Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft in der Europäischen Union, hat gewählt. Damit neigt sich die Amtszeit der „Allparteienregierung“ von Ministerpräsident Mario Draghi, der die Amtsgeschäfte trotz des Rücktritts im Juli interimsmäßig weiterführt, dem Ende zu. Welche Auswirkungen das für das Land und die Zusammenarbeit in der Europäischen Union mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten.
Das Wahlergebnis
Im Zuge der am letzten Sonntag durchgeführten Parlamentswahlen wurden die zukünftigen Vertreter:innen der beiden politischen Kammern (Senat, Abgeordnetenkammer) neu gewählt (erstmals seit der Wahlrechtsreform von 2020 nun verkleinert mit 200 bzw. 400 Sitzen). Der große Wahlsieger ist die Partei „Fratelli d’Italia“ um Spitzenkandidatin Giorgia Meloni. Sie erreichte ca. 26% der Stimmen und wurde damit die stimmenstärkste Partei. Das in Wahlumfragen favorisierte Mitte-Rechts Bündnis, bestehend aus den 3 Parteien „Fratelli d’Italia, „Lega“ und „Forza Italia“, konnte in beiden Kammern mit etwa 43% der Stimmen die absolute Mehrheit erringen. Giorgia Meloni steht vor der Wahl zur ersten Ministerpräsidentin Italiens. Eine 2/3-Mehrheit wurde jedoch nicht erreicht. Sie hätte mögliche künftige Verfassungsänderungen in einer potenziellen Regierung erleichtert.
Das Mitte-Rechts Bündnis
Die Partei von Giorgia Meloni („Fratelli d’Italia“) war im Unterschied zu den beiden anderen Parteien des Bündnisses nicht in der Allparteienregierung unter Mario Draghi vertreten und hat bei dieser Wahl bei den Protestwähler:innen gepunktet. Als Oppositionsführerin schaffte sie in den vergangenen Jahren den politischen Aufstieg mit Themen wie Freiheit, Nationalstolz, Selbstbestimmungsrecht Italiens und EU-Kritik sowie der Vertretung konservativer Werte und einer strengeren Migrations- und Asylpolitik.
Matteo Salvini („Lega“) positionierte sich als ehemaliger Innenminister vor allem als Verfechter von Sicherheits- und Migrationspolitik sowie konservativen Werten. Der Zusammenhalt in der Partei ist jedoch unter der Führung von Salvini weiter geschwächt worden. Vor allem im Norden Italiens stoßen die teils radikalen Ansichten auf mäßigen Erfolg. Der Politikveteran Silvio Berlusconi („Forza Italia“) versprach vor allem Steuererleichterungen, eine Flat-Tax im Bereich der Einkommensteuer sowie Pensionserhöhungen.
Wie sich das Kräfteverhältnis innerhalb des Bündnisses entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Während die „Lega“ bei den letzten Parlamentswahlen 2018 noch die stärkste der 3 Parteien des Bündnisses war, liegt sie nach einem Stimmenverlust von -8,5% nur mehr bei knapp 9% der Stimmen. Somit landete die Partei nur geringfügig vor dem dritten Bündnispartner „Forza Italia“, der ebenfalls herbe Verluste hinnehmen musste.
Ausblick: Budgetärer Spielraum beschränkt
In den kommenden Wochen und Monaten stehen in Italien wichtige Entscheidungen an. Sollten sich die Parteien auf eine gemeinsame Regierung einigen, wird es u.a. auf die folgenden Themenschwerpunkte sowie deren Priorisierung in einer neuen Regierung ankommen:
- Budgetverhandlungen
- Migrations- und Asylpolitik
- Familienpolitik
- Minderheitenrechte
- Europa-Skepsis
Die Budgetverhandlungen finden in Italien traditionsgemäß im Herbst statt, um am Jahresende ein Budget verabschieden zu können. Abhängig von der Dauer der Regierungsbildung ist das vorhandene Zeitfenster sehr überschaubar. Hinzu kommt, dass konkrete Vorschläge für Unterstützungsmaßnahmen von Bevölkerung und Unternehmen, Steuererleichterungen und Wirtschaftspolitik erst verhandelt bzw. konkretisiert werden müssen. Der budgetäre Spielraum dürfte aufgrund der im EU-Vergleich sehr hohen Staatsverschuldung begrenzt sein.
Zu potenziellen Spannungen zwischen der neuen Regierung und der EU könnte es in der Frage der Migrations- und Flüchtlingspolitik kommen: Die italienische Seite könnte sie verschärfen und konkrete Verhandlungsergebnisse bzw. Zusagen von der EU einfordern. Unter Mario Draghi wurden Konditionen für die knapp 200 Milliarden Euro Auszahlungen aus dem Next Generation EU Fonds bis 2026 vereinbart. Davon sind ca. 2/3 in Form von Krediten und 1/3 in Form von Zuschüssen. Die Kernbereiche dieses Fonds sind folgende: Ökologisierung (37%), Digitalisierung (25%) sowie Bildung und Gesundheitswesen. Giorgia Meloni möchte diese mit der EU zumindest teilweise neu verhandeln. Dem Konfliktpotential angepasst wurde im Wahlkampf damit begonnen, viele Aussagen gegenüber der EU diesbezüglich bewusst diplomatisch zu formulieren.
Die Risikoaufschläge italienischer Staatsanleihen gegenüber Anleihen der Bundesrepublik Deutschland haben sich im Jahresverlauf ausgeweitet. Sie liegen für eine Restlaufzeit von 10 Jahren aktuell bei 2,5%. Staatsanleihen aus Italien mit einer Restlaufzeit von 5 Jahren rentieren mit einem Risikoaufschlag von 2% derzeit bei knapp über 4% (Quelle: Bloomberg, 27.9.2022).
Fazit
Eine neue italienische Regierung steht vor großen Herausforderungen. Auch wenn die Spannungen unter einer Regierung des Mitte-Rechts Bündnisses mit der EU in vielen Gesichtspunkten mittelfristig zunehmen dürften, so könnten die kurzfristigen Vorteile für beide Seiten überwiegen. Reinvestitionen aus den Anleihekaufprogrammen, das Transmission Protection Instrument (TPI) der EZB sowie Zahlungen aus dem Next Generation EU Fonds wären sinnvolle Unterstützungsmaßnahmen für die italienische Wirtschaft und könnten in den kommenden Jahren maßgeblich dazu beitragen, die Staatsverschuldung sowie die Finanzierung einer ansteigenden Zinslast in einem nachhaltigen Ausmaß zu beschränken. Es bleibt also abzuwarten, welche Taten auf die teils kalmierende Wortwahl von Giorgia Meloni im Wahlkampf folgen werden und in welchem Ausmaß Italien bereit ist, Konflikte mit der Europäischen Union zu riskieren bzw. eskalieren zu lassen.
Erläuterungen zu Fachausdrücken finden Sie in unserem Fonds-ABC.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.