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Ampel-Aus – Überholspur oder Reformstau in Deutschland?

Ampel-Aus – Überholspur oder Reformstau in Deutschland?
Ampel-Aus – Überholspur oder Reformstau in Deutschland?
(c) Hannes P Albert / dpa / picturedesk.com
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Mit dem Ende der Ampel-Koalition in Deutschland verschärft sich die Unsicherheit für die angeschlagene deutsche Wirtschaft – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem nach der US-Wahl ohnedies neue Herausforderungen auf Europas größte Volkswirtschaft zukommen. Expert:innen sehen in dem kommenden Regierungswechsel in Deutschland aber auch eine Chance für eine Neuausrichtung und nötige Reformen.

Riskanter Schritt des Bundeskanzlers

„Die Entscheidung des Bundeskanzlers zur Beendigung dieser Regierung zu diesem Zeitpunkt ist riskant“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher der Nachrichtenagentur Reuters. Sie dürfte jedoch das geringere Übel im Vergleich zu einer Fortsetzung der politischen und wirtschaftlichen Paralyse sein, so Fratscher.

„Die Ampel-Koalition war kaum noch handlungsfähig und die politische Unsicherheit in Deutschland ohnehin sehr hoch. Mit Neuwahlen besteht die Chance auf einen Befreiungsschlag“, sagte auch der Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Achim Wambach, der Deutschen Presse-Agentur.

Deutsche Wirtschaft in der Krise

Die kriselnde deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal wegen höherer Konsumausgaben überraschend gewachsen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte laut einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamts von Juli bis September um 0,2% im Vergleich zum Vorquartal zu. Auch der Ifo-Geschäftsklimaindex, der als wichtigster Frühindikator für die deutsche Konjunkturentwicklung gilt, stieg im Oktober nach zuvor vier Rückgängen in Folge erstmals wieder. Zuletzt kamen aus der angeschlagenen deutschen Konjunktur aber wieder Zeichen der Schwäche.

Trotz eines gut laufenden US-Geschäfts lagen die Ausfuhren von deutschen Waren im September mit 128,2 Mrd. Euro um 1,7% unter dem Vormonat. Die wachsende Konkurrenz aus Ländern wie China und die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise machen der Exportnation Deutschland schon seit einiger Zeit zu schaffen. Die Unternehmen drosselten zudem ihre Produktion wegen der schwächelnden Autobranche überraschend stark: Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen 2,5% weniger her als im August.

Die Unsicherheit wegen der Neuwahl könnte auf der Verbraucherstimmung lasten. „Wir gehen davon aus, dass das Ampel-Aus belastend auf die Konsumstimmung wirken wird“, sagte Rolf Bürkl vom Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) zuletzt der Nachrichtenagentur Reuters.

Trump-Wahl schürt Sorgen um Exportwirtschaft

Sorgen macht deutschen Ökonomen auch die Wahl Trumps. Sie fürchten, dass Trump mit seinen Zollplänen einen Handelskrieg zwischen der EU und den USA anzetteln könnte. Der designierte US-Präsident hat neue Zölle von 10 bis 20% auf Importe aus Europa angekündigt. Für Waren aus China sprach Trump sogar von 60%, Europa wäre also im Vorteil. Dennoch dürften die Strafzölle Deutschland schwer treffen. Die USA sind der wichtigste Absatzmarkt für die deutsche Exportwirtschaft, die geplanten Zölle würden deutsche Produkte aber in den Staaten deutlich teurer und damit unattraktiver machen.

Die geplanten Zollerhöhungen könnten das BIP im nächsten Jahr um etwa 0,3% und in den nachfolgenden Jahren bis zu 1,2% reduzieren, sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch bei Gegenmaßnahmen durch die EU im Handelsstreit würden die negativen BIP-Effekte bis 2028 zunehmen.

Die geplanten Zollerhöhungen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump würden die deutsche Exportwirtschaft schwer treffen. © unsplash

„Die USA ist seit neun Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner. Diese Lücke mit inländischem und europäischem Konsum des Binnenmarkts zu füllen, wird fast unmöglich“, so Hüther. Experten erwarten, dass die Zollerhöhungen vor allem die Automobilindustrie, den Maschinenbau, aber auch die Pharma- und Chemiebranche stark treffen würden, da sie überdurchschnittliche Exportquoten in die USA aufwiesen.

Schlechte Aussichten für Autobranche

Damit könnte die ohnedies schon angeschlagene Automobilbranche noch stärker ins Kriseln kommen. Die Stimmung in der deutschen Autoindustrie hat sich schon vor dem Wahlsieg von Donald Trump deutlich eingetrübt. Das vom ifo-Institut in einer Unternehmensumfrage ermittelte Barometer für das Geschäftsklima fiel im Oktober von minus 23,4 Zählern im Vormonat auf minus 27,7 Punkte.

Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.

Die Aktienkurse der großen deutschen Automobilhersteller bekamen die Schwäche in der Branche in den vergangenen Monaten deutlich zu spüren. Quelle: LSEG Datastream

Auch die Exporterwartungen der deutschen Autobranche haben sich im Oktober nochmals verschlechtert. Der entsprechende Indikator fiel auf minus 32,8 Punkte. Nur während der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 lag der Wert darunter. „Der deutschen Autoindustrie scheint der intensiver werdende Wettbewerb vor allem aus dem außereuropäischen Ausland zunehmend zuzusetzen“, erklärte Ifo-Branchenexpertin Anita Wölfl den Abwärtstrend.

Chancen für deutsche Konzerne mit Produktionsstandorten in den USA

Für deutsche Konzerne, die in den USA produzierten, könnten sich unter Trump aber Chancen ergeben. „Trump wird wahrscheinlich nicht nur Zölle erhöhen, sondern auch die Unternehmenssteuern senken. Für manche deutsche Firmen vor Ort ist die Wahl von Trump „good news“, glaubt der ZEW-Präsident Wambach. Schon im vergangenen Jahr haben Unternehmen, etwa aus der Pharma- und Chemieindustrie, verstärkt in den USA investiert, angelockt von niedrigen Energiepreisen und einem milliardenschweren Subventionsprogramm. Und deutsche Autobauer haben seit Jahren große Werke in den USA.

Die Wahl von Trump dürfte den Standort USA noch attraktiver machen, meint Wambach. „Unternehmen werden darauf reagieren und noch stärker vor Ort produzieren.“ Der Standort Deutschland laufe hingegen Gefahr, Produktion und Forschung noch stärker an die USA zu verlieren. Deutschland brauche daher umso mehr Reformen, zum Beispiel Bürokratieabbau. Auch die EU müsse „selbst auferlegte Fesseln ablegen“, mahnt Wambach mit Blick auf komplexe Regelwerke wie das EU-Lieferkettengesetz und Datenschutzgrundverordnung.

Experten fordern möglichst frühe Neuwahl und Neustart mit Reformen

Top-Manager erhoffen von der neuen Regierung ein schnelleres Reformtempo, unter anderem bei Bürokratieabbau und anderen Maßnahmen zur Standort-Stärkung. „Jeder Monat mit fehlenden Reformen wird später nichts anderes als ein fehlendes Wachstumsjahr sein“, schrieb etwa der Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing auf der Plattform LinkedIn. „Wir sind überzeugt, dass Deutschland ein großes Potenzial hat“, so Sewing, „aber wir müssen jetzt handeln, damit wir Anschluss halten und unsere Wirtschaft dieses Potenzial entfalten kann.“ Der für Deutschland wichtige Chemiesektor forderte zuletzt ebenfalls über seinen Branchenverband weitreichende Reformen und Bürokratieabbau zur Stärkung des Standorts ein.

Fazit

Die Unsicherheit in der ohnehin schon schwächelnden deutschen Wirtschaft nimmt nach dem Ende der Regierungskoalition weiter zu. Zusätzlich dürfte auch die bevorstehende zweite Periode Donald Trumps als US-Präsident vor allem den Exportsektor belasten.

Wirtschaftsvertreter sehen im Ende der Ampel-Koalition und dem Ergebnis der US-Wahl aber auch Chancen für die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde. Neuwahlen bringen demnach auch die Möglichkeit für dringen benötigte Reformen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, fordert die Wirtschaft eine rasche Neuausrichtung und einen Abbau von Bürokratie.

Bis zur derzeit für März avisierten Neuwahl droht Deutschland aber vorerst ein Stillstand. So kann Bundeskanzler Olaf Scholz etwa sein im Oktober angekündigtes milliardenschweres Maßnahmenpaket zur Unterstützung der Automobil- und Chemiebranche mangels einer Mehrheit wohl nicht mehr im geplanten Umfang umsetzen. Unternehmer und Ökonomen pochen daher auf möglichst baldige Neuwahlen, um den drohenden Stillstand bis zum erhofften Neustart so kurz wie möglich zu halten.

Hinweis: Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.

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