Frankreichs heiß umstrittene Pensionsreform steht kurz vor ihrer finalen Absegnung. Rund eine Woche nach der Verabschiedung in der Nationalversammlung steht nur mehr das Urteil des Verfassungsrats aus, der noch die Rechtmäßigkeit der Reform prüfen muss. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist zuversichtlich, dass die Pensionsreform „bis zum Jahresende“ in Kraft tritt. „Diese Reform ist notwendig“, betonte er zuletzt wieder in einem TV-Interview. In der vergangenen Woche wurden die Proteste gegen die Reform unterdessen radikaler. Bei Demonstrationen in Paris kam es erneut zu Ausschreitungen. Auch mehrere Häfen, Bahnhöfe sowie Teile des Pariser Flughafens Charles-de-Gaulle wurden von Protestierenden blockiert.
Mit der Reform will Macron das Pensionseintrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre erhöhen und damit dem europäischen Schnitt annähern. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt bereits jetzt später: Wer für eine volle Pension nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Pension ohne Abschlag – dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Pension schneller steigen soll. Die monatliche Mindestpension will sie zudem auf rund 1.200 Euro erhöhen.
Anhebung des Pensionsalters soll Lücke in Pensionskassa schließen
Die Regierung will mit der Reform eine drohende Lücke in der Pensionskassa schließen. Die öffentlichen Ausgaben für das Pensionssystem machten in Frankreich laut OECD-Daten im Jahr 2021 14,5 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) aus. Das ist der dritthöchste Wert in der EU, übertroffen nur von Griechenland und Italien mit jeweils knapp 16 Prozent des BIP. Eurostat-Daten für 2020 sehen Frankreich sogar an zweiter Stelle im Ländervergleich.
Dem stehen eine weiter steigende Lebenserwartung in Frankreich und damit längere Pensionszeiten gegenüber. Laut einer Studie des französischen Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2022 dürfte die Lebenswertung für Männer bis zum Jahr 2070 von derzeit 80 auf rund 87 Jahre steigen, bei Frauen wird ein Anstieg von rund 86 auf 91 Jahre erwartet. Drastisch verschieben dürfte sich auch das Verhältnis von Menschen im Pensionsalter und der Zahl der Erwerbstätigen. 2019 lag das Verhältnis bei knapp 37 Prozent, auf 3 Erwerbstätige kommt also im Schnitt ein Pensionist. Bis zum Jahr 2070 soll dieser Wert laut der Studie aber auf knapp 57 Prozent steigen.
Der Anteil der Ausgaben für das Pensionssystem dürfte damit bis 2030 auf zwischen 15 und 16 Prozent des BIP steigen, prognostiziert das Ministerium. Dieser Anteil dürfte zwar auch ohne Pensionsreform in Folge sinken, wie aus der vor den Reformplänen veröffentlichten Studie hervorgeht, denn einige Effekte früherer Pensionsreformen schlagen sich erst mit deutlicher Verzögerung in den Ausgaben nieder. Der Anteil wird aber auch in dieser Prognose nach 2030 weiter klar über 12 Prozent gesehen.
Macron hält an Reformkurs fest
Entsprechend verteidigt wird von Macron auch die Notwendigkeit der Reform. Die Reform sei sehr schwierig, sagte er vor wenigen Tagen in einem Fernsehinterview. „Wir verlangen von den Menschen eine Anstrengung. Das ist nie beliebt.“ Er fragte: „Denken Sie, es macht mir Spaß, diese Reform zu machen?“ und antwortete: „Nein“. Aber: „Zwischen den Umfragen und der Kurzfristigkeit und dem allgemeinen Interesse des Landes entscheide ich mich für das allgemeine Interesse des Landes.“
Die Öffentlichkeit, aber auch die Oppositionsparteien sehen dies anders. Da keine parlamentarische Mehrheit für die Reform gefunden werden konnte, musste Macron zur Durchsetzung des Reformgesetzes auf den viel kritisierten Verfassungsartikel 49.3 zurückgreifen. Dieser erlaubt es, ein Gesetz ohne parlamentarische Schlussabstimmung zu verabschieden, wenn die Regierung ein anschließendes Misstrauensvotum übersteht. Am vergangenen Montag war die französische Regierung bei einem solchem Votum knapp ihrem Sturz entgangen. Das von der Regierung durchgesetzte Schnellverfahren hatte die Proteste gegen die Reform aber weiter angeheizt.
Die Proteste dürften Macron aber nicht von seinem Reformwillen abbringen. Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte der Präsident die Unternehmenssteuern gesenkt und eine Reform des Arbeitsmarkts durchgesetzt. Einigen Ökonomen zufolge sind die Folgen dieser Reform bereits zu sehen: Die Arbeitslosenrate sank seit Macrons Amtsantritt von 9,5 auf 7,2 Prozent im vierten Quartal 2022.
Weitere Reformen dürften aber nötig sein, auch um die Staatsverschuldung wieder herunterzufahren. Die Ratingagentur Standard & Poors‘ (S&P) hat im Dezember den Bonitäts-Ausblick für Frankreich von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Die Bewertung der langfristigen Fremdwährungsanleihen blieb zwar zunächst bei „AA“, es droht aber eine Abstufung in der Zukunft. Als Grund für die Änderung des Ausblicks nannte S&P die zunehmenden Haushaltsrisiken. Der Wirtschaftsabschwung in Europa dürfte das Wachstum in Frankreich begrenzen, so die Agentur.
Rechnungshof fordert weitere Konsolidierung der Staatsfinanzen
Auch Frankreichs Rechnungshof hat sich zuletzt besorgt über die Finanzlage des Landes geäußert und eine Konsolidierung der Staatsfinanzen angemahnt. Die Lage der öffentlichen Finanzen Frankreichs werde auch 2023 zu den schlechtesten in der Eurozone gehören, erklärte der Rechnungshof im März.
Während 2022 eigentlich eine Senkung der Staatsausgaben nach der Corona-Krise geplant gewesen sei, habe die Regierung angesichts der Folgen des Ukraine-Kriegs zu weiteren Unterstützungsmaßnahmen gegriffen. Dies lasse ein öffentliches Defizit von 5,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwarten, wodurch sich die Senkung der Defizit- und Schuldenquote verschiebe. Der Rechnungshof forderte daher eine Strategie zur entschlossenen Sanierung der öffentlichen Finanzen ein.
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