Wenn man sich im eigenen Bekanntenkreis umhört, wird man feststellen, dass die Durchimpfungsrate mittlerweile signifikant ist. In Österreich, so scheint es, hat jeder, der unbedingt eine Impfung will, zumindest bereits eine Teilimpfung erhalten – unabhängig von Priorisierung, Alter oder medizinischer Vorgeschichte. Die Durchimpfungsrate der EU hinkt in etwa 6 Wochen hinter den USA, 9 Wochen hinter Großbritannien und 12 Wochen hinter Israel her. Dies erlaubt aus europäischer Sicht eine Vorschau auf die Herausforderungen der kommenden Monate.
Israel als Vorreiter hat gezeigt, dass bereits ab einem Anteil von 50% zumindest Teilgeimpften in der Bevölkerung das Infektionsgeschehen weitestgehend unter Kontrolle gebracht werden kann. Aber selbst Israel hat die kolportierte kritische Grenze von 65-75% Immunisierten noch lange nicht erreicht. Ab dieser Immunisierungsrate gehen Experten von Herdenimmunität aus. Zwar wird sich das Infektionsgeschehen bei einer Immunisierungsrate von 70% nicht wesentlich von dem bei einer Immunisierungsrate von 50% unterscheiden. Um das Auftreten von impfungsresistenten Virusvarianten zu unterbinden ist das Erreichen des Schwellenwertes aber wesentlich.
Im internationalen Vergleich folgt der Impffortschritt in der EU ziemlich exakt dem der USA um 6 Wochen verzögert. Israel und Großbritannien konnten wegen anfangs größerer Impfstoffkontingente und anderer Impfstrategien (Großbritannien startete mit beinahe ausschließlich Teilimpfungen und einem längeren Abstand zur Zweitimpfung) schneller Fortschritte erzielen (in der Grafik wird der Impffortschritt in den Tagen ab Erreichen der 10% Teilgeimpften-Schwelle verglichen). Zuletzt kam der Impffortschritt in Israel beinahe zum Erliegen, was einerseits an einem Zahlungsdisput mit dem Hauptlieferanten Pfizer und andererseits an der abnehmenden Impfbereitschaft der Bevölkerung liegt.
In allen Ländern, die der EU beim Impfen voraus sind, zeigte sich 7 bis 9 Wochen nach Erreichen der 10% Teilgeimpften-Schwelle eine eklatante Reduktion der wöchentlichen Impfungen. Die EU Mitgliedsstaaten befinden sich momentan gerade in dieser Umbruchsphase und die Erklärung liegt auf der Hand – Impfskepsis. Die Universität Wien misst in regelmäßigen Abstände die Impfbereitschaft der Bevölkerung und konnte im April feststellen, dass in Österreich neben den 22% bereits zumindest Teilgeimpften der Gruppe der Impfwilligen mit 37% der Bevölkerung 36% Impfskeptiker bzw. Impfgegner gegenüberstehen. Zusätzlich kommt hinzu, dass die Altersgruppe 0-10, die in Österreich etwa 10% der Bevölkerung stellt, auf absehbare Zeit nicht geimpft werden kann. Dies würde ceteris paribus bedeuten, dass sich in Österreich nur 60% der Bevölkerung impfen lassen können und definitiv wollen.
International lässt sich beobachten, dass es ab ca. 30% Teilgeimpfter immer schwieriger wird Abnehmer für Impfdosen zu finden. So wurden in den USA vielerorts Impflotterien gestartet, die allen Geimpften die Chance bieten beträchtliche Geldbeträge zu gewinnen. Dadurch soll die zunehmende Impfmüdigkeit bekämpft werden. Zumindest anekdotisch scheint es Hinweise auf positive Effekte solcher Maßnahmen zu geben. Informationskampagnen und die Bindung von Bürgerprivilegien an den Impfstatus scheinen aber der effektivere Weg zu sein. In Großbritannien ist die Teilnahme am öffentlichen Leben in vollem Umfang nur mehr Geimpften oder Getesteten möglich. Jedoch war und ist die Impfbereitschaft in Großbritannien im europäischen Vergleich sehr hoch, was sich im kontinuierlich guten Impffortschritt widerspiegelt.
Fazit
Obwohl in Europa noch viele Bürger auf ihren ersten Stich warten, sind wir bereits mitten im Übergang von der Phase der Impfstoff-Knappheit zur Impfwilligen-Knappheit. Besonders für Länder mit einer großen Anzahl an Impfskeptikern wie Frankreich oder Italien wird das Erreichen der Herdenimmunität eine große politische und gesellschaftliche Herausforderung darstellen. Auch wenn für Bürger als auch Politiker wegen der rapide sinkenden Fallzahlen das Ende der Pandemie zum Greifen nahe scheint, muss eine volle Durchimpfung angestrebt werden. Andernfalls ist es nur mehr eine Frage der Zeit bis sich eine impfstoffresistente Virusmutante durchsetzen wird. Die Herstellungskapazitäten bei den Impfstoffen wurden massiv erweitert, und zumindest die entwickelte Welt kann über die für die nächsten Jahre bereits bestellten Booster auch schnell gegen neue Mutanten geimpft werden. Jedoch kann ein erneutes Aufflammen der Pandemie im Rest der Welt starke negative Konsequenzen auf die wirtschaftliche Erholung in vermeintlich geschützten Ländern haben.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.