Wie kann ein Unternehmen die Beziehungen zu seinen Angestellten und Arbeiter:innen optimieren? Wie kann zu Regionen, in denen das Unternehmen tätig ist, ein gutes Verhältnis gepflegt und gleichzeitig auch das politische Umfeld bestmöglich berücksichtigt werden? Diese Fragen geben einen ersten Eindruck über das „S“ in ESG und worum es dabei bei der Bewertung von Unternehmen geht.
Die Überlegung das S aus ESG zu trennen oder zu entfernen, wäre aus einer globalen Sichtweise zweifelhaft, da E, S und G unweigerlich miteinander verbunden sind. So betrifft etwa die globale Klimakrise auch Menschenrechte wie das Recht auf Wasser oder Themen wie Kinder- und Zwangsarbeit, welche wegen Trockenheit oder Wetterextremen, häufiger vorkommen. Umgekehrt kann auch die unrechte Behandlung von indigener Bevölkerung durch ausbeuterische Angestelltenverhältnisse dazu führen, dass ohnehin schon knappe Ressourcen noch stärker ausgebeutet werden, wenn z.B. Boden nicht nachhaltig bewirtschaftet wird. Auch gute Governance-Strukturen dienen Unternehmen den Risken aus E und S besser entgegentreten zu können.
Im Folgenden wollen wir zuerst das Regelwerk darstellen, nachdem wir S-Themen in unseren Investmentprozessen analysieren. Außerdem wollen wir auch Beispiele anführen, bei denen durch Engagements mit Unternehmen Systeme entwickelt wurden, die soziale Herausforderungen erkennen. Diese zeigen, wie z.B. durch gezielte Anreizsysteme auch Positives für die Region und/oder die Angestellten, bewirkt werden konnte.
Wie adressieren wir das „S“?
Als nachhaltiger Investor beschäftigen wir uns seit über zehn Jahren mit sozialen Indikatoren bei der Unternehmens- als auch Staatenbewertung. Unternehmen, denen Menschen- oder Arbeitsrechtsverletzungen nachgewiesen werden, finden z.B. keinen Platz in unseren nachhaltigen Investments. Auch Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Menschenhandel werden hier berücksichtigt.
Zusätzlich wird eine genaue Analyse der S-Performance von Unternehmen durchgeführt, wobei soziale Risiken, sozialen Leistungsdaten von Unternehmen, gegenübergestellt werden. Die Zahl der so abgebildeten Themen ist äußerst umfangreich und umfasst z.B. das Management der Lieferkette, Arbeitssicherheitsstandards oder auch Anreizsysteme wie beispielsweise Maßnahmen zur Weiterbildung. Als Ergebnis werden jene Unternehmen selektiert, die Risiken am besten beherrschen und höchste ethische Standards in ihr Handeln miteinfließen lassen.
Schule oder Arbeit: Kinder in der Kakao-Industrie
Eines der umfangreichsten Engagements, die wir zu Sozialthemen geführt haben, betrifft Kinderarbeit in der Lieferkette von Kakaoprodukten.
Schätzungen der internationalen Kakao-Initiative zufolge, arbeitet fast jedes zweite Kind, das in einer Region lebt in der Kakao angebaut wird, in der Kakao-Produktion, anstatt zur Schule zu gehen. Betroffen sind vor allem kleine Landwirtsfamilien in Ghana sowie an der Elfenbeinküste, die unter Armut, Hunger, Trinkwasserknappheit und eingeschränktem Zugang zu Bildung, leiden. Viele der betroffenen Kinder arbeiten auf Kakaofarmen gemeinsam mit ihrer nahen oder weiter entfernten Familie – was nicht zwingend als Kinderarbeit einzustufen ist.
Die internationale Arbeitsorganisation definiert Kinderarbeit als „Arbeit, die es Kindern verunmöglicht eine Kindheit zu erleben, deren Potential und Würde untergräbt und sich negativ auf deren physische und mentale Entwicklung, auswirkt“. Unterschieden wird auch zwischen Arten und Andauern der Arbeiten. Gefährliche Tätigkeiten wie das Tragen von schweren Lasten, das Verwenden von spitzen Werkzeugen, Arbeiten für zu viele Stunden oder Arbeiten, anstatt die Schule zu besuchen, ist als Kinderarbeit einzustufen. Davon zu unterscheiden ist Zwangsarbeit, unter der Kindern mit Strafen gedroht wird, wenn Arbeit nicht umgesetzt wird. Auch der Handel mit Kindern, bei dem diese aus ihrer beschützten Umgebung gerissen werden, um woanders ausgebeutet zu werden, ist hierbei abzugrenzen.
In unseren Engagement-Teams arbeiten wir seit 2018 mit unserem Partner Sustainalytics daran, Kinderarbeit und Zwangsarbeit in den Lieferketten der größten Kakao-Produzenten zu adressieren und die Arbeitsbedingungen von Kakaobäuerinnen und Kakaobauern, zu verbessern. Seit dem Jahr 2020 hat sich die Situation, auch aufgrund der COVID-19-Pandemie, allerdings wieder verschlechtert. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation und von UNICEF könnten bis Ende 2022 als Folge der Pandemie weitere neun Millionen Kinder in Kinderarbeit gedrängt werden. Außerdem könnte sich die Situation für Kinder, die bereits arbeiten, noch verschlechtern, da sie unter Umständen noch mehr oder unter noch schwierigeren Umständen arbeiten müssen. Vermehrte bewaffnete Konflikte sowie Naturkatastrophen verstärken diese Entwicklung ebenfalls, da in Zeiten von Vertreibung und Not die Gefahr steigt, dass Kinder statt dem Besuch einer Schule arbeiten müssen.
In der Kakaoproduktion gab es zumindest vor 2019 allerdings auch positive Entwicklungen: einer Studie von NORC Instituts zur Folge, besuchten 2018/19 im Vergleich zu 2008/09 in Ghana 7% mehr Kinder die Schule – an der Elfenbeinküste waren es rund 20% mehr.
Living Income & Bonus für nachhaltige Landwirtschaft
Seit Beginn des Engagements durften wir an rund 75 Meetings mit bekannten Unternehmen wie Mondelez, Nestlé, PepsiCo, Tesco oder Barry Callebaut teilnehmen und diese mitgestalten. Hauptinhalte waren Diskussionen rund um die Schaffung von „existenzsichernden Einkommen“ (Living Income) für Arbeiter:innen auf Kakaoplantagen, sowie die dafür notwendige Messung des aktuellen Einkommens betroffener Haushalte.
Der Erhalt eines existenzsichernden Einkommens gilt prinzipiell als Menschenrecht, wie es in Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung für Menschenrechte festgehalten ist: „Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere Schutzmaßnahmen“. Die Definition einer Existenzgrenze, die nicht in Frage gestellt werden kann, umfasst z.B. die Kosten für nahrhafte, günstige Ernährung nach regionalen Gegebenheiten und die Kosten einer einfachen und angemessenen Unterkunft. Zudem finden Ausgaben für Kleidung, Bildung und Transport sowie Rücklagen für unvorhersehbare Ereignisse Berücksichtigung.
Das Forum für fairen Handel weist darauf hin, dass sich die Erhebung für landwirtschaftliche Betriebe besonders herausfordernd darstellt, da die Datenlage bezüglich der Einnahmen und Ausgaben von Betrieben, schlecht ist. Erschwerend kommt hinzu, dass Weltmarktpreise für Kakao schwanken können und stark gefallene Preise die Situation von betroffenen Familien, verschlimmern. Um diesen Missstand zu verbessern, führten die Regierungen von Ghana und der Elfenbeinküste für 2020/21 ein „Living Income Differential“ (LID) ein, welches einen Preisaufschlag von 400 USD pro Tonne Rohkakao vorsieht, der zusätzlich zum vorherrschenden Kakaomarktpreis, zu zahlen ist.
Auch Unternehmen haben wirksame Instrumente entwickelt, um ihre Lieferketten nachhaltiger zu verändern. So rief beispielsweise Nestlé im Jahr 2020 das „Income Accelerator Program“ ins Leben. Landwirtinnen und Landwirte haben hier die Möglichkeit durch das Umsetzen bestimmter Maßnahmen einen Bonus zu erhalten. Diese Maßnahmen beinhalten z.B. die Notwendigkeit, dass Kinder in die Schule geschickt werden oder dass Landwirtschaftspraktiken verbessert werden. Außerdem müssen landwirtschaftlich genutzte Flächen wieder aufgeforstet werden, um die Widerstandsfähigkeit des Bodens zu stärken und das Haushaltseinkommen muss diversifiziert werden, um zu verhindern, dass Familien ausschließlich von der Kakaoproduktion abhängig sind. In den ersten zwei Jahren können so rund 500 CHF pro Jahr an direkten Bonuszahlungen von Familien bezogen werden, wenn alle Punkte umgesetzt wurden. Das Programm soll im Jahr 2022 10.000 Familien umfassen und bis 2030 auf 160.000 Familien ausgeweitet werden.
Erläuterungen zu Fachausdrücken finden Sie in unserem Fonds-ABC.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.