In dieser Woche blicken die Märkte gespannt auf die anstehenden Zinsentscheidungen. Am heutigen Mittwoch beginnt die US-Notenbank Fed, am morgigen Donnerstag folgt die Europäische Zentralbank (EZB) und am Freitag die Bank of Japan (BoJ).
Die Notenbanken würden dabei gerne eine Pause im Zinsanhebungszyklus einlegen, um die Effekte der vorangegangenen Zinsanhebungen besser einschätzen zu können. Doch die weiterhin hohen Inflationsraten erschweren diese Vorgangsweise. Auch wenn sich die Teuerung zuletzt etwas eindämmte.
Zwei Schocks
Die Weltwirtschaft war mit der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine mit zwei großen Schocks konfrontiert. Mittlerweile befinden sich die volkswirtschaftlichen Kenngrößen wie das Bruttoinlandsprodukt und die Beschäftigung in einem Normalisierungsprozess. Dieser verläuft jedoch äußerst zäh, weil die Nachwirkungen der Schocks lange andauern. Dabei stechen die hohe Inflation und der enge Arbeitsmarkt besonders hervor.
Hohe Inflation und niedrige Produktivität
Neben den Zinsentscheidungen stand in dieser Woche auch die Veröffentlichung der Konsumentenpreisinflation in den USA für den Monat Mai im Blickpunkt. Traditionellerweise werden die schwankungsfreudigen Komponenten Energie und Nahrungsmittel herausgerechnet, um die sogenannte Kerninflation zu erhalten.
Diese Maßzahl sank im Jahresabstand leicht von 5,5% im Vormonat auf 5,3%. Erwartet wurde zuvor ein etwas deutlicher Rückgang auf 5,2%. Die Veränderung im Monatsabstand betrug wie auch im Vormonat 0,4%. Auf das Jahr hochgerechnet (0,4% mal 12 Monate) ist die Inflation immer noch viel zu hoch, um mit dem Inflationsziel der Zentralbank von 2% im Einklang zu stehen.
In der Eurozone zeigte die Veröffentlichung des Bruttoinlandsproduktes für das erste Quartal einen Anstieg des gesamten Preisniveaus um 6,2% im Jahresabstand. Daran waren sowohl die Lohnstückkosten als auch die Unternehmensgewinne beteiligt. Gleichzeitig ist die Arbeitsproduktivität geschrumpft, weil das Beschäftigungswachstum über dem Wirtschaftswachstum lag.
Pause bei den Zinsanhebungen?
Die Zentralbanken haben auf dieses Umfeld mit einem schnellen Zinsanhebungszyklus reagiert. Doch das reale Wirtschaftswachstum in der entwickelten Welt ist mager. In diesem Umfeld würden die Zentralbanken gerne eine Pause einlegen, um die zeitverzögerten Effekte der Zinsanhebungen auf das Wachstum, die Beschäftigung, die Einkommen, die Investitionen, die Gewinne und letztendlich die Inflation besser abschätzen zu können. Denn die Unsicherheit über den Zusammenhang zwischen Geldpolitik, Wachstum und Inflation ist traditionell groß.
Medizin beginnt zu wirken
Die Hinweise dafür, dass die geldpolitische Medizin zu wirken beginnt, nehmen zu. Vor allem die Kreditvergaberichtlinien der Banken sind restriktiver geworden. Vergangene Woche hat der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor des Institute for Supply Management mit einem Rückgang auf den Stagnationsbereich (50,3) auf Wachstumsrisiken in den USA hingewiesen.
Gleichzeitig brachte die zweite Schätzung für das Wirtschaftswachstum in der Eurozone eine Revision nach unten mit sich. Nunmehr ist das reale Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 leicht geschrumpft (jeweils um 0,1% im Quartalsabstand). Diese als technische Rezession bezeichnete Entwicklung ist zwar keine tatsächliche Rezession, bedeutet jedoch ein schwieriges Umfeld (Stagnation).
Wie gehen die Notenbanken weiter vor?
Die Inflationsdynamik fungiert als Spielverderber. In der vergangenen Woche haben mit der Reserve Bank of Australia und der Bank of Canada zwei Zentralbanken unerwartet die Leitzinsen weiter angehoben (Australien auf 4,10% und Kanada auf 4,75%).
In dieser Woche stehen wie bereits erwähnt drei wichtige geldpolitische Entscheidungen auf dem Kalender. Für die Fed wir zum ersten Mal in dem aktuellen Zyklus keine Anhebung erwartet. Das obere Band für den effektiven Leitzinssatz befindet sich bei 5,25%.
Im Unterschied dazu deuten die Aussagen der EZB-Mitglieder auf eine weitere Anhebung hin. Die Marktpreise reflektieren eine Anhebung des Hauptrefinanzierungssatzes von 3,75% auf 4,00%. Für die Bank of Japan wird zwar keine Zinsanhebung erwartet (aktuell: -0,1%), aber es gibt Spekulationen für eine weitere Anhebung der Obergrenze für die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe (aktuell bei 0,5%).
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Risikomanagement
Das Verhalten der Zentralbanken kann mit einem Risikomanagement-Ansatz beschrieben werden. Die Inflation soll mit einer restriktiven Politik abgesenkt werden. Wenn möglich, soll dabei eine Rezession vermieden werden. Denn die Inflation könnte auch ohne Rezession sinken („Immaculate Inflation“).
Gleichzeitig soll das Risiko einer Inflationspersistenz möglichst niedrig gehalten werden. Das heißt, solange die Inflation unbequem hoch bleibt, werden die Zentralbanken eine Neigung für weitere Anhebungen signalisieren (und auch tatsächlich anheben), auch wenn das Wachstumsumfeld schwach ist und einige Indikatoren auf Rezessionsrisiken hinweisen. Sollte die Fed im Juni mithin tatsächlich die Leitzinszinsen nicht anheben, wäre es mutig, schon vom Ende des Anhebungszyklus zu sprechen.
Die Gesamtschau der Wachstumsindikatoren wie der globale Einkaufsmanagerindex für den Monat Mai spricht für ein quartalsweises Wachstum der Weltwirtschaft im zweiten Quartal bei 2% (annualisiert, also auf das Jahr hochgerechnet). Die entwickelten Volkswirtschaften wachsen dabei mit rund 1%.
Im wahrscheinlichsten Szenario findet damit keine unmittelbare Rezession statt. Das wirkt unmittelbar positiv auf risikobehaftete Wertpapierklassen wie Aktien. Allerdings sprechen die zahlreichen Heuristiken weiterhin gegen eine „weiche“ Landung der Wirtschaft. „Lediglich“ das Timing ist unsicher.
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Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.