In der abgelaufenen Woche kamen wieder zahlreiche hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos zusammen. Rund dreitausend Teilnehmer:innen tauschten sich bei der fünftägigen Konferenz im Schweizer Alpenort zu globalen Trends und Risiken aus.
Ein bestimmendes Thema war die geopolitische Lage, und hier vor allem der Krieg in der Ukraine und der Konflikt zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas. Daneben zählten aber auch KI, die Klimakrise sowie die Konjunktur- und Zinsentwicklung zu den beherrschenden Gesprächsthemen.
Laut dem vom WEF selbst publizierten „Global Risks Report“ macht die Klimakrise Expert:innen derzeit die allergrößten Sorgen. In einer Umfrage sehen 66 Prozent der für den Bericht befragten Expert:innen extreme Wetterentwicklungen als größte globale Bedrohung im Jahr 2024, gefolgt von KI-generierter Desinformation (53 Prozent) und gesellschaftlicher Spaltung (46 Prozent).
Hinweis: Prognosen sowie die Entwicklung in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte in Davos die Bedeutung der Klimawende. Sie sieht erhebliche Fortschritte bei der Abkopplung des europäischen Energiesystems von russischen Gaslieferungen. Heuer werde man erstmals mehr Energie aus Windkraft und Photovoltaik beziehen als aus Russland, sagte von der Leyen in Davos. Sie verwies zudem darauf, dass nach jüngsten Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) das Kapazitätswachstum bei erneuerbaren Energien in der EU 2023 einen weiteren Rekordwert erreicht habe. Zugleich sei Effizienz des Energieverbrauchs um fast 5 Prozent gestiegen.
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: Europa muss sich bei KI ins Zeug legen
Bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) forderte die EU-Kommissionspräsidentin mehr Tempo in Europa. „Europa muss sich ins Zeug legen“, sagte von der Leyen in Davos. Mit den richtigen Investitionen könne die EU „den Weg für eine verantwortungsvolle Nutzung der KI weisen“, erklärte von der Leyen.
Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen hänge davon ab, wie schnell sie KI in ihrem Alltag einsetzten. „KI kann in beispiellosem Tempo die Produktivität steigern“, betonte von der Leyen. Die EU müsse deshalb verfügbare Industriedaten nutzen, um eigene KI-Modelle zu entwickeln und „bei der industriellen KI führend zu sein“.
Die Kommission will KI-Start-ups fördern und europäischen Unternehmen Zugang zu Supercomputern geben, damit sie Modelle mit großen Datenmengen trainieren können. Für die Nutzung der Künstlichen Intelligenz soll in der EU zudem ein weltweit einmaliger Rechtsrahmen gelten. Die EU-Gesetzgeber hatten sich im Dezember auf eine Regelung geeinigt, nach der Entwickler unter anderem KI-generierte Texte, Töne und Bilder eindeutig kennzeichnen müssen.
Nutzen von KI laut OpenAI-Chef enorm
Der Chef des ChatGPT-Erfinders OpenAI, Sam Altman, hat Verständnis für die Ängste vieler Menschen in Verbindung mit KI. „Diese Technologie ist eindeutig sehr mächtig und wir wissen nicht mit Sicherheit, was genau passieren wird“, sagte Altman auf dem Weltwirtschaftsforum. „Ich denke, es wäre sehr schlecht, wenn man nicht vorsichtig wäre und nicht wüsste, was auf dem Spiel steht. Deshalb finde ich es gut, dass die Leute nervös sind.“
Auch bei OpenAI selbst spüre man Nervosität. Er glaube aber, der Nutzen von KI so enorm sei, dass man sie weiterentwickeln müsse. Es liege in der Verantwortung der Entwickler, die Technologie mit gesellschaftlichem und politischem Input sicher zu machen und Leitplanken zu finden. Bei den aktuellen Anwendungen von generativer KI sieht Altman Grenzen erreicht. „Wir werden neue Dinge erfinden müssen“, sagte er. Altman beschrieb KI als „ein System, das manchmal richtig liegt, manchmal kreativ ist, oft aber völlig falsch“.
China wirbt in Davos um Kooperationen und Investitionen
Ein bestimmendes Thema war auch die Rolle Chinas in der Welt. Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang hat in Davos zu internationaler Kooperation aufgerufen und sein Land als Wachstumstreiber der Weltwirtschaft präsentiert. Die Volksrepublik hat mit Li den ranghöchsten Regierungsvertreter nach Davos entsandt, seit Präsident Xi Jinping 2017 dem WEF seine Aufwartung machte.
Es gelte, Barrieren für die Zusammenarbeit abzubauen, betonte der Regierungschef. Es sei wichtig, Handelsketten „stabil und geschmeidig“ zu halten. Die chinesische Wirtschaft mache stetig Fortschritte und werde weiterhin Impulsgeber für die globale Wirtschaft sein.
Er verwies darauf, dass das Bruttoinlandsprodukt im Reich der Mitte voriges Jahr Schätzungen zufolge bei 5,2 Prozent gelegen und damit das offizielle Ziel von rund fünf Prozent übertroffen habe. Der Wachstumstrend sei langfristig ungebrochen. Der Industriesektor der Volksrepublik war angesichts der schwächelnden Nachfrage infolge der Pandemie und der Immobilienkrise im vorigen Jahr unter Druck geraten.
China bleibe „fest entschlossen“, seine Wirtschaft zu öffnen. Li warb um ausländische Investitionen und versprach, das Umfeld für ausländische Firmen zu verbessern. „Die Entscheidung für eine Investition in den chinesischen Markt ist kein Risiko, sondern eine Chance“, sagte Li in Davos.
Peking hatte zu Jahresbeginn vor einem Zurückdrehen der Globalisierung bis hin zu einem Handelskrieg gewarnt. Hintergrund des Pekinger Appells war eine Äußerung von IWF-Vizechefin Gita Gopinath, die im Dezember vor einer Spaltung der Weltwirtschaft in zwei Blöcke gewarnt hatte. Sie bezog sich damit auf ein Szenario, in dem hauptsächlich die USA und Europa den Handel im Westen unter sich aufteilen und sich im Osten ein Pendant aus China und Russland bildet. Durch eine solche Blockbildung könnte das globale Bruttoinlandsprodukt laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 2,5 bis 7 Prozent gemindert werden.
Blinken will Zusammenarbeit mit China verstärken
Auch US-Außenminister Antony Blinken will in diesem Jahr engeren politischen Kontakt mit China suchen. Persönliche Gespräche von Top-Politikern seien unersetzlich, insbesondere wenn es um China gehe, sagte Blinken beim Weltwirtschaftsforum. „Und ich kann mir vorstellen, ich weiß, dass Sie im kommenden Jahr noch mehr davon sehen werden.“
Dabei werde es nicht nur darum gehen, die Beziehungen zu stabilisieren und Unterschiede sehr direkt zu kommunizieren, damit es keine Missverständnisse gebe. Es gehe auch darum, „zu sehen, ob es trotz dieser Unterschiede, trotz des intensiven Wettbewerbs, nicht auch Bereiche gibt, in denen eine stärkere Zusammenarbeit im beiderseitigen Interesse liegt“.
EZB-Vertreter sehen Inflation auf gutem Weg, wollen aber weiter Daten abwarten
Ein weiteres beherrschendes Thema in Davos war die Frage, wann das Nachlassen der Inflation den Weg frei macht für Zinssenkungen der Notenbanken. Die EZB ist aus Sicht ihrer Präsidentin Christine Lagarde auf einem guten Weg, die Inflation im Euro-Raum auf zwei Prozent zurückzubringen. Sie sei zuversichtlich, dass die EZB dieses mittelfristige Ziel erreichen werde, sagte Lagarde zu Bloomberg TV am Rande des Weltwirtschaftsforums.
„Wir sind auf dem richtigen Weg, wir bewegen uns in Richtung zwei Prozent“, sagte sie. Sie werde aber noch nicht den Sieg erklären. Die EZB werde im späten Frühling Daten aus den diesjährigen Tarifabschlüssen in den Ländern erhalten. Diese Daten würden der EZB eine gute Vorstellung davon geben, wie sich die Inflation entwickeln werde.
Auch andere EZB-Vertreter verwiesen auf Unsicherheiten bezüglich der Inflation sowie auf noch ausstehende zentrale Daten. Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau sagte zum Zinskurs in Davos lediglich, dass die EZB die Schlüsselsätze dieses Jahr wahrscheinlich wieder nach unten setzen wird. „Wir müssen noch die Datenlage abwarten“, sagte auch der Präsident der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel. Aufmerksam verfolgt werde von den Notenbankern zudem die anstehende US-Wahl. Heuer würden die Wahlen möglicherweise die Finanzmärkte bestimmen, sagte Nagel am Rande des Forums bei einer Diskussionsrunde von ntv.
Tipp: Einen aktuellen Kommentar von Erste-AM-Chefvolkswirt Gerhard Winzer zur Zins- und Inflationsentwicklung im heurigen Jahr, lesen Sie hier.