Die Anzeichen für einen schrittweisen Wechsel des treibenden Faktors für die Finanzmärkte nehmen zu. Bis jetzt waren es höher als erwartete Inflationsindikatoren. In Zukunft könnten es enttäuschend schwache Indikatoren für die wirtschaftliche Aktivität sein.
Hohe Inflationsraten
Die Inflationsraten sind nach wie vor hoch. In der vergangenen Woche zeigte die Veröffentlichung der Konsumentenpreise in der Eurozone für den Monat Oktober einen Anstieg um 1,5% im Monatsabstand auf 10,6% im Jahresabstand. Im Vereinigten Königreich betrug der Inflationsanstieg 2,0% im Monatsabstand und 11,1% im Jahresabstand. In Kanada legte die Inflation mit 0,7% im Monatsabstand auf 6,9% im Jahresabstand zu.
Abnehmender Inflationsdruck
Auf der Produzentenebene nimmt der Inflationsdruck in zahlreichen Ländern jedoch bereits ab. So sind in Deutschland die Produzentenpreise im Monat Oktober um 4,2% im Monatsabstand gefallen (auf 34,5% im Jahresabstand). In den USA ist die Produzentenpreisinflation bereits seit Juli deutlich geringer als in den Monaten davor (Oktober: 0,2% p.m., 8,8% p.a.). Zudem lagen in den USA auch die Konsumentenpreise im Oktober mit 0,4% im Monatsabstand und 7,7% im Jahresabstand unter den Erwartungen. Natürlich wird noch einige Zeit vergehen, bis sich die stark angestiegenen Produzentenpreise vollständig auf die Konsumentenpreise übergewälzt haben (Erstrundeneffekte). Unter der Annahme, dass die Zweitrundeneffekte gedämpft bleiben (keine Lohne-Preis-Spirale), werden die Inflationsraten aber im nächsten Jahr fallen. Die Unsicherheit darüber, auf welchem Niveau sich die Inflation einpendeln wird, bleibt jedoch groß.
Zinspolitik mit Rückspiegel
Weil sich die Hinweise für ein vorläufiges Ende der Inflationsüberraschungen mehren, und die Leitzinsen bereits deutlich angehoben wurden, signalisieren die Zentralbanken eine Verringerung der Geschwindigkeit der Leitzinsanhebungen und eine Pause (vielleicht sogar ein Ende) im Zinsanhebungszyklus. Das hat in den vergangenen Wochen die Wertpapierkurse unterstützt. Allerdings wirkt die Geldpolitik bereits jetzt restriktiv, das heißt, dämpfend auf die wirtschaftliche Aktivität. Diese Politik wird so lange beibehalten werden, solange die Inflationspersistenz, also der Zusammenhang zwischen der aktuellen und der vergangenen Inflation hoch und der Arbeitsmarkt eng bleibt. Anders ausgedrückt: Erst wenn die Inflationsraten deutlich gesunken sind, ist eine Abkehr von der restriktiven Politik wahrscheinlich. Die Geldpolitik agiert derzeit mit einem Rückspiegel, weil die Inflationsdynamik nicht gut verstanden wird.
Kurveninversion
Bereits jetzt weisen zahlreiche Indikatoren auf ein negatives wirtschaftliches Momentum hin. Auf der Marktseite ist der Unterschied zwischen der zweijährigen und der zehnjährigen Staatsanleiherendite in den USA auf minus 0,7 Prozentpunkte angestiegen. Mittlerweile ist auch der Unterschied zwischen dem Drei-Monatszinssatz und der zehnjährigen Rendite negativ (minus 0,4 Prozentpunkte). Auch in Deutschland ist der Zinsunterschied zwischen der zweijährigen und der zehnjährigen Rendite negativ, wenn auch nur leicht mit 0,07 Prozentpunkten. Die kurzen Laufzeiten reflektieren eine restriktive Zinspolitik. Dadurch werden die Inflation und das Wirtschaftswachstum reduziert. Die langlaufenden Renditen bestehen im Wesentlichen aus der Summe der erwarteten kurzlaufenden Zinsen. Die langen Laufzeiten preisen mithin bereits Leitzinssenkungen ein. Statistisch betrachtet ist eine sogenannte Kurveninversion ein guter Rezessionsindikator. Natürlich könnte sich im nächsten Jahr eine „weiche“ Landung, das heißt, eine Abschwächung des Wachstums und der Inflation ohne Rezession, ausgehen. Die Wahrscheinlichkeit spricht aber dagegen.
Fallende Wachstumsindikatoren
Zudem neigen zahlreiche Indikatoren weiterhin zur Schwäche. Zu sehen ist das unter anderem an den besonders zinssensitiven Segmenten (Bau). In den USA befindet sich der NAHB Housing Market Index im freien Fall. In den G4 (USA, UK, Eurozone, Japan) haben die Banken die Kreditvergaberichtlinien deutlich verschärft. Auch der Fertigungssektor weist immer deutlicher auf eine Schrumpfung hin. Beispielsweise fallen in einigen wichtigen Ländern in Asien die Exporte (Südkorea: -17% p.a. im November, Singapur: -6% p.a. im Oktober, China: -0,3% p.a. im Oktober, Exportaufträge in Taiwan: -6% p.a. im Oktober). In den USA ist der Leading Index des Conference Board bereits das achte Mal in Folge im Monatsabstand auf minus 2,7% im Jahresabstand gefallen. Ebenfalls in den USA ist der National Activity Index der Chicago Fed ins Minus gerutscht (weist auf eine BIP-Kontraktion hin) und schrammt der Business Outlook Index der Philadelphia Fed mit einem weiteren Rückgang für den Monat November an der Rezessionsgrenze.
In Europa ist eine moderate BIP-Schrumpfung im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 wahrscheinlich. Für das Vereinigte Königreich zeichnet sich ein deutlicher BIP-Rückgang zwischen dem dritten Quartal 2022 und dem zweiten Quartal 2023 ab. Das jüngst präsentierte staatliche Sparpaket von 55 Milliarden GBP wird die wirtschaftliche Aktivität auch auf die mittlere Sicht dämpfen. In China reduzieren die Corona-Eindämmungsmaßnahmen und der Einbruch am Immobilienmarkt die Inlandsnachfrage. Für China wird für 2022 nur noch ein Wirtschaftswachstum von rund 3% erwartet. Die jüngst präsentierten Lockerungsmaßnahmen (mehr Liquidität für Entwickler, weniger scharfe Bankenregulierung) werden dem Immobiliensektor erst mittelfristig (mehrere Monate) helfen können.
Schlussfolgerung: Das Umfeld leicht fallender Inflationsraten, anhaltend restriktiver Geldpolitiken und fallender Wachstumsindikatoren bevorzugt generell Anleihen gegenüber Aktien. Die Einschätzung, dass die Leitzinsen bis auf ein restriktives Niveau angehoben werden und auch für einige Zeit dort bleiben werden, könnte mittlerweile ausreichend in den Anleiherenditen enthalten sein. Ansteigende Renditen haben in diesem Jahr den Wert der zukünftigen Kuponzahlungen der ausstehenden Anleihen stark verringert. Deshalb waren die Anleihekurse einem starken Abwärtsdruck ausgesetzt. Dieser negative Prozess könnte auslaufen. Aufgrund des angestiegenen Renditeniveaus hat damit die Attraktivität von Anleihen zugenommen. Gleichzeitig haben mit den Risiken für das Wirtschaftswachstum auch jene für die zukünftigen Unternehmensgewinne zugenommen. Das könnte im nächsten Jahr einen Gegenwind für die Aktienkurse darstellen.
Schlussfolgerung
Das Umfeld leicht fallender Inflationsraten, anhaltend restriktiver Geldpolitiken und fallender Wachstumsindikatoren bevorzugt generell Anleihen gegenüber Aktien. Die Einschätzung, dass die Leitzinsen bis auf ein restriktives Niveau angehoben werden und auch für einige Zeit dort bleiben werden, könnte mittlerweile ausreichend in den Anleiherenditen enthalten sein. Ansteigende Renditen haben in diesem Jahr den Wert der zukünftigen Kuponzahlungen der ausstehenden Anleihen stark verringert. Deshalb waren die Anleihekurse einem starken Abwärtsdruck ausgesetzt. Dieser negative Prozess könnte auslaufen. Aufgrund des angestiegenen Renditeniveaus hat damit die Attraktivität von Anleihen zugenommen. Gleichzeitig haben mit den Risiken für das Wirtschaftswachstum auch jene für die zukünftigen Unternehmensgewinne zugenommen. Das könnte im nächsten Jahr einen Gegenwind für die Aktienkurse darstellen.
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