Interview mit Gerhard Winzer, Chefvolkswirt Erste Asset Management
Auf globaler Basis hat der starke und schnelle Anstieg der Nachfrage nach Gütern, Energie und Arbeitskräften (in manchen Sektoren) zu Engpässen und in weiterer Folge zu überraschend hohen Inflationsraten geführt. Der Preisanstieg und der schneller als erwartete Rückgang der Arbeitslosenraten ließ die Erwartungen für Leitzinsanhebungen in den kommenden Jahren steigen. Im nächsten Jahr werden in unserem Basisszenario die Inflationsraten in den entwickelten Volkswirtschaften fallen, aber über dem Niveau vor der Pandemie bleiben. Doch in einem Risiko-Szenario könnten die Inflationsraten in nächsten Jahr nach oben überraschen. OUR VIEW konfrontierte Gerhard Winzer, Chefvolkswirt Erste Asset Management, mit der Problematik.
Unterschätzt die Europäische Zentralbank (EZB) die Inflation?
Derzeit prognostiziert die EZB eine Inflation von deutlich unter 2% für die kommenden Jahre. Möglicherweise werden diese Werte nach oben angepasst werden. Die Inflationsentwicklung liegt in diesem Jahr deutlich über den Prognosewerten von Anfang 2021.
Dennoch werden im wahrscheinlichsten Szenario die derzeit hohen Inflationsraten im Laufe des nächsten Jahres sinken: Die meisten Inflationstreiber sind auf Engpässe zurückzuführen, die in der Jahresvorschau abnehmen werden. Natürlich gibt es Inflationsrisiken, die auch der Zentralbank bewusst sind.
Wie hoch wird die Inflation künftig ausfallen?
In der Eurozone liegt der Durchschnitt der Inflation von Anfang 2010 bis 2021 bei rund 1,3% im Jahresabstand. Im Oktober 2021 lag die Inflationsrate bei 4,1% pa. Für das vierte Quartal 2022 erwarten wir eine Inflationsrate von 1,3% pa. Im Unterschied dazu wird für die USA eine Inflationsrate von 2,5% pa, veranschlagt.
Langfristig betrachtet wird in unserem wahrscheinlichsten Szenario in der Eurozone die Inflation bei rund 2% pa. liegen. Das entspricht dem Ziel der EZB. Für die im Vergleich zur Vergangenheit höhere Inflationsentwicklung gibt es drei Gründe:
- China hat in den vergangenen 20 Jahren die Güterpreise nach unten gedrückt. Dieser Effekt könnte abnehmen.
- Die arbeitsfähige Bevölkerung schrumpft in immer mehr Ländern, wodurch das Lohnwachstum ansteigen könnte. Langfristig betrachtet ist letzteres die wichtigste Bestimmungsgröße für die Inflation.
- In absehbarer Zeit werden auch die Preise für selbstgenutztes Wohneigentum in der Berechnung der Inflation berücksichtigt werden.
Warum greift die EZB nicht ein?
Das hat zwei Gründe. Erstens befindet sich die Wirtschaft in der Zyklusphase „(holprige) Erholung“ und nicht in einem „Boom“. Wenn die EZB gezwungen wäre, aufgrund der hohen Inflationsraten jetzt die Leitzinsen anzuheben, würde die Erholung beeinträchtigt oder sogar gestoppt werden.
Die Pandemie hat auf globaler Ebene Engpässe in der Produktion und im Transport erzeugt. Denn die Nachfrage nach Gütern hat stark zugenommen. Die Energiepreisanstiege haben mit einer unterdurchschnittlichen Lagerhaltung bei Erdgas und einer niedrigen Investitionstätigkeit für neue Förderanlagen zu tun. Zweitens werden die aktuell hohen Inflationsraten von der EZB als vorübergehend eingeschätzt.
So lange die langfristigen Inflationserwartungen der Konsumenten, Unternehmen, Marktteilnehmer und Volkswirte bei rund 2% pa. verankert bleiben, ist der Druck unmittelbar mit Leitzinsanhebungen auf hohe Inflationsraten zu reagieren niedrig.
Das gilt im Unterschied zu Zentralbanken in Ländern mit einer negativen Inflationsvergangenheit wie Brasilien. Dort wurden die Leitzinsen bereits kräftig erhöht.
Wann kommt die Zinswende?
Die Inflationsprojektionen der EZB liegen unter dem symmetrischen Inflationsziel von 2%. Wenn diese Einschätzungen auf das Inflationsziel nach oben revidiert werden, sind die Voraussetzungen für eine Leitzinsanhebung gegeben. Im Basisszenario könnte die EZB im Jahr 2023 die Negativzinspolitik beenden.
Sind Zinserträge ein Ding der Unmöglichkeit?
Die Geldmarkt-Zinsen liegen bei null Prozent. Bereinigt um die Inflation, ist die reale Verzinsung deutlich negativ. Auch wenn die Europäische Zentralbank die Leitzinsen in den kommenden Jahren anheben sollte, wird die Realverzinsung wahrscheinlich negativ bleiben.
Das ist natürlich nach wie vor ein herausforderndes Umfeld, vor allem für institutionelle Anleger, die zwar Erträge einfordern, aber der Risiko-Reduktion besonders Augenmerk schenken müssen.
Glücklicherweise gibt es neben den Aktien auch bei Anleihen interessante Segmente, wo wir als Erste Asset Management maßgeschneiderte Lösungen parat haben.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.