Was vor einem Jahr noch undenkbar schien, ist inzwischen Realität: Nach Jahren der Negativleitzins-Politik der EZB gehen die Leitzinsen wieder nach oben. Für Anleger:innen ergeben sich durch diese neue Situation nicht nur zahlreiche Fragen und Unsicherheiten, sondern auch neue Perspektiven. Grund genug, die aktuelle Entwicklung von einem Experten, nämlich Wolfgang Zemanek, Head of Fixed Income der Erste Asset Management, einordnen zu lassen.
Was passiert gerade an den Märkten und wie ist das alles einzuschätzen?
Das bisherige Jahr war an den Börsen neben den Kriegs- und Inflationssorgen vor allem von Leitzinsanhebungen geprägt. Die Notenbanken stehen nach der sehr expansiven Geldpolitik der letzten Jahre, unter anderem aufgrund der Covid-Pandemie, auf der Bremse und nehmen über die Zinspolitik Liquidität aus dem Finanzkreislauf. Wichtigstes Ziel ist dabei natürlich die Bekämpfung der sehr hohen Inflationsraten.
Ist mit weiteren Zinserhöhungen in den nächsten Monaten zu rechnen?
Ich gehe davon aus, dass seitens der Federal Reserve in den USA und der Europäischen Zentralbank bis Jahresende noch weitere Leitzinsanhebungen erfolgen werden, die Dynamik wird sich erst dann abflachen, wenn der Trend zu steigenden Inflationsraten aus Sicht der Zentralbanken gebrochen erscheint. Die Geld- und Anleihenmärkte preisen derzeit bis Jahresende Leitzinsen von 3,50 % bis 3,75 % in den USA und 1,25 % bis 1,50 % in der Eurozone ein – das wäre ein Anstieg um rund ein weiteres Prozent.
Wird die Inflation durch die steigenden Zinsen tatsächlich sinken?
Ich denke schon. Auch wenn die Zinsanhebungen natürlich direkt nur wenig an den hohen Energiepreisen ändern können, rechne ich doch mit einer entspannenden Wirkung. Das ist aber ein schmerzhafter Prozess. Die Folgen der Leitzinsanhebungen sowie der Teuerungsraten wird leider zu einem Rückgang des Konsums und höheren Arbeitslosenraten führen. Es dauert aber erfahrungsgemäß sechs bis achtzehn Monate, bis eine derartige Zinspolitik ihre volle Wirkung entfaltet und das geht wie bereits erwähnt, in der Regel mit einem konjunkturellen Abschwung einher. Und man darf nicht vergessen, dass sich dadurch nur der weitere Preisanstieg reduziert. Zu einem Rückgang des hohen Preisniveaus wird es ziemlich sicher nicht kommen.
Welche Folgen werden die steigenden Zinsen sonst noch haben?
Je höher die Zinsen, desto teurer wird es für Unternehmen und Konsumentinnen bzw. Konsumenten, an frisches Geld für Neuinvestitionen zu kommen. Wenn weniger investiert wird, bremst das natürlich die Wirtschaft, schwächt das Wachstum und den Konsum. Tatsächlich deuten wichtige Indikatoren wie das Konsumentenvertrauen allmählich auf eine abgeschwächte Wirtschaftsdynamik hin. Auch der bisher noch sehr robuste US-Arbeitsmarkt zeigt erste Anzeichen einer möglichen Abkühlung. Die Sorgen vor einer Rezession werden vor allem an der Zinskurve bei US-Staatspapieren augenscheinlich: Kurzlaufende US-Staatspapiere rentieren derzeit deutlich höher als langlaufende Anleihen. Dieses Phänomen einer inversen Zinskurve könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Vereinigten Staaten in den nächsten Monaten möglicherweise auf eine Rezession zusteuern werden. Ich gehe daher von einer Wachstumsabschwächung in den nächsten 6 Monaten aus.
Und wie schätzen Sie die Situation in Europa ein?
Während der Abschwung in den USA vor allem notenbankgetrieben ist, wirken in der Eurozone überwiegend die stark gestiegenen Energiepreise belastend. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs dürfte die EZB im Vergleich zur US-Fed vorsichtiger vorgehen, die Leitzinsen zwar schrittweise anheben, aber nur solange es der makroökonomische Ausblick erlaubt. Die nächste Leitzinsanhebung der EZB erwarten wir Anfang September.
Was passiert mit den Zinsen, wenn es tatsächlich zu einer Abschwächung kommt?
Im Falle einer Abkühlung rechne ich sowohl in Europa als auch in den USA nicht mit einem schnellen Senken der Leitzinsen durch die Notenbanken im kommenden Jahr. Die bestimmenden Themen, neben der Geopolitik und der Energieversorgung, werden weiterhin die Inflationsbekämpfung und die Rückführung der Liquidität sein.
Was bedeutet all das für die persönliche Geldanlage? Wird das Sparbuch ein Comeback feiern?
So optimistisch bin ich nicht. Ich gehe zwar schon davon aus, dass irgendwann auch die Sparzinsen steigen werden, aber nur in einem sehr moderaten Ausmaß. Für den langfristigen Vermögensaufbau wird ein Sparbuch auch weiterhin nicht geeignet sein.
Wie geht es mit den Immobilien weiter?
In Zeiten der Niedrigstzinsen haben sich viele Anlegerinnen und Anleger für ein Investment in „Betongold“ entschieden. Die steigenden Zinsen sorgen in den USA bereits für eine gewisse Abkühlung am Immobilienmarkt. Aufgrund der teureren Kredite ist eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus für immer weniger Menschen leistbar. Doch solange die Inflation hoch bleibt, werden Grund und Boden nach wie vor als Anlageobjekt gefragt bleiben. Ich rechne daher nicht mit einem signifikanten Rückgang der Immobilienpreise.
Und wie schätzen Sie die Lage bei Wertpapieren ein?
Höhere Geldmarktzinsen sorgen naturgemäß bei einigen Anlageklassen für Gegenwind. Gleichzeitig sorgt die geänderte Zinspolitik der Notenbanken auch für eine gewisse „Normalisierung“ an den Anleihenmärkten. Die Zeiten von Negativrenditen bei festverzinslichen Wertpapieren scheinen vorerst vorbei. Während zu Beginn des Vorjahres weltweit Staatsanleihen im Umfang von rund 18.000 Mrd. US-Dollar eine negative Rendite aufwiesen, sind aktuell de facto nur noch japanische Staatspapiere von Negativrenditen betroffen. Im Schnitt befinden sich die Renditen von Staatsanleihen wieder auf den Niveaus der Jahre 2015 und 2016, was für Anlegerinnen und Anleger eine durchaus attraktive Einstiegsgelegenheit sein könnte.
Wie sehen die Perspektiven von Unternehmensanleihen aus?
Neben Staatsanleihen bieten auch Unternehmensanleihen wieder durchaus Chancen. Corporate-Anleihen der Rating-Stufe „Investment-Grade“ haben rein nominell, also vor Betrachtung der Inflation, relativ hohe Rendite-Niveaus von zwei bis drei Prozent erreicht. Bei hoch rentierenden Unternehmensanleihen, den High-Yield-Anleihen, liegen diese Niveaus sogar zwischen sechs und acht Prozent. Das sind attraktive Margen, wenn man davon ausgeht, dass die Ausfallsraten nicht massiv ansteigen werden.
Wie geht man vor, wenn man in Unternehmensanleihen investieren will?
Statt eine einzelne Unternehmensanleihe zu kaufen und sich damit einem sehr hohen Risiko auszusetzen, kann man sein Geld auch in einen breiten Pool an Unternehmensanleihen investieren – am einfachsten über einen Fonds. Ein aktives Fondsmanagement, das eine ständige Qualitätskontrolle gewährleistet, ist sehr wichtig.
Mit dem ERSTE BOND EURO CORPORATE und dem ERSTE RESPONSIBLE BOND GLOBAL HIGH YIELD bietet die Erste Asset Management zwei Fonds an, die in Unternehmensanleihen investieren. Aufgrund der aktuellen Situation und der prognostizierten Marktentwicklung sehe ich hier längerfristig durchaus Ertragspotenzial.
ERSTE BOND EURO CORPORATE – Chancen und Risiken auf einen Blick:
ERSTE RESPONSIBLE BOND GLOBAL HIGH YIELD – Chancen und Risiken auf einen Blick:
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