Jeder Tag, den der Krieg in der Ukraine andauert, ist nicht nur ein Tag zu viel, er rüttelt auch an klar definierten Grundsätzen von nachhaltigen Investor:innen. Ein einheitlicher Grundsatz war bis dato zum Beispiel der Ausschluss von Waffenproduzent:innen. Das wird durch den russischen Einmarsch in die Ukraine plötzlich hinterfragt.
Das zu späte Erwachen des Frosches im Kochtopf
Langsam wärmte sich das Wasser im Kochtopf, in dem der Frosch glücklich seine Runden schwamm, bis es plötzlich zu kochen begann und es für die Flucht zu spät war. Diese Legende vom gekochten Frosch erinnert in mehreren Facetten an sehr aktuelle Probleme. Einerseits an unsere Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen und die Auswirkung auf den Klimawandel. Andererseits an unsere Abhängigkeit von Russland und die Finanzierung des russischen Militärapparats mit unserer Gasrechnung. Vielleicht sollten die Deutschen ihre Atommeiler doch nicht wie geplant vom Netz nehmen? Europäischer Regulator, bitte kommen?
Europäische Regularien – das Feindbild der freien Marktwirtschaft?
Jahrelang wurden nachhaltige Investor:innen ob ihrer Bedeutung am internationalen Finanzmarkt belächelt. Dann begann die Europäische Kommission Vorschriften für nachhaltige Veranlagungen zu erlassen und zu definieren, welche Kriterien nachhaltige Investitionen erfüllen müssen. Wenngleich kein:e einzelne:r Investor:in gezwungen wird, nachhaltig zu veranlagen, ist der Aufschrei ob dieser Regularien groß. Plötzlich wird der Rückfall von der freien Marktwirtschaft in eine ineffiziente Planwirtschaft befürchtet. Interessant ist, dass ähnliche Aufschreie bisher ausblieben, wenn marktdominierende Indexanbieter:innen freihändig ohne demokratische Legitimation Kriterien für Indexzusammensetzungen oder Branchendefinitionen festlegten. Dabei besteht kein Grund zur Furcht, auch in Zukunft kann außerhalb der sogenannten Taxonomie veranlagt werden. Es wird allerdings schwieriger, damit ein grünes „Mascherl“ zu bekommen.
Die Streitpunkte der europäischen Taxonomie
Atomkraft und Waffen sind die größten Streitpunkte bei der Definition eines sozialen sowie ökologischen europäischen Regelwerkes zur Schaffung einheitlicher Kriterien für nachhaltige Investments. So wurde aufgrund des starken politischen Drucks nach langem Ringen die Atomkraft (unter bestimmten Bedingungen) als grün klassifiziert. Das bedeutet, dass ein nachhaltiger Fonds im Sinne der Taxonomie-Verordnung auch in Versorger:innen, die Energie aus Kernkraft produzieren, investieren darf. Allerdings bedeutet es nicht, dass jene Investor:innen, die Atomkraft aus guten Gründen ablehnen (in separaten Blogbeiträgen erläutert), in ebendiese investieren muss. Fondsinhaber:innen unserer Responsible-Fondsfamilie (das umfasst sämtliche Fonds, die auch das österreichische Umweltzeichen tragen) können sich beispielsweise sicher sein, dass diese auch in Zukunft Atomkraft ausschließen werden.
Das soziale Pendant, die soziale Taxonomie, ist hingegen erst in Ausarbeitung und noch nicht final beschlossen. Sollte der Waffenindustrie aufgrund des Ukrainekonflikts eine neue Rolle zugeschrieben werden und diese damit für soziale Investments nach europäischer Klassifizierung zulässig werden, wird dies zu keinem Umdenken des ESG-Verständnisses der Erste AM führen. Der Ausschluss von geächteten Waffen, die Medienberichten zufolge leider auch in der Ukraine zum Einsatz kommen, wird unverändert für alle Publikumsfonds der Erste AM beibehalten.
An wen soll der Friedensnobelpreis nun gehen?
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner hat in Reaktion auf den Ukrainekrieg erneuerbare Energien trefflich als Freiheitsenergien bezeichnet. Jene Länder, die einen besonders hohen Anteil ihrer Wertschöpfung aus dem Verkauf von fossilen Rohstoffen erzielen, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit autokratisch geführt. Fossile Rohstoffe zerstören offensichtlich nicht nur unsere Umwelt, ihr Abbau fördert auch nicht-demokratische Strukturen. Während Atomkraftwerke als Nebenprodukt Plutonium produzieren, das wiederum in Atombomben zum Einsatz kommen kann, tragen erneuerbare Energien neben dem Klimaschutz auch zur Unabhängigkeit von Autokraten bei. Eigentlich sollte die Vergabe des Friedensnobelpreises für 2022 somit nur noch eine Formalie sein.
Wir wünschen Ihnen, dass das Lesen unseres ESGenius Letter Dossiers für Sie eine anregende Ablenkung von der bedrückenden Tagespolitik darstellt – und uns allen, dass der Krieg ein baldiges Ende findet.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.