In Italien haben die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien innerhalb der Koalitionsregierung zum Thema Inanspruchnahme und Verwendung von EU-Hilfsgeldern eine Staatskrise ausgelöst. Es geht dabei auch um nicht weniger als die Verteilung von rund 210 Mrd. Euro an Hilfsgeldern. Mittendrin ist ein alter Bekannter: der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi.
Die Kleinpartei in der Regierung „Italia Viva“ rund um den ehemaligen Premierminister Renzi bestand auf ihrer Forderung zusätzlich zu den Geldern aus dem EU-Wiederaufbaufonds die Aktivierung der Pandemie-Krisenhilfe des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Anspruch zu nehmen, was von anderen Koalitionspartnern mit dem Hinweis auf Auflagen der EU bezüglich Verwendung der Mittel und Verlust an Souveränität abgelehnt wurde.
„Italia Viva“ steigt aus Koalition aus
Renzis Partei „Italia Viva“ stieg als Konsequenz daraus aus der Vierparteien-Regierungskoalition aus und die von ihr gestellten zwei Minister traten zurück.
Alle Versuche diese Krise über Zugeständnisse in dieser Frage oder über eine Kabinettsumbildung zu lösen sind gescheitert.
Premierminister Conte stellte sich einer Vertrauensabstimmung im Parlament. Dabei konnte er zwar die Vertrauensabstimmung in beiden Kammern des Parlaments gewinnen, verfehlte aber im Senat die absolute Mehrheit, woraufhin er nur mehr mit einer Minderheitsregierung weiter regieren konnte. Daraufhin reichte Premierminister Conte seinen Rücktritt ein und eröffnete damit offiziell diese Regierungskrise.
Damit stand auch die Möglichkeit von sofortigen Neuwahlen im Raum, was den Markt besonders beunruhigte, denn laut aktuellen Umfragen bestünde in diesem Fall die Möglichkeit, das ein Regierungswechsel hin zum EU-kritischen rechten Parteienspektrum rund um Salvini erfolgen könnte.
Spread italienischer Anleihen steigt an
Diese Aussicht ließ die Zinsdifferenz italienischer Staatsanleihen zu anderen europäischen Staatsanleihen vorübergehend empfindlich steigen. Die Marktunsicherheit kam auch in Form einer zunächst erhöhten Volatilität, je nach Nachrichtenlage, zum Ausdruck.
Neuerliche Versuche von Conte ein pro europäisches Regierungsbündnis zustande zu bringen scheiterten.
Sofortige Neuwahlen dürften jedoch für die allermeisten Beteiligten nicht die bevorzugte Lösung sein. Angesichts der Ergebnisse der Wahlumfragen riskieren die regierenden Parteien einen Sieg des Mitte-Rechts-Blocks, insbesondere wegen der deutlich geringeren Unterstützung für die größte Regierungspartei der Fünf Sterne Partei.
Mario Draghi mit Regierungsbildung beauftragt
Nachdem auch Staatspräsident Mattarella eigenen Aussagen zufolge sofortige Neuwahlen in Pandemie-Zeiten vermeiden möchte, beauftragte er Mario Draghi mit der Bildung einer neuen Regierung.
Der Staatspräsident dürfte der Marktreaktion zu Folge die richtige Wahl mit der als überparteilich geltenden Persönlichkeit getroffen haben. Der italienische Staatsanleihenmarkt reagierte darauf äußerst positiv indem die Zinsdifferenz 10-jähriger italienischer Staatsanleihen zu anderen europäischen Staatsanleihen auf historische Tiefststände gefallen ist.
Den ersten Reaktionen zu Folge stehen die Chancen gut, dass es Mario Draghi gelingt eine pro-europäische Regierung bzw. Expertenregierung zu bilden und damit die politische Unsicherheit in Pandemiezeiten zu beenden. Es wird ihm allgemein zugetraut, die notwendigen Reformen des Landes mit den zur Verfügung stehenden EU-Milliarden voran zu treiben und damit die aktuell vorherrschende Investorenzuversicht zu rechtfertigen und den mittelfristig positiven Ausblick auch mit Hilfe der Kaufprogramme der EZB bis zur nächsten regulären Parlamentswahl 2023 zu erhalten.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.