Das Finanzumfeld hat sich aufgehellt. Die Aktienkurse und die Rohstoffpreise sind angestiegen. Gleichzeitig haben die Renditeaufschläge für das Kreditrisiko und die (impliziten) Volatilitäten abgenommen. Die positiven Entwicklungen in vielen Teilen der Welt haben die Zuversicht der Investoren auf eine Verbesserung des wirtschaftlichen Umfeldes unterstützt. In Kombination mit der überschüssigen Liquidität überdecken sie allerdings die Warnhinweise.
Negative Entwicklungen
Die Aufhellung ist bemerkenswert, weil es gleichzeitig einige negative Entwicklungen gibt. Die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Leitzinserhöhung in den USA hat zugenommen, der Renditeunterschied in den USA zwischen Staatsanleihen mit einer langen und einer kurzen Laufzeit wird geringer und die chinesische Währung schwächt sich gegenüber dem US-Dollar abermals ab. Zudem deuten einige wichtige Vorlaufindikatoren wie die globalen Einkaufsmanagerindizes nach unten und die Aktiengewinne sind rezessiv. Darüber hinaus fallen die vom Anleihemarkt eingepreisten Inflationsraten.
Investoren zu nachlässig?
Das wirft einige Fragen auf. Antizipieren die Märkte eine Verbesserung oder drückt die überschüssige Liquidität die Kurse der Wertpapierklassen nach oben? Hat der fragile Charakter der Märkte abgenommen oder sind die Marktteilnehmer schlichtweg nachlässig gegenüber den Risiken?
US-Leitzinsanhebung im Einklang mit Umfeld
Eine Reihe von Mitgliedern des Offenmarktausschusses der US-amerikanischen Zentralbank signalisiert, dass die Bedingungen für eine weitere Leitzinsanhebung in den USA in den kommenden Monaten erfüllt sein könnten. Tatsächlich zeichnet sich eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums von 0,8% im ersten Quartal auf über 2% im aktuellen Quartal ab (jeweils gegenüber dem Vorquartal und auf das Jahr hochgerechnet). Ebenso gibt es Hinweise für eine etwas höhere Inflationsrate und eine weitere Verbesserung des Arbeitsmarktes. Zudem haben sich – wie gesagt – die globalen Finanzmärkte beruhigt. Es sieht danach aus, als ob die Märkte die Bedingtheit einer Leitzinserhöhung verstehen und damit verkraften. Eine mögliche Leitzinserhöhung wird demnach nicht als „hawkish“ (also inflationsbekämpfend) sondern als im Einklang mit der Verbesserung des Umfeldes interpretiert.
US-Dollar dämpft Ausmaß der Zinserhöhungen
Ein „Garant“ für nur wenige Leitzinsanhebungen ist der US-Dollar, denn Währungen und Zinsen sind kommunizierende Gefäße. Im aktuellen Umfeld führen die zunehmenden Erwartungen für Leitzinsanhebungen in den USA zu einer Festigung des US-Dollar. Das wiederum dämpft die wirtschaftliche Aktivität, den Inflationsdruck und damit das Potenzial für Leitzinsnahebungen.
Wirtschaftsstimulus in China
Eine Reihe von Wirtschaftsdaten in China – von der Investitionstätigkeit über die Industrieproduktion bis zu den Einzelhandelsumsätzen – haben im April enttäuscht. Dennoch haben die Befürchtungen einer weiteren Abschwächung des chinesischen Wirtschaftswachstums abgenommen. Denn die erhöhte Kreditvergabe, der Sprung nach oben bei den geplanten Neuinvestitionen und die Verbesserungen im Immobiliensektor deuten auf eine Stabilisierung des chinesischen Wirtschaftswachstums im zweiten und dritten Quartal. Das Vertrauen in die chinesische Stop-and-Go Wirtschaftspolitik (aktuell: Go, also Stimulus) hat zugenommen.
Fiskalpaket in Japan
Die japanische Wirtschaft ist im ersten Quartal überraschend um 1,7% gegenüber dem Vorquartal gewachsen (annualisiert). Die Schätzungen hatten auf eine Stagnation hingedeutet. Das aktuelle Quartal wird voraussichtlich schrumpfen (auch aufgrund des Erdbebens). Gleichzeitig gibt es Anzeichen dafür, dass die für April 2017 geplante Mehrwertsteuererhöhung auf Oktober 2019 verschoben wird und ein zusätzliches fiskalisches Paket geschnürt werden könnte. Zudem gibt es Spekulationen hinsichtlich weiterer Maßnahmen seitens der japanischen Zentralbank.
Gutes Wachstum in der Eurozone
Die Eurozone ist im ersten Quartal gegenüber dem vierten Quartal mit 2,1% auf das Jahr hoch gerechnet stark gewachsen. Das Potenzialwachstum wird auf 1,0% geschätzt. Auch für das aktuelle Quartal zeichnet sich ein gutes Wachstum von 1,5% ab. Die expansive Politik der Europäischen Zentralbank funktioniert, wenn auch nur eingeschränkt. Die Kreditzinsen sind kräftig gefallen und das Investitionswachstum hat zugelegt. Auf der Pressekonferenz am kommenden Donnerstag wird der Präsident der EZB wahrscheinlich signalisieren, dass eine Fortsetzung der Verbesserung – und ein Anstieg der aktuell sehr niedrigen Inflation – ohne zusätzliche Stimulierungsmaßnahmen erwartet wird.
Fiskalpolitik in der Eurozone nicht mehr restriktiv
Auf der politischen Ebene haben sich Griechenland und die Kreditgeber geeinigt: Weil Griechenland die Bedingungen des Hilfsprogramms erfüllt, erfolgt die nächste Auszahlung an Griechenland im Juni. Damit können die Schulden bedient werden. Bemerkenswert ist ebenso, dass Italien, Spanien und Portugal von der Europäischen Kommission mehr Zeit bekommen haben, um die jeweiligen Budgetdefizite zu reduzieren. Das unterstützt das Wachstum.
Interimspräsident Temer
Brasilien befindet sich in einer schweren Rezession. Gleichzeitig ist das Budgetdefizit auf 10% vom Bruttoinlandsprodukt angestiegen. Mit dem Amtsenthebungsverfahren von Dilma Rousseff und der Einsetzung von Interimspräsident Temer sind die Erwartungen auf eine Verbesserung der Lage sehr groß.
Neues Insolvenzrecht in Indien
In Indien wurde das Insolvenzrecht modernisiert. Der Anteil der notleidenden Kredite wird zwischen 11% und 20% geschätzt. Das veraltete, schlecht funktionierende Insolvenzrecht hat bis dato eine Verbesserung der Investitionstätigkeit behindert. Mit dem neuen Gesetz besteht die Hoffnung auf eine vermehrte Kreditvergabe sowie neue Kapitalquellen wie Versicherungen.
Krise-Antwort-Verbesserung-Nachlässigkeit
Der klassische Zyklus von Krise (zuletzt Anfang des Jahres) –> Antwort (expansive Zentralbank- und Wirtschaftspolitik) –> Verbesserung (ansteigende Wertpapierkurse) –> Nachlässigkeit (gegenüber den Risiken) ist intakt. Die Finanzmärkte bleiben anfällig für eine Korrektur. Neben einer möglichen Leitzinsanhebung in den USA am 15. Juni stellt insbesondere das Referendum im Vereinigten Königreich am 23. Juni über den Verbleib in der Europäischen Union einen wichtigen Risikofaktor dar. Aus diesem Grund bleiben wir in der Portfolioausrichtung defensiv.