Die Konjunkturerholung in China ist nach einem guten Start ins Jahr zuletzt wieder ins Stocken geraten. Der Weg aus der Corona-Krise nach der Aufhebung der strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gestaltet sich langsamer als erhofft. Die schwache Weltkonjunktur und die nachlassende Binnennachfrage, aber auch der angeschlagene Immobiliensektor bremsten die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zuletzt aus.
Chinas Bruttoinlandsprodukt wuchs im zweiten Quartal nur noch um 0,8 Prozent zum Vorquartal, nach 2,2 Prozent zu Jahresbeginn. Einige zuletzt gemeldete Konjunkturindikatoren waren zudem schlechter als erwartet ausgefallen, aber auch die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit und die Deflation macht Ökonomen Sorgen. Regierung und Notenbank in China haben bereits gegensteuernde Maßnahmen angekündigt. Angesichts der großen Bedeutung von China als wichtiger Handelspartner für unzählige Länder wird die Lage in dem Land aber auch an den Finanzmärkten scharf beobachtet.
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen. Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.
Daten zu Industrie und Einzelhandel hatten enttäuscht
So hatten die in der Vorwoche gemeldeten Zahlen zur Industrieproduktion und den Einzelhandelsumsätzen im Juli die Analystenerwartungen verfehlt und die Konjunktursorgen an den Märkten geschürt. Die Industrieproduktion in China stieg um 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat und damit langsamer als im Juni mit 4,4 Prozent.
Die Einzelhandelsumsätze, ein wichtiger Indikator für den Konsum, stiegen um 2,5 Prozent, nach einem Plus von 3,1 Prozent im Juni. Das war das langsamste Wachstum seit Dezember 2022. Zuvor hatten die Behörden für Juli auch den niedrigsten Stand bei den Exporten seit 2020 gemeldet.
Dazu kommen eine rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit und die Gefahr einer Deflation. Die Verbraucherpreise sanken im Juli im Jahresvergleich um 0,3 Prozent, das ist der erste Rückgang seit Februar 2021. Mit den Erzeugerpreisen geht es bereits zehn Monate bergab – sie sanken zuletzt um 4,4 Prozent. Offizielle Arbeitsmarktdaten zeigen unterdessen die Jugendarbeitslosenquote auf einem Rekordwert von 21,3 Prozent. Inoffizielle Schätzungen sehen diesen Wert teilweise noch wesentlich höher. Laut Zhang Dandan könnte die Quote im März bei rund 50 Prozent gelegen haben, wie die Professorin für Wirtschaftswissenschaften der Universität Peking schrieb.
Immobilienkrise weiter in den Schlagzeilen
Zudem steckt der wichtige chinesische Immobiliensektor schon seit geraumer Zeit in einer schweren Krise. Als Hauptauslöser gilt neben teuren Fehlinvestitionen einzelner Immobilienentwickler die Einführung neuer harter Regeln zum Schuldenabbau der Branchenkonzerne. Inzwischen hat Peking die Vorschriften wieder etwas gelockert und Hilfe für die Branche signalisiert. Die Krise droht mittlerweile aber auf die gesamte Finanzbranche überzugreifen und wirkt sich auch auf andere Bereiche der Wirtschaft aus, da der Immobiliensektor in China immer eine wichtige Stütze des Wachstums war.
Der hoch verschuldete chinesische Immobilienentwickler China Evergrande hat zuletzt einen Antrag auf Gläubigerschutz nach Kapitel 15 in den USA gestellt. Evergrande gilt als das am höchste verschuldete Immobilienunternehmen der Welt. Der Konzern hatte Schulden von über 300 Mrd. Dollar angehäuft. Zinszahlungen konnten nicht mehr pünktlich geleistet werden. Zuletzt machte aber auch die drohende Schieflage des Projektentwicklers Country Garden Schlagzeilen. Geschürt wurden die Sorgen um die Branche auch von jüngsten Daten, die einen Rückgang der Preise neu gebauter Häuser zeigten.
Der Immobilienentwickler Evergrande ist mit über 300 Mrd. US-Dollar verschuldet. (c) HECTOR RETAMAL / AFP / picturedesk.com
Wachstumsziel dürfte verfehlt werden
Angesichts der jüngsten Zahlen dürfte das Wachstumsziel von 5% für das Jahr 2023 nunmehr nicht erreicht werden, kommentiert Erste-AM-Chefvolkswirt Gerhard Winzer. Denn mit der fallenden Bautätigkeit falle ein wesentlicher Wachstumstreiber für die chinesische Volkswirtschaft weg. Gleichzeitig nimmt mit den fallenden Immobilienpreisen und den fallenden Preisen von Gütern und Dienstleistungen das strukturelle Risiko zu. Denn sowohl Unternehmen als auch Konsument:innen seien damit einem Druck ausgesetzt, die Schulden abzubauen und die Sparquote zu erhöhen, das heißt, weniger zu konsumieren und zu investieren.
Risiko Liquiditätsfalle
Das Risiko für eine sogenannte Liquiditätsfalle habe somit zugenommen. Fallende Zinsen wirken in diesem Fall nicht mehr unterstützend für das Wachstum. Die Befürchtungen für eine solche Entwicklung gäbe es schon lange, aber durch die jüngsten Wirtschaftsdaten sind sie realistischer geworden. Dem Lehrbuch entsprechend, fallen in China die Aktienkurse, die Renditen von Staatsanleihen sowie die Währung. Die schlechte Datenqualität erschwert jedoch die Einschätzung der Lage. Nach dem deutlichen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit wurde die Veröffentlichung der Daten vergangene Woche eingestellt.
Für die zukünftige Entwicklung stehen mehrere Szenarien zur Auswahl, wie Gerhard Winzer erklärt:
- a) Die wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen sind ausreichend, um auf einem Wachstumspfad für das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu bleiben.
- b) Eine langsame Anpassung ähnlich wie in Japan nach dem Jahr 1990. In diesem Fall stagnieren die Preise und die Schulden werden langsam abgebaut.
- c) Eine schnelle Anpassung über eine Rezession.
Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft seien damit noch nicht klar. Eine wichtige Wachstumsstütze für die Weltwirtschaft falle aber wahrscheinlich weg. Einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit dieser Szenarien dürfte die Wirtschaftspolitik in China haben.
Notenbank hat nach schwachen Daten Leitzinsen gesenkt
Chinas Notenbank will auf die anhaltenden Turbulenzen auf dem Immobilienmarkt reagieren. Die Währungshüter wollen ihre Immobilienpolitik bald anpassen und optimieren, teilte die People’s Bank of China am vergangenen Donnerstag mit. Auf die in der Vorwoche veröffentlichten schwachen Wirtschaftsdaten hat die Zentralbank bereits reagiert. Nur eine Stunde nach der Veröffentlichung haben die Währungshüter überraschend die Leitzinsen gesenkt. Das war schon die zweite Zinssenkung innerhalb von 3 Monaten, um der raschen Abschwächung der Konjunkturerholung entgegenzuwirken.
Die Wertpapieraufsicht des Landes will zudem mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen den Börsenhandel beleben und das Vertrauen der Anleger stärken. Chinas große Banken im Staatsbesitz hatten Insidern und Medienberichten zufolge zuletzt Dollar an den Devisenmärkten verkauft um die unter Druck geratene Landeswährung Yuan zu stützen.
Regierung will Erholung mit Konjunkturmaßnahmen stützen
Expert:innen sehen aber auch Chinas Regierung gefordert mit stärkeren Maßnahmen als bisher die Erholung zu unterstützen. Die Regierung hatte bereits im vergangenen Monat eine Reihe von Konjunkturmaßnahmen ergriffen – von der Ankurbelung des Konsums von Kraftfahrzeugen und Haushaltsgeräten über die Lockerung einiger Immobilienbeschränkungen bis hin zur Unterstützung des Privatsektors. Zudem sollen lokale Regierungen bei Schuldenproblemen geschützt werden. Die hohe Verschuldung von Kommunen ist laut Ökonomen ein großes Risiko für die Finanzstabilität der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.
Chinas Regierung stellt sich jedenfalls auf eine langanhaltende Phase der wirtschaftlichen Erholung ein. Das werde ein „holpriger und mühseliger Prozess mit Schwierigkeiten und Problemen“ werden, sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums.
Fazit von Chefvolkswirt Gerhard Winzer
Die Kombination aus ansteigenden realen Renditen sowie ansteigenden Risiken für China hat seit Anfang August zu einer höheren Risikoaversion auf den Kapitalmärkten und damit fallenden Aktienkursen geführt. Die Renditeanstiege können jedoch zu einem guten Teil mit der zugenommenen Zuversicht für eine „weiche“ Landung in den USA erklärt werden, also einer anhaltend fallenden Inflation ohne Rezession.
Als bekannte Unbekannte („known unknown“ nach Donald Rumsfeld) bleibt jedoch China übrig. Ähnlich wie die Zentralbanken in den entwickelten Volkswirtschaften wird wohl auch die Wirtschaftspolitik in China datenabhängig, also mit wenig Blick in die Zukunft, agieren. Ob die Maßnahmen von Notenbank und Regierung in China ausreichend sind, um die Abwärtsrisiken zu verringern und das Vertrauen der Konsument:innen und Unternehmen zu steigern, kann allerdings wohl nicht einmal die Politik in China gut einschätzen.
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Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.