Ob der Bullenmarkt, der Mitte 2009 begonnen hat, im dritten Quartal 2015 zu Ende gegangen ist, werden wir erst in einigen Monaten wissen. Jetzt schon klar ist hingegen, dass sich der Gegenwind der letzten Monate nicht so rasch legen wird. Den Aktieninvestoren steht neuerlich ein herausforderndes Quartal bevor.
Der abgelaufene Sommer brachte den internationalen Aktienmärkten das schlechteste Quartal seit Jahren. Der S&P 500 verlor im 3. Quartal 6,9%, der Euro Stock 600 8,8%, der Nikkei 225 14,1% und der MSCI Emerging Markets Index 12,8% (alles in Lokalwährung). In der Reihung der Quartalsänderungen seit 1995 liegt das dritte Quartal 2015 in den USA sowie in Europa im 9. Dezil und in Japan sowie den Schwellenmärkten im letzten Dezil. Für die meisten Märkten war dies die schlechteste Kursentwicklung seit dem dritten Quartal im Jahr 2011, als Fiskalprobleme auf beiden Seiten des Atlantik – der Streit um die Staatsschuldendeckelung in den USA, die Schuldenkrise in der Eurozone – auf den Märkten lastete.
Geldpolitik als Krisenursache
Diesmal waren nicht fiskalpolitische, sondern geldpolitische Auslöser am Werk. Zuerst, Mitte August, überraschte die chinesische Zentralbank die Märkte mit einer Abwertung des Renminbi. Sie verstärkte damit den Deflationsdruck im Rest der Welt und nährte Befürchtungen hinsichtlich der Stärke – oder besser gesagt Schwäche – der chinesischen Wirtschaft. Danach, im September, überraschte die US-amerikanische Federal Bank damit, dass sie die vielfach erwartete Zinsanhebung hinauszögerte. Aufgrund fehlender inflationärer Tendenzen in den USA war das Zögern teilweise verständlich, die Kommunikation der Bank sandte allerdings verwirrende Signale an den Markt. Zum einen begründete Janet Yellen, Präsidentin der Fed, die Entscheidung die Zinsen nicht zu erhöhen damit, dass für die US-Wirtschaft Gefahren durch mögliche Turbulenzen der Weltwirtschaft, insbesondere seitens der Schwellenländer drohen könnten; andererseits bestätigte sie jedoch die Absicht der Zentralbank, die Zinsen noch vor der Jahreswende anzuheben.
Schließlich trugen auch einige sektor- und einzelwertspezifische Faktoren zur allgemeinen Unsicherheit an den Märkten bei: die Debatte über Arzneimittelpreise in den USA, ausgelöst vom Ruf nach strengerer Regulierung durch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, ferner die Volkswagenaffäre sowie Bedenken hinsichtlich der Solidität von Glencore, einem der führenden Unternehmen im Rohstoffsektor.
Das neue Quartal startete mit einer etwas positiveren Tendenz – ob daraus ein tragfähiger Aufschwung wird, hängt von mehreren Faktoren ab.
Erstens braucht es eine Verbesserung der globalen Wirtschaftsaussichten. Das globale Wirtschaftswachstum bleibt seit Jahren hinter den Erwartungen zurück, und das heurige Jahr macht keine Ausnahme. Die Konsensusschätzung für 2015 ist in den vergangenen 12 Monaten um mehr als 50 Basispunkte gefallen und jüngste ‘nowcast’-Auswertungen *) deuten auf eine neuerliche Abschwächung im dritten Quartal hin. Ohne Belebung der Weltwirtschaft ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Aktienmärkte wieder an Fahrt gewinnen. Die positive Reaktion von Aktien und anderen riskanteren Anlagen auf den jüngsten Arbeitsmarktbericht in den USA waren daher etwas überraschend. Klarerweise ist die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Zinsanhebung aufgrund der enttäuschenden Daten gesunken, aber weniger klar ist, warum aus Aktiensicht eine schwächere US-Wirtschaft stimmungsfördernd sein sollte.
Zweitens: Die Befürchtungen, dass eine massive Wirtschaftskrise in den Schwellenmärkten droht, müssen sich auflösen, bevor der Risikoappetit der Investoren zurückkehrt. Das IIF schätzt, dass die Schwellenmärkte 2015 das erste Mal seit 1998 mit einem Netto-Kapitalabfluss konfrontiert sein werden. Alleine im 3. Quartal, kam es bei Portfolioinvestionen zu einem Abfluss von 40 Mrd. US-Dollar (gleich verteilt auf Aktien und Anleihen), was sowohl ein Zeichen dafür ist, dass institutionelle Investoren vor Emerging-Markets-Risiken kapitulieren, als auch ein zusätzlicher Faktor, der die Probleme in den Schwellenmärkten verstärkt. Dennoch ist eine massive Wirtschaftskrise in den Schwellenmärkten wenig wahrscheinlich. Insgesamt weisen die Schwellenmärkte – als Gesamtregion betrachtet – einen Leistungsbilanzüberschuss auf, die Währungsreserven lagen Ende 2014 (selbst ohne China) bei über 3.000 Mrd. US-Dollar, die öffentliche Verschuldung ist gefallen und die Inflation ist im Durchschnitt im niedrigen einstelligen Bereich (siehe z.B. Cecchetti and Schoenholtz). Allerdings hat die Streuung innerhalb der Schwellenmärkte in den letzten Jahren zugenommen. Einige Wirtschaften wie Venezuela und Ukraine sind vom Radarschirm der Investoren verschwunden, andere wie Brasilien, Türkei und Südafrika erscheinen ‚fragil‘ vor dem Hintergrund eines steigenden Dollars und möglicherweise steigender Zinsen.
Drittens, die Unternehmensgewinne müssen an Dynamik gewinnen, vor allem in Europa. Während Konsensprognosen noch immer für 2015 ein Gewinnwachstum in Europa von mehr als 40% implizieren (bezogen auf den Euro Stoxx 600), liegt die Gewinnrevisionsquote (positive zu negative Gewinnrevisionen) seit Juli unter eins und die Gewinne wurden im 3. Quartal um 5% hinunterrevidiert. In den USA war die Revisionsquote stabil bei eins und die Indexgewinne pro Aktie (bezogen auf den S&P 500) blieben unverändert. In jedem Fall wird in beiden Märkten die gerade beginnende Berichtssituation den Indexverlauf in naher Zukunft bestimmen.
Zusammenfassend: Ob der Bullenmarkt, der Mitte 2009 begonnen hat, im dritten Quartal 2015 zu Ende gegangen ist, werden wir erst in einigen Monaten wissen. Jetzt schon klar ist hingegen, dass sich der Gegenwind der letzten Monate nicht so rasch legen wird. Den Aktieninvestoren steht neuerlich ein herausforderndes Quartal bevor.
*) Nowcasts = Beim Nowcasting geht es, im Gegensatz zu Prognosen für die Zukunft, um eine Erfassung der Gegenwart in Echtzeit. Dass Ökonomen von «Forecasts» zu «Nowcasts» übergehen, hat weniger damit zu tun, dass sie die Erklärung der Zukunft aufgegeben haben, als mit der Tatsache, dass bereits die Gegenwart datenmäßig schwer zu fassen ist.