Die jüngsten Wahlen in Frankreich und Großbritannien haben den beiden Ländern eine Neuordnung der politischen Machtverhältnisse und damit auch einen Neustart der Wirtschaftspolitik in den beiden wichtigen Volkswirtschaften beschert. Doch während die britische Labour Partei nach ihrem Erdrutschsieg möglichst schnell mit Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur durchstarten will, könnte sich die Regierungsbildung in Frankreich nach dem überraschenden Sieg des linken Oppositionsbündnisses „Neue Volksfront“ (NFP) zunächst schwierig gestalten.
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit sowie Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Das vom Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon angeführte Bündnis stellt 182 der 589 Mandate in der Nationalversammlung und liegt damit vor dem Präsidentenbündnis Ensemble mit 168 Sitzen und den Rechtspopulisten von Marine Le Pen mit 143 Mandaten. Das siegreiche Linksbündnis stellte umgehend den Regierungsanspruch. Trotz des Sieges ist das Links-Bündnis damit aber weit von einer Regierungsmehrheit in der neuen Nationalversammlung entfernt.
Regierungsbildung in Frankreich könnte sich schwierig gestalten
Theoretisch könnte die Partei das Land auch nur mit einer relativen Mehrheit regieren, doch Experten warnen, dass sich das schwierig gestalten dürfte. Eine Koalition der NFP mit „Mitte-Kräften“ wäre rechnerisch möglich, aus den Reihen der NFP kamen aber bereits Absagen an eine derartige Allianz. Differenzen dürfte es hier unter anderem auch bei wichtigen wirtschaftspolitischen Punkten geben.
So will die Volksfront die von Präsident Emmanuel Macron durchgesetzte Pensionsreform, die das Pensionsantrittsalter von 62 auf 64 Jahre hinaufgesetzt hat, wieder rückgängig machen. Im Wahlprogramm ist eine Rente mit 60 festgeschrieben. Die Rentenreform war ein Herzstück von Macrons Amtszeit, insbesondere in diesem Punkt dürften die Positionen für eine Zusammenarbeit mit dem bisherigen Regierungslager unvereinbar sein.
Einen Schwerpunkt will die Neue Volksfront bei der Klimapolitik setzen. Erneuerbare Energien sollen massiv ausgebaut werden, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Zudem hat die Volksfront im Wahlkampf zahlreiche „Wahlgeschenke“ versprochen: eine Erhöhung des Mindestlohns von 1.400 auf 1.600 Euro, die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation, das Einfrieren der Preise für Energie, Treibstoff und Grundnahrungsmittel.
Linksbündnis will Maßnahmen mit Steuern finanzieren, Experten fürchten höhere Defizite
Finanziert werden soll das alles durch Steuern: Eine wieder eingeführte Reichensteuer, eine Klimaabgabe und eine erhöhte Erbschaftssteuer für Reiche. Außerdem soll es eine neue Steuer auf „Supergewinne“ geben. „Wir greifen denjenigen in die Taschen, die es sich leisten können“, sagte Sozialistenchef Olivier Faure.
Ökonomen warnten bereits, dass Steuererhöhungen zur Finanzierung der geplanten Maßnahmen nicht ausreichen dürften. Die hohen Ausgabenprogramme könnten auch zu einem weiteren Anstieg von Frankreichs Schulden führen. Die Volksfront hat bereits angekündigt, dass sie die Schuldengrenzen der EU abschaffen will.
An den Finanzmärkten hatten die Ängste vor einem hohen Haushaltsdefizit bei einem Sieg der extremen Linken oder Rechten in Frankreich bereits im Vorfeld der Wahlen zu einem Anstieg der Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen geführt. Der Wahlausgang selbst hatte dann aber vorerst keine größeren Auswirkungen an den Märkten.
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Labour Partei plant raschen Neustart der britischen Wirtschaft
Auch Großbritannien steht nach dem Erdrutschsieg der sozialdemokratischen Labour Party vor einem Kurswechsel. Die Labour Party hatte sich mit großem Vorsprung gegen die bisher regierenden Konservativen durchgesetzt und ist damit erstmals seit 14 Jahren wieder an der Macht. Die Partei gewann bei der Wahl 412 Sitze und erreichte damit 210 Sitze mehr als bei der letzten Abstimmung. Die Konservativen verloren 244 Sitze und erzielten mit 121 Sitzen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.
Experten erklären den Absturz mit der Unzufriedenheit der Wähler mit hohen Lebenshaltungskosten, maroden öffentliche Einrichtungen wie den Gesundheitsdienst NHS und hohen Steuern. Die Steuerlast ist so hoch wie nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Nettoverschuldung entspricht fast der jährlichen Wirtschaftsleistung, kurz vor den Wahlen ist die britische Staatsverschuldung auf den höchsten Stand seit über 60 Jahren gestiegen. Der Lebensstandard stagniert seit vielen Jahren und dürfte derzeit sogar sinken.
Der neue Premierminister und Labour-Chef Keir Starmer hat nach der Wahl nun einen „größeren Neustart“ des Landes angekündigt und die rasche Ankurbelung der Wirtschaft zu seinem wichtigsten Ziel erklärt. Auch die neue Finanzministerin Rachel Reeves will Tempo machen: „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte Reeves, die zuvor auch als Ökonomin bei der britischen Notenbank gearbeitet hatte.
Beide schworen die Briten aber gleichzeitig auf Geduld ein. „Ich verspreche Ihnen nicht, dass es einfach sein wird“, sagte Starmer, „ein Land zu verändern, ist nicht wie das Umlegen eines Schalters“. Auch Reeves warnte vor überzogenen Erwartungshaltungen: „Wir wissen, dass wir die Dinge nicht über Nacht umkehren können. Wir stehen vor einem schweren Erbe“.
Wachstum soll öffentliche Investitionen ohne Steuererhöhungen finanzieren
Die neue Regierung will nun das Wirtschaftswachstum ankurbeln, damit wie im Wahlkampf versprochen höhere Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen finanziert werden können, ohne gleichzeitig die Steuern zu erhöhen oder die Staatsverschuldung weiter nach oben zu treiben. Starmer kündigte an, unter Labour werde Großbritannien das stärkste nachhaltige Wachstum unter den G7-Staaten erzielen.
Um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, sollen in ersten Schritten Blockaden bei wichtigen Infrastrukturprojekten und privaten Investitionen aufgelöst und die Genehmigungen dafür erleichtert werden. Reeves will auch jene Investoren ins Land zurück holen, die sich nach dem Brexit-Votum von 2016 von Großbritannien abgewandt hatten. „In einer unsicheren Welt ist Großbritannien ein Ort, an dem man Geschäfte machen kann“, warb die Finanzministerin für ihr Land.
Ein wichtiger Fokus der neuen Regierung liegt auch auf der Förderung umweltfreundlicher Energieerzeugung. Bis 2030 soll die an Land gewonnene Windenergie verdoppelt, die Solarenergie verdreifacht und die Offshore-Windenergie vervierfacht werden. Die Planungsgenehmigungen für diese Projekte will die Regierung deutlich beschleunigen. 8,3 Milliarden Pfund sollen zudem in das zu gründende staatliche Unternehmen Great British Energy fließen.
Beziehungen mit der EU sollen wieder vertieft werden, Brexit-Umkehr aber ausgeschlossen
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf einem Neustart der Beziehungen mit Europa. Auch hier will die neue Regierung Tempo machen, so hat der neue Außenminister David Lammy schon 48 Stunden nach der Wahl seinen ersten Deutschland-Besuch absolviert. Verbessert werden sollen insbesondere die Handelsbeziehungen mit der EU.
Großbritannien und die EU haben beispielsweise dieselben Lebensmittelstandards, sagte der neue Handelsminister Jonathan Reynolds in einem Interview dem Sender Sky News. „Wenn wir mehr Whisky und Lachs auf einem für uns so wichtigen Markt verkaufen können, dann sollten wir solche Möglichkeiten ausloten.“
Der Politiker machte vor allem die konservative Vorgängerregierung für Probleme im bilateralen Handel verantwortlich. Auch EU-Diplomaten und deutsche Wirtschaftsvertreter kritisierten die Starrköpfigkeit der abgewählten Regierung. Reynolds deutete nun „vernünftige, pragmatische“ Lösungen an, etwa bei der gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen oder Visaregeln für Künstler und Musiker. Der neue Außenminister Lammy stellte auch einen Sicherheitspakt zwischen dem Königreich und der EU zur Vertiefung der Beziehungen in Aussicht. Dieser könne Themen wie Verteidigung, Energie und Klima umfassen.
Eine Umkehrung des Brexits und Rückkehr in die EU wird von der neuen Regierung hingegen ausgeschlossen. „Wir werden weder dem Binnenmarkt noch der Zollunion wieder beitreten, aber es gibt vieles, was wir gemeinsam tun können“, sagte Lammy.
Britische Wirtschaft erholte sich zuletzt von Rezession
Unterstützt wird die neue britische Regierung bei ihrem Neustart von aktuellen Wirtschaftsdaten. Großbritannien hat sich von einer kurzen Rezession erholt, im ersten Quartal 2024 wuchs das Bruttoinlandsprodukt wieder um 0,7 Prozent. Die Inflation ist nach einem langen Höhenflug im Mai wieder auf die Zielmarke der Notenbank von 2 Prozent gefallen. Die Stimmung in britischen Unternehmen hat sich im Juni zwar etwas eingetrübt, aber weniger stark als erwartet. Der entsprechende Einkaufsmanagerindex von S&P Global fiel um 0,7 auf 52,3 Punkte, lag damit aber immer noch über der Marke von 50 Punkten, ab der Wachstum signalisiert wird.
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
„Das verarbeitende Gewerbe im Vereinigten Königreich erlebt die stärkste Wachstumsphase seit mehr als zwei Jahren, wobei im Juni die Produktion und die Auftragseingänge mit ähnlich robusten Raten wie bei den jüngsten Höchstständen im Mai weiter zunahmen“, schrieb Rob Dobson, Direktor bei S&P Global Market. Getragen wird das Wachstum laut Dobson vor allem vom Inlandsmarkt, die Exportwirtschaft schwächelt hingegen weiter.