Die US-amerikanische Zentralbank Fed wird diesen Mittwoch voraussichtlich einen Leitzinssenkungszyklus starten. Darauf deuten zumindest die zahlreichen Aussagen von Fed-Mitgliedern hin. In diesem Zyklus wurde bereits mehrmals der Beginn von Leitzinssenkungen eingepreist, nur um kurz danach aufgrund der überraschend hohen Teuerung enttäuscht zu werden. Auch diesmal ist die Kerninflation (Gesamtzahl für die Konsumentenpreise ohne Nahrungsmittel und Energie für den Monat August, Anm.) überraschend um 0,3% im Monatsabstand angestiegen. Die Schätzung lag bei 0,2%. Der Trend der zahlreichen Indikatoren für die zugrundeliegende Inflation weist aber klar nach unten. Im Jahresabstand ist die Kerninflation nur um 2,5% im Jahresabstand angestiegen. Ohne die geschätzte Komponente „Äquivalente Miete des Eigentümers“ wäre die Inflation deutlich niedriger. Im Juli lag die von der Europäischen Zentralbank für die USA berechnete Konsumentenpreisinflation (HICP) bei lediglich 1,7%.
Weshalb jetzt die Leitzinsen sinken
Die Eckpunkte der bevorstehenden Leitzinssenkungen wurden bereits von einigen Fed-Mitgliedern skizziert:
- Die Risiken haben sich weg von der Inflation hin in Richtung Beschäftigung verschoben. Deshalb muss die Geldpolitik entsprechend angepasst werden.
- Es ist an der Zeit, das Zielband für die Federal Funds Rate auf der nächsten Sitzung zu senken.
- Es ist wahrscheinlich, dass eine Reihe von Senkungen angemessen sein wird.
- Eine weitere Abschwächung des Arbeitsmarktes ist nicht erstrebenswert.
- Die Festlegung des Tempos der Zinssenkungen und letztlich der gesamten Senkung des Leitzinses sind Entscheidungen, die in der Zukunft liegen.
Bis Ende 2025 könnten die US-Leitzinsen auf 3% fallen
Noch im April reflektierten die Marktpreise nur eine moderate Leitzinsanpassung nach unten (minus 1 Prozentpunkt auf 4,5% bis Ende 2025). Mittlerweile kann man von einem Zinssenkungszyklus sprechen. Ob am kommenden Mittwoch der Leitzinssatz um 0,25 oder um 0,5 Prozentpunkte abgesenkt wird, ist nicht klar. Die Marktpreise weisen jedenfalls für beide Ereignisse eine gleiche Wahrscheinlichkeit auf. Für eine Absenkung um 0,5 Prozentpunkte spricht, dass die Zentralbank nicht länger restriktiv bleiben wirken möchte. Das bedeutet eine rasche Absenkung auf ein neutrales Niveau. Ende 2025 könnte der Leitzinssatz bei 3% liegen (ein Prozent realer neutraler Zinssatz plus zwei Prozent Inflation).
EZB liefert „hawkishe“ Zinssenkung
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am vergangenen Donnerstag die zweite Leitzinssenkung in diesem Jahr vorgenommen. Der Leitzinssatz (Einlagenfazilität) wurde von 3,75% auf 3,5% gesenkt. Bei der Anleitung der Markterwartungen (Forward Guidance) fällt ein deutlicher Unterschied zur US-amerikanischen Zentralbank (Fed) auf: Damit die Inflation zeitnah wieder auf das mittelfristige Inflationsziel von zwei Prozent zurückkehrt, seien ausreichend restriktive Leitzinsen nötig. Im Unterschied dazu implizieren die Fed-Signale eine Absenkung auf ein neutrales Niveau. Dabei wird weiterhin ein datenabhängiger Ansatz verfolgt. Die EZB hat weiterhin wenig Zutrauen in ihre Prognosen. Im Unterschied dazu sprechen die Fed-Signale von einer Reihe von Senkungen.
EZB-Prognosen mit Schwachstellen
Die Projektionen für die Inflation gehen jedenfalls von einem Rückgang der Kerninflation (Gesamtzahl ohne Nahrungsmittel und Energie) von 2,9% in diesem Jahr auf 2,3% im Jahr 2025 und 2,0% im Jahr 2026 aus. Etwas konterkariert wird diese Annahme durch die anhaltend hohe Inflation im Dienstleistungssektor (August: 4,2% im Jahresabstand). Für das Wirtschaftswachstum wird ein Anstieg von 0,8% im Jahr 2024, auf 1,3% im Jahr 2025 und 1,5% im Jahr 2026 erwartet. Der treibende Faktor dafür sollten die steigenden Realeinkommen der Haushalte sein. Denn diese sollten zu einem höheren privaten Konsum führen. Diese Erwartung hat es bereits für heuer gegeben, doch sie wurde enttäuscht.
Langsame EZB-Zinssenkungen auf 2% im Jahr 2025
Solange die Eurozone ein leichtes Wachstum aufweist, wird die EZB die Leitzinsen wahrscheinlich nur langsam senken. Das bedeutet für dieses Jahr eine weitere Zinssenkung im Dezember. Bis Ende 2025 könnte ein Leitzinssatz von 2% erreicht werden. Dieser Wert entspricht einer groben Schätzung für ein neutrales Niveau (null Prozent realer neutraler Zinssatz plus zwei Prozent Inflation).
Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in der EU
Leitzinssenkungen können nur eingeschränkt helfen den stotternden Wirtschaftsmotor wieder ins Laufen zu bringen. Ein wichtiges strukturelles Defizit in der Europäischen Union ist die stagnierende Produktivität. Der am 9. September von der Europäischen Kommission veröffentlichte Bericht von Mario Draghi über die Wettbewerbsfähigkeit von Europa („The future of European Competitiveness“) kann als ein Weckruf interpretiert werden. „Die EU hat einen Punkt erreicht, an dem sie ohne Maßnahmen entweder ihren Wohlstand, die Umwelt oder ihre Freiheit gefährdet.“ Mario Draghi schlägt unter anderem massive Investitionen in die Innovationskraft sowie einen Ausbau und eine weitere Integration des europäischen Kapitalmarktes vor. Solange die Maßnahmen nicht umgesetzt werden, werden Wachstumszahlen für das Bruttoinlandsprodukt von unter einem Prozent keine Ausnahme mehr sein.
Strukturprobleme in China
China ist mit mehreren Problemen konfrontiert: Die schwache Inlandsnachfrage, die Anpassung nach unten im Immobiliensektor und die Überkapazitäten. Die jüngst veröffentlichten Wirtschaftsdaten für den Monat August deuten auf ein anhaltend niedriges Wachstum im dritten Quartal sowie auf eine anhaltend negative Inflation hin. Das gesamte Kreditwachstum ist weiter gefallen (Total Social Financing im August: 8,1% im Jahresabstand nach 8,2% im Juli). Dabei lieferte der Anstieg des Nettoemissionsvolumens von Staatsanleihen einen maßgeblichen Beitrag. Das Wachstum der Bankenkredite schwächte sich weiter von 8,7% im Jahresabstand auf 8,5% ab. Der Kreditimpuls (Veränderung des Kreditwachstum in Relation zum nominellen Wirtschaftswachstum) ist bereits seit Februar negativ. Auch die Industrieproduktion schwächte sich weiter ab (August: 4,5% nach 5,1%). Dabei wiesen die exportorientierten Unternehmen sowie High-Tech-Unternehmen ein kräftiges Wachstum auf. Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze lag mit 2,1% im Jahresabstand (Juli: 2,7%) weiterhin unter dem Wachstum der Industrieproduktion. Dadurch besteht weiterhin Druck, dass die Preise fallen. Die Investitionstätigkeit schwächte sich weiter ab (Jänner bis August: 3,4% im Jahresabstand). Dabei wiesen die Immobilieninvestitionen weiterhin eine kräftige Kontraktion auf (10,2%). Die Schätzung für das reale Wachstum des Bruttoinlandsproduktes liegt bei 4,6% in diesem Jahr. Die Risiken sind nach unten gerichtet. China fällt als globaler Wachstumsmotor aus.
Die Strukturprobleme in China und der Europäischen Union verstärken die Wichtigkeit der USA für die Finanzmärkte. Für heuer wird ein Wirtschaftswachstum in den USA von 2,5% erwartet, das sich im Basisszenario auf 1,7% im nächsten Jahr abschwächt. Gleichzeitig fällt die Inflation in Richtung Zentralbankziel, und die Fed wird die Leitzinsen rasch auf ein neutrales Niveau senken.
FAZIT
Dieses Umfeld ist generell günstig für die risikobehafteten Wertpapierklassen wie Aktien. Doch in den USA haben in den vergangenen Monaten die Abwärtsrisiken (Rezessionsrisiken) zugenommen, weil sich der Arbeitsmarkt abschwächt. Aus diesem Grund haben wir Aktien untergewichtet und Anleihen übergewichtet.
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Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.