Anfang August sorgte die sogenannte Sahm-Rule für Aufsehen an den Märkten. Erstmals seit der Corona-Pandemie wurde dieser konjunkturelle Frühindikator ausgelöst. Doch was besagt diese Regel und wie aussagekräftig ist sie eigentlich? Im folgenden Blogbeitrag widmen wir uns diesen und noch weiteren Fragen rund um die Sahm-Rule.
Einfacher Rezessionsindikator
Die von der Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Sahm entwickelte Sahm-Rule dient als einfacher Indikator für den Beginn einer Rezession in den Vereinigten Staaten. Sie stützt sich auf Veränderungen der Arbeitslosenquote und liefert rechtzeitig Erkenntnisse für politische Entscheidungsträger und Analysten.
Die Berechnung der Regel ist für einen Frühindikator einfach: Es wird die Differenz zwischen dem aktuellen Dreimonatsdurchschnitt der Arbeitslosenquote und ihrem niedrigsten Wert in den vorangegangenen 12 Monaten berechnet. Wenn diese Differenz mehr als 0,50 Prozentpunkte beträgt, deutet die Regel darauf hin, dass die Wirtschaft wahrscheinlich in eine Rezession eintritt.
Der Sahm-Rule liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein signifikanter und anhaltender Anstieg der Arbeitslosenquote ein zuverlässiges Frühsignal für einen Wirtschaftsabschwung ist. Im Gegensatz zu komplexen Wirtschaftsmodellen oder -prognosen bietet die Sahm-Rule eine einfache und effektive Frühwarnung vor wirtschaftlichen Herausforderungen. Wenn die Arbeitslosenquote steigt und die Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, sinken die Verbraucherausgaben. Infolgedessen sinkt die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen auf dem Markt und kann zu Zweitrundeneffekten (noch mehr Arbeitsplatzverluste) führen.
Kein Fehlalarm seit 1970
Seit 1970 hat die Sahm-Regel durchweg jede Rezession erkannt, ohne einen Fehlalarm auszulösen (auch wenn es 1976 sehr knapp war). Insbesondere in den Jahren 1959 und 1969 wurde die Sahm-Regel zwar außerhalb einer Rezession ausgelöst – jedoch folgte innerhalb von sechs Monaten eine Rezession.
Die jüngsten Arbeitslosendaten in den Vereinigten Staaten lösten die Sahm-Regel mit einem gerundeten Wert von 0,53 aus. Dies ist der erste Datenpunkt oberhalb der Rezessionsschwelle von 0,50. Dennoch bleibt Claudia Sahm vorsichtig optimistisch: „Im Moment befinden wir uns nicht in einer Rezession“, und sie betont, dass Panik unangebracht ist.
Ist es diesmal anders?
Während sich die Sahm-Rule in der Vergangenheit bei der Vorhersage von Konjunkturabschwüngen auf der Grundlage einer Abschwächung des Arbeitsmarktes bewährt hat, ist Claudia Sahm nun der Ansicht, dass die jüngsten Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt eher idiosynkratisch – also spezifischer – sind. Sie erklärt: „Dieses Mal könnte es wirklich anders sein“. Faktoren wie Arbeitskräftemangel, das Ausscheiden von Menschen aus dem Erwerbsleben und die derzeit höhere Zuwanderungsrate können die Entwicklung der Arbeitslosenquote beeinflussen.
Das National Bureau of Economic Research (NBER) definiert eine Rezession als einen „erheblichen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit, der sich über die gesamte Wirtschaft erstreckt und länger als ein paar Monate andauert“. Das NBER kommt zu seiner offiziellen Feststellung, nachdem es eine Reihe von Wirtschaftsdaten über mehrere Monate hinweg ausgewertet hat. Derzeit scheinen die meisten der vom NBER berücksichtigten Daten recht robust zu sein. So stiegen die realen Verbraucherausgaben im zweiten Quartal mit einer Jahresrate von 2,6 %, und der Zuwachs an Leuten, die auf einer Gehaltsliste stehen ohne der Landwirtschaft (Non-Farm Payrolls) betrug in den letzten drei Monaten durchschnittlich 170.000. Die Beschäftigung, gemessen an der Haushaltsumfrage, bleibt in diesem Jahr jedoch relativ unverändert. Trotz des langsameren Wirtschaftswachstums befinden sich die USA immer noch im Aufschwung und noch nicht in einer Rezession. Darüber hinaus sagte der US-Notenbankpräsident Jerome Powell, dass die Daten „eine anhaltende, allmähliche Normalisierung der Arbeitsmarktbedingungen“ zeigen.
Sahm vertritt die Ansicht, dass der jüngste Anstieg der Arbeitslosenquote eher auf eine Rückkehr zur Normalität von historisch niedrigen Niveaus und auf demografische Veränderungen zurückzuführen ist als auf eine weit breit basierte wirtschaftliche Schwäche. Unterstützung findet sie beim Forschungsleiter von BCAlpha Research, der behauptet, dass die Sahm-Regel technisch nicht ausgelöst wurde. Betrachtet man die ungerundeten Arbeitslosenzahlen, so liegt die Sahm-Regel derzeit bei 0,49337 % und damit knapp unter der Schwelle von 0,5 %. Der von der Federal Reserve (US-Notenbank) ermittelte Wert von 0,53 % ergibt sich aus der Rundung aller früheren Arbeitslosenquoten auf eine Dezimalstelle.
Fazit
Die Sahm-Rule hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stets als verlässlicher Rezessionsindikator für die USA erwiesen. Auch wenn der Indikator mit dem jüngsten US-Arbeitsmarktbericht getriggert wurde, heißt das jedoch nicht zwingend, dass eine Rezession in den Vereinigten Staaten folgen muss. Der Erfinderin der Sahm-Rule, Claudia Sahm, zufolge, könnte es „diesmal anders sein“.
Abgesehen davon, bezieht sich die Sahm-Rule in erster Linie auf den US-Arbeitsmarkt. Für Europa oder die Eurozone gibt es keinen entsprechenden standardisierten Indikator. In meinem nächsten Blog am kommenden Freitag, stelle ich daher einen Ansatz vor, wie man den vielfältigen europäischen Arbeitsmarkt ähnlich der Sahm-Rule analysieren könnte.