative für Investoren mit Fokus auf Triple-A-gerateten Papieren.
- Die deutsche Volkswirtschaft ist mit mehreren „Schocks“ gleichzeitig konfrontiert: Energiewende (Ausstieg aus Kohle und Atomenergie), der Wegfall des günstigen russischen Gases, der schwächelnde Export-Markt China, der Abschied vom Verbrennungsmotor, die Implementierung des Lieferkettengesetzes, bevorstehende Einführzölle in den USA unter dem gewählten Präsidenten Trump sowie zuletzt das Ende der Ampelkoalition in Berlin mit vorgezogenen Neuwahlen. Deutschland schwenkt auf einen niederen Wachstumspfad ein und erhöht die Schuldenaufnahme. Deutschland verliert seine Sonderstellung in der fiskalischen Austeritätspolitik (Abb. 8).
- Anleihen höchster Bonität, die als Sicherheit hinterlegt werden (Collateral), sind kein knappes Gut mehr. Schätzungen zufolge belief sich der Anteil von im Markt frei handelbaren ausstehenden deutschen Bundesanleihen (Free Float) Anfang 2015 auf ca. 75%. Die anderen 25% wurden von kaum kurssensitiven Investoren wie dem Eurosystem und Währungsreservemanagern gehalten. Danach explodierten aber die Bestände bei der EZB im Zuge diverser Anleiheankaufprogramme (z. B. APP und PEPP). 2021 dürfte der Free Float-Anteil auf unter 30% gesunken sein. Seit Mitte-2022 allerdings steigt der Free Float-Anteil wieder aufgrund der höheren Neuverschuldung Deutschlands, aber auch im Zuge des Quantitative Tightenings (QT) der EZB, die nicht mehr alle Fälligkeiten aus ihrem Bestand reinvestiert (Abb. 8 und 9).
Abb. 8: Deutsche Bundesanleihen, EUR Mrd
Quelle: EZB, Bundesbank, Finanzagentur, Barclays
Abb. 9: Bundesanleihen – Streubesitzanteil, in %
Quelle: EZB, Bundesbank, Finanzagentur, Barclays
- Im Jahr 2022, als Notenbanken begannen, die Leitzinsen anzuheben, war die Nachfrage nach Collateral stark – u.a. um Margin-Calls für mit Verlust bewertete Derivat-Positionen zu bedienen. Die EZB und die Deutsche Finanzagentur begegneten der Collateral-Knappheit mit einer Aufweichung der Wertpapierleihe-Richtlinie sowie der Verleihung aus Eigenbeständen. 2023 verlangsamte sich das Tempo der Leitzinsanhebungen und das Angebot an Collateral stieg. Die Reduktion des Angebot-/Nachfrageungleichgewichts führte zu einer Verbilligung der Reposätze (Abb. 10 und 11).
Abb. 10: Repo-Volumen deutscher Bundesanleihen nach Reposätzen in EUR Mrd (linke Achse) und Fußabdruck des Eurosystems in % (rechte Achse)
Quelle: EZB, “The benefits and costs of asset purchases”, 28. Mai 2024, Hinweis: Der Fußabdruck ist der Anteil der vom Eurosystem gehaltenen deutschen Bundes- und Bundesländeranleihen sowie mobilisierte Sicherheiten (adjustiert um Staatsanleihen, die an den Markt gegen Cash verliehen wurden) am ausstehenden Nominalvolumen.
Abb. 11: Die gesamte Terminstruktur deutscher Bundesanleihen für General Collateral (GC) verschob sich gegen Norden, Spread in bp versus €STR
Quelle: LSEG Datastream
Aufgrund der verstärkten Nachfrage nach besicherten Krediten für die Finanzierung von Long-Positionen über Jahresultimo rechnen Analysten zwar mit einer weiteren Verbilligung der Repo-Sätze. Hat man aber einen längeren Horizont im Auge, so sehen wir wenig fundamentale Gründe für eine Ausweitung der Asset Swap-Spreads, zumal sich Faktoren wie eine Ausweitung des Angebotes an europäischen Staatsanleihen und ein Rückgang der Überschussreserven im Eurosystem auch 2025 dem heurigen Kalenderjahr ähneln werden. Wie Tabelle 1 zeigt, erscheinen deutsche Swap-Spreads verglichen mit anderen Staatsanleihen noch immer teuer, insbesondere wenn Deutschland seinen Sonderstatus verliert.
Tab. 1: Swap-Spreads (ASW vs. 6m Euribor)
Quelle: ICE BofA Indizes; Stand 4.12.2024
Für US-Treasuries würde man erwarten, dass sich Investoren ob deren Sicherheit und Liquidität mit tieferen, wenn nicht den tiefsten Renditen verglichen mit anderen Instrumenten begnügen. Allerdings handelten seit der Globalen Finanzkrise (GFK) langlaufende US-Staatsanleihen konsistent über den Swap-Sätzen gleicher Laufzeit.
- Dieser negative Swap-Spread kann als eine Finanzierungsprämie von Anleihen interpretiert werden, weil das Halten dieser – im Gegensatz zu Swaps – Bilanzkosten verursacht. Eine Abhandlung[1] der New York Fed argumentiert mit den Bilanzrestriktionen insbesondere der Primärhändler für US-Staatsanleihen. Primärhändler änderten nach der GFK ihre Netto-Position von negativ auf positiv. Aufgrund der verschärften Bankenregulatorik nach 2008 wurde das Halten von US Treasuries verglichen mit außerbilanziellen Zinsswaps weniger opportun. Vergleiche Abb. 12.
Abb. 12: Hohe Korrelation von Swap-Spreads, Abweichungen von der gedeckten Zinsparität und Positionierung der Primärhändler in US Treasuries
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: Understanding the “Inconvenience” of U.S. Treasury Bonds”, Wenxin Du, Benjamin Hébert und Wenhao Li, 6. Feb. 2023
- Ein weiterer Treiber für Swap-Spreads ergibt sich aus der Nachfrage nach Duration von unterfinanzierten Pensionsplänen.[2] In Verbindung mit Bilanzrestriktionen kommt es zu einem Abwärtsdruck auf Swapsätze. Siehe Abb. 13. Eine Analyse von JPM[3] bestätigt anhand von Zeitreihenanalysen über den Zeitraum Jänner 2010 bis September 2024, dass höhere Positionen in US Treasuries bei Primärhändlern einen Abwärtsdruck auf Swaps-Spread ausüben, hingegen höhere Bestände bei der Fed und besser dotierte leistungsorientierte Pensionspläne zu einem Aufwärtsdruck auf Swap-Spreads führen.
Abb. 13: Beziehung zwischen 30-jährigem Swapsatz und dem aggregierten Finanzierungsstatus leistungsorientierter Pensionspläne
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: “An Explanation of Negative Swap Spreads: Demand for Duration from Underfunded Pension Plans”, BIS Working Papers, Sven Klingler und Suresh Sundaresan, Feb. 2018
Conclusio
Kurzfristig mag die schnelle Swap-Spread-Einengung für IG-Titel in EUR unterstützend wirken. Anleiheninvestoren, die sich von den Spreads über Swaps (Swap OAS) leiten lassen, können zu attraktiveren Spread-Levels kaufen. Siehe Abb. 14. Das gilt insbesondere für im USD oder GBP ansässige Investoren, die ihr Währungsexposure via Swaps absichern.
Abb. 14: Spreadentwicklung von IG-Unternehmensanleihen denominiert in EUR
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Quelle: LSEG Datastream, ICE BofA Euro Corporate Index
Allerdings ist der Anteil jener Investoren, die ausschließlich auf den Swap OAS schauen wohl eine Minderheit. Angesichts der Volatilität des Swap-Spreads dürfte der Spread über Staatsanleihen (Govt OAS) wohl weiter an Bedeutung gewonnen haben. Außerdem sieht der Swap OAS nicht nur für Euro-IG-Unternehmensanleihen attraktiver aus, sondern auch für die Emissionen von Staaten, supranationalen Emittenten sowie staatlichen Agenturen (SSAs). Die Schwelle für eine Reduktion des Exposures zu IG-Unternehmensanleihen mag heute geringer erscheinen als nach der großen Finanz- bzw. Staatsanleihenkrise in Europa, als aufgrund von Negativzinsen die Suche nach Rendite besonders ausgeprägt war.
Während das Abschmelzen des Swap-Spreads per se noch nicht zu einer Unterstützung für Unternehmensanliehen versus Staatsanleihen über die nächsten Monate führen muss, kann ein weiteres Verblassen des Sonderstatus der Bundesrepublik Deutschland als Benchmarkemittent in der Eurozone die relative Bewertung von Corporate Bonds aber sehr wohl begünstigen. Eine Korrektur der engen Spreads von Unternehmensanleihen über Staatsanleihen könnte dieses Mal länger auf sich warten lassen, sodass auch ein im historischen Vergleich klein anmutender Carry noch immer attraktiv erscheint. (Hinweis: Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.)
[1] „Understanding the “Inconvenience” of U.S. Treasury Bonds”, Wenxin Du, Benjamin Hébert und Wenhao Li, 6. Feb. 2023
[2] „An Explanation of Negative Swap Spreads: Demand for Duration from Underfunded Pension Plans”, BIS Working Papers, Sven Klingler und Suresh Sundaresan, Feb. 2018
[3] „Flows & Liquidity“, Nikolaos Panigirtzoglou et al., 6. Nov. 2024