Die Gaspreise haben in der abgelaufenen Woche ihren rasanten Höhenflug fortgesetzt: Der EU-Erdgaspreis erreichte zu Wochenbeginn mit über 76 Euro zeitweise ein Rekordhoch. Angetrieben von den Gaspreisen legten auch die Strompreise weiter zu. Der Strompreis hat zuletzt erstmals die 100-Euro-Marke pro Megawattstunde überschritten. Zu Jahresbeginn lag der Preis noch bei 50 Euro. Geschürt wurden die jüngsten Gaspreisanstiege von einem Anstieg der Nachfrage gepaart mit einer gleichzeitigen Verknappung des Angebots.
Mit der Konjunkturerholung in Folge der beginnenden Lockdown-Lockerungen war die Nachfrage nach Energie in zahlreichen Ländern deutlich gestiegen. Vor allem in Asien zog die Nachfrage nach Gas heuer stark an. Aber auch in Europa wuchs die Nachfrage dank der Wirtschaftserholung und wegen des ungewöhnlich langen Winters. Laut einer Schätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) legte die EU-Gasnachfrage im zweiten Quartal um ein Viertel zu, das ist der stärkste Zuwachs seit 1985.
Dem stehen allerdings Engpässe auf Angebotsseite gegenüber. Der kalte Winter hatte bereits die Gaslager der europäischen Versorger abschmelzen lassen. Üblicherweise nutzen die Versorger dann die warme Jahreszeit um ihre Lager wieder zu füllen. Viele Versorger konnten sie angesichts der ungewöhnlich langen Kälteperiode nur langsam auffüllen. Derzeit sind die Gasspeicher nur zu 72 Prozent gefüllt. Üblicherweise liegt dieser Wert zum Ende der Auffüllphase bei knapp 90 Prozent. Einige Versorger in Europa dürften Marktbeobachtern zufolge auf ein Ende der Gaspreisrally gehofft und daher mit dem Auffüllen zulange zugewartet haben.
Weniger Angebot aus Norwegen und Russland
Zu den spärlich gefüllten Lagern kamen zuletzt noch andere Probleme auf der Angebotsseite. So gab es bei den wichtigen Gaslieferanten Norwegen und Russland einzelne Produktionsausfälle. Manche Experten und Politiker spekulieren über eine möglicherweise politisch motivierte Angebotsverknappung von Seiten Russlands. So ortet die Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, ein klares Motiv auf russischer Seite, Gaslieferungen zu verknappen, um die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 zu beschleunigen.
„Es wurde gesagt, dass mit Inbetriebnahme von Nord Stream 2 mehr Gas nach Europa fließen könnte“, sagte Kemfert zuletzt in einem Interview mit dem Fernsehsender Phoenix. Dies lasse den Eindruck entstehen, dass man die Preise auf dem europäischen Erdgasmarkt künstlich hoch treiben will, um den Druck zu erhöhen, dass Nord Stream 2 rasch fertiggestellt wird. Von russischer Seite wurden diese Spekulationen entschieden dementiert. Es seien alle Liefervereinbarungen eingehalten worden, heißt es aus Russland.
Stromerzeuger von Preisanstiegen stark betroffen
Direkt betroffen sind von den Gaspreisanstiegen derzeit die Stromerzeuger. Europas Stromerzeugung ist weiter stark von den Rohstoffen Erdgas und Kohle abhängig. Angesichts der steigenden Preise für CO2-Emissionen ging der Trend dabei in Richtung Gas. „Gaskraftwerke emittieren weniger Treibhausgase als Kohlekraftwerke und werden deshalb bevorzugt, Kohlekraftwerke werden hinausgedrängt“, erklärte Robert Slovacek vom E-Wirtschaft-Verband Oesterreichs Energie im Gespräch mit der APA. Doch angesichts der steigenden Gaspreise wird nun teilweise wieder auf Kohle zurückgegriffen. So hat etwa Großbritannien in den vergangenen Wochen stillgelegte Kohlekraftwerke wieder hochgefahren.
Zu den am stärksten von Stromanstiegen betroffenen Ländern zählt auch Italien. Ohne staatliches Eingreifen könnten im nächsten Quartal der Strompreis um 40 Prozent und der Gaspreis um 30 Prozent steigen, warnte Italiens Premierminister Mario Draghi am Donnerstag. Die italienische Regierung plant bereits Maßnahmen, um die negativen Auswirkungen der steigenden Strompreise auf Familien und Unternehmen einzudämmen.
Energiepreise treiben Inflation weiter an
Die steigenden Gas- und Strompreise schüren mittlerweile auch die Sorgen vor weiteren Anstiegen der Inflation. Die Inflationsentwicklung wird derzeit an den Finanzmärkten aufmerksam verfolgt, denn Anstiege der Teuerungsraten könnten Gegenmaßnahmen der Notenbanken und damit ein baldiges Ende der aktuell konjunkturstützenden Geldpolitik zur Folge haben.
In den jüngsten Inflationsdaten der Eurozone haben sich die Energiepreise bereits deutlich niedergeschlagen. Im August waren die Verbraucherpreise laut Eurostat um 3,0 Prozent gestiegen, die Inflationsrate im Euroraum hat damit den höchsten Stand seit November 2011 erreicht. Im Juli hatte die Rate noch bei 2,2 Prozent gelegen. Besonders stark verteuerte sich im August erneut Energie, die 15,4 Prozent teurer war als ein Jahr zuvor.
Das deutsche Ifo-Institut erwartet für Deutschland heuer im Gesamtjahr eine Inflationsrate von 3,0 Prozent. Das wäre der stärkste Verbraucherpreisanstieg seit 28 Jahren. Eine höhere Teuerungsrate gab es zuletzt 1993 mit 4,5 Prozent. Dahinter stecken die Energiepreisanstiege, aber auch ein für das Land spezifischer Sonderfaktor: Die temporäre Mehrwertsteuersenkung im zweiten Halbjahr 2020 hatte zwar die Konjunktur gestützt, schiebt nun aber die Inflation an.
Auch Lebensmittelbranche leidet unter Preisrally
Doch nicht nur der Strommarkt, auch die Lebensmittelbranche litt zuletzt stark unter den Gaspreisanstiegen. Denn mit den Gaspreisen legten auch die Preise von Kohlendioxid (CO2) zu. CO2 ist ein Nebenprodukt bei der Düngemittelherstellung, die als Rohstoff natürliches Gas verwendet. Einzelne Düngemittelkonzerne hatten angesichts der Gaspreisanstiege ihre CO2-Produktion bereits gedrosselt oder sogar gestoppt.
Das CO2 fehlt jetzt in Schlachtbetrieben, wo es zu Betäubungszwecken eingesetzt wird. CO2 ist zudem wichtig für die Kühlkette der Lebensmittelbranche, für Vakuum-Verpackungen von Fleisch und für die Herstellung von Bier und Softdrinks. Fleischhersteller in Großbritannien kommen bereits jetzt zunehmend in Bedrängnis. Die Regierung griff zwar dem Industriezulieferer CF Industries für ein paar Wochen unter die Arme, um die Produktion von CO2 wieder zum Laufen zu bringen. Die britische Lebensmittelbranche warnt dennoch vor Engpässen.
Die weitere Entwicklung der Gas- und Ölpreise hängt nun stark von der Angebotslage, aber auch von der kommenden Wetterentwicklung ab. Etwas Entspannung dürfte bald eine geplante Erhöhung des norwegischen Gasangebots bringen. Grund zur Panik gibt es derzeit nicht, für eine Entwarnung sei es aber ebenfalls noch zu früh, so der Grundtenor von Energieexperten.
Mehrere europäische Staaten planen gerade Maßnahmen um die Folgen der Preisrally abzufedern, auch EU-weite Maßnahmen sind im Gespräch. Auf EU-Ebene soll ein «Werkzeugkasten» erstellt werden, aus dem Mitgliedsländer Maßnahmen wie etwa Mehrwertsteuersenkungen verwenden können, ohne die EU-Richtlinien für Energiemärkte zu verletzen. Viele Experten wie etwa Claudia Kemfert vom DIW fordern zudem eine stärkere Förderung erneuerbarer Energien um Europas Abhängigkeit von den russischen Gasimporten zu senken.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.