
Winzer der Woche
Der wöchentliche Marktkommentar von Chefvolkswirt Gerhard Winzer
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump hat die Unsicherheit auf mehreren Ebenen zugenommen. Anfangs hatten die Märkte noch darauf gehofft, dass die politischen Maßnahmen Trumps eher weniger disruptiv werden als noch im Wahlkampf angekündigt.
Spätestens mit den jüngsten Zollanhebungen sind die Ankündigungen jedoch extremer geworden. Die Aktienindizes reagieren darauf negativ.
Aus dem Gleichgewicht
Die neue US-Regierung krempelt vieles um und das noch dazu in hoher Geschwindigkeit. Die Erwartung war, dass die möglichen positiven Effekte (Deregulierung, Steuersenkungen) die möglichen negativen Effekte (restriktive Handels- und Einwanderungspolitik) kompensieren werden können. Solange die vier Bereiche in einem gedanklichen Gleichgewicht bleiben, wäre das auch möglich gewesen. Doch mit den Zollanhebungen auf Importe aus Kanada, Mexiko und China haben die Maßnahmen in eine extreme Richtung ausgeschlagen.
Zollanhebungen
Folgende neue Zölle wurden am 3. März angekündigt:
- Inkrafttreten der verzögerten 25%-Zölle auf Mexiko und Kanada.
- Zusätzliche Abgabe von 10% auf chinesische Importe. Die Gesamtquote hält jetzt bei 20%.
- Darüber hinaus sollen am 12. März 25%-Zölle auf Aluminium- und Stahlimporte in Kraft treten.
- Kanada und China haben mit eigenen Zöllen reagiert. Es droht ein Handelskrieg.
- Im April könnten weitere Zollanhebungen in den USA folgen. So wird in den USA am 1. April eine Analyse zur Gegenseitigkeit (Reziprozität) von Handelshemmnissen veröffentlicht.
Zollanhebungen können drei Ziele verfolgen: Nicht-handelsbezogene Ziele (Grenzsicherung, Eindämmung des Drogenhandels), unfaire Handelspraktiken oder höhere Staatsausgaben. Wenn es tatsächlich das Hauptziel ist, das Handelsbilanzdefizit zu verringern, um die Fertigung in den USA zu vergrößern, droht tatsächlich ein Handelskrieg. Dieser könnte das Wirtschaftswachstum dämpfen und die Inflation in zahlreichen Ländern anheizen. Ein wichtiger Wirkungskanal dabei ist die Stimmung. Beispielsweise könnte in den USA eine fallende Stimmungslage zu rückläufigen Investitionen, einer fallenden Beschäftigung und einem rückläufigen Konsum führen.
Verteidigung
Darüber hinaus sind andere negative Entwicklungen hinzugekommen. Erstens haben sich neue Entwicklungen aufgetan, die nicht nur langfristig relevant sind: Hierbei geht es um nichts weniger als eine neue Weltordnung: Allianzen werden de facto aufgekündigt (Stichwort: US-Militärhilfen für die Ukraine) beziehungsweise in Frage gestellt (Stichwort: NATO).
Eine direkte Auswirkung davon: Die EU-Länder kündigen einen massiven Anstieg der Verteidigungsausgaben an. So einigten sich die CDU/CSU und die SPD in Deutschland auf ein milliardenschweres Finanzierungspaket für Verteidigung und Infrastruktur. Der CDU/CSU-Vorsitzende Friedrich Merz machte bei einer Pressekonferenz deutlich: „Ich will es sehr deutlich sagen: Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: ‚Whatever it takes‘“.

CDU/CSU und SDP haben sich im Rahmen ihrer Sondierungsgespräche für eine künftige Regierung auf ein milliardenschweres Verteidigungs- und Infrastrukturpaket geeinigt. Credit: Kay Nietfeld / dpa / picturedesk.com
Mar-a-Lago
Zudem hat die Diskussion über eine Änderung des globalen Finanzsystems an Intensität gewonnen. Die USA stellen einen großen Absatzmarkt zur Verfügung, die Weltbank und der Währungsfonds gewähren auf einer regelbasierten Basis Kredite und die Zentralbank Fed stellt im Notfall Dollar-Liquidität zur Verfügung. Seit einiger Zeit schwirrt jedoch eine Idee über eine Änderung dieses Systems herum, bekannt als Mar-a-Lago Accord.
Hierbei geht es vor allem um eine Abschwächung des US-Dollar und niedrige US-Zinsen. Beides könnte disruptiv für das Finanzsystem sein. Als mögliche Konsequenzen stehen in einem Negativszenario die Einbuße des US-Dollar als wichtigste Reservewährung sowie von US-amerikanischen Staatsanleihen als wichtigstes sichere-Hafen-Instrument und eine Abwertungsspirale auf der Währungsseite im Raum. Eine unmittelbare Auswirkung: davon: US-Wertpapierklassen verlieren an Attraktivität.
Schwache US-Wachstumsindikatoren
Außerdem überraschen die Wirtschaftsindikatoren in den USA seit einigen Wochen mit schwachen Werten. Ein bekannter Indikator, der das US-Wirtschaftswachstum im aktuellen Quartal schätzt (Atlanta Fed GDPNow), deutete mittlerweile auf einen dramatischen Einbruch des realen Wirtschaftswachstums von minus 2,8% (auf das Jahr hochgerechnet).
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.

Der private Konsum ist im Jänner gefallen, das Handelsbilanzdefizit fiel im Jänner mit 153 Milliarden US-Dollar unerwartet hoch aus und der ISM-Einkaufsmanagerindex für den Fertigungssektor war im Februar schwach.
Ob es sich bei der Wachstumsschwäche um den Beginn eines Abwärtstrends oder um ein temporäres Phänomen handelt, ist offen. So war der private Konsum im vierten Quartal außerordentlich stark – ein Rückgang im ersten Quartal wäre also nicht verwunderlich. Die hohen Importe im Jänner könnten Vorzieheffekte in der Erwartung von Zollanhebungen sein. Die Wachstumsrisiken haben jedenfalls zugenommen. Gleichzeitig zeigen in den USA einige Inflationsindikatoren nach oben. Beispielsweise ist der Indikator für die gezahlten Preise im ISM-Index im Februar auf einen hohen Wert angestiegen.
Fazit: Basisszenario hat Risse bekommen
Das Basisszenario „keine Landung“ (Trendwachstum, Inflation bleibt über Ziel, nur geringe Leitzinssenkungen, Renditen tendieren seitwärts bis höher) hat in den vergangenen Tagen Risse bekommen. Die Wachstumsrisiken haben zugenommen, die Aktienkurse und die Renditen von US-Staatsanleihen fallen.
Interessanterweise ist das Gegenteil bei deutschen Staatsanleihen der Fall – hier sind die Renditen nicht gefallen. Das kann wahrscheinlich auf die hohen bevorstehenden Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur zurückgeführt werden. Die zugenommenen Wachstumsrisiken gehen tendenziell mit zugenommenen Inflationsrisiken einher, zumindest in den USA. Die Wahrscheinlichkeit für das Risikoszenario „stagflationäres Umfeld“ hat zugenommen. Dieses Umfeld würde einigen Gegenwind für den Finanzmarkt bedeuten.