Vor einem Jahr wurde Indien an dieser Stelle als eine der am schnellsten expandierenden Volkswirtschaften der Welt mit Wachstumsraten von 7% beschrieben.
Heute sieht die Welt gänzlich anders aus: Indien kämpft noch immer mit steigenden Zahlen von Covid19-Infizierten, Ausgangsbeschränkungen wurden nun zum vierten Mal bis Ende Mai verlängert, und Analysten rechnen mit einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung von bis zu 5% für das laufende Jahr.
Aber egal wie schlecht die Rahmenbedingungen in Indien sind, Premierminister Modis Beliebtheit steigt zunehmend an. Könnte er tatsächlich als Profiteur aus der Krise hervorgehen und womöglich sogar den Zeitpunkt nutzen, um die versprochenen Reformen durchzusetzen?
Oder könnte er gar die Spannungen zwischen der westlichen Welt und China nutzen und Indien verstärkt in der globalen Lieferkette positionieren?
Premierminister mit wachsenden Problemen konfrontiert
Dabei sah es noch unmittelbar vor dem Ausbruch der Corona-Krise in Indien anders aus – Narendra Modi war von wachsenden Problemen auf mehreren Fronten umgeben. Als er vor sechs Jahren an die Macht kam, positionierte er sich als Reformer, der längst überfällige Veränderungen umsetzen wollte. Teile seiner Pläne konnten verwirklicht werden, bei anderen Themen wie beispielsweise der Land-Reform musste er unlängst zurückrudern. Makro-ökonomisch materialisierten sich die Änderungen jedoch nicht wie gewünscht. Insgesamt hat Modi bislang mehr versprochen als gehalten.
Zusätzlich kam im letzten Jahr zu Spannungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Politisch verfolgt Modi einen deutlich nationalistischen Kurs und spricht dabei die hinduistische Mehrheit (rd. 80% der Bevölkerung) an. Ende Februar kam es zu einem negativen Höhepunkt, als bei Unruhen zwischen hinduistischen und muslimischen Bürgern in einem Stadtteil Delhis 50 Menschen getötet wurden. Der Konflikt mit Pakistan um die Kaschmir-Region ist weiterhin ungelöst.
Sehr hohe Zustimmung aus der Bevölkerung
Doch paradoxerweise scheint Premierminister Modi von diesen widrigen Umständen profitieren zu können. In Meinungsumfragen stimmten zuletzt 80-90% der Bevölkerung der aktuellen Politik des indischen Premierministers zu. Im Gegensatz zu einigen westlichen Staatschefs hat Indiens Premierminister Modi zu keinem Zeitpunkt die Gefahr des Virus für Indien in Zweifel gezogen oder relativiert.
Und der Premierminister versteht es offensichtlich, bittere Medizin entsprechend „süß“ zu verpacken – die nationale Ausgangssperre kündigte er Ende März nur vier Stunden vor Inkrafttreten an. Dennoch wurde diese von weiten Teilen der Bevölkerung umgesetzt. – und das obwohl zu diesem Zeitpunkt erst rund 500 Infizierte landesweit erfasst waren. Doch die Performance der Regierung während der Pandemie ist nicht makellos: Die Ausgangssperre führte zu einem unmittelbaren Arbeits- und Einkommensverlust von zehntausenden Wanderarbeitern. Nachdem diese auch nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (der überregionale Verkehr wurde völlig eingestellt), sind viele mittellos gestrandet.
Sobald die Beschränkungen wieder zurückgenommen werden können, wird sich das ökonomische Ausmaß der Krise zeigen. Im April haben über 120 Millionen Menschen ihre Arbeit verloren, die Arbeitslosenrate erhöhte sich deutlich von 8,5% im März auf rd. 24% Ende April. Das Mitte Mai verkündete Maßnahmenpaket könnte trotz des Umfanges von USD 260 Mrd. (dies entspricht 10% des BIP) nicht ausreichend sein. Die Maßnahmen beinhalten auch nur zu einem geringen Teil Direktzahlungen bzw. Hilfen für den ärmsten Teil der Bevölkerung.
Erhöhter Risikoaufschlag bei indischen Unternehmen mit guter bis sehr guter Bonität (IG = Investment Grade)
Risikoprämie in Basispunkten von indischen Unternehmensanleihen im Vergleich zu allen Emerging-Markets Unternehmensanleihen mit guter bis sehr guter Bonität
Mai 2020 | 262,5 |
Mai 2019 | 187,3 |
Mai 2018 | 197,5 |
Mai 2017 | 177,7 |
Mai 2016 | 240,9 |
Mai 2015 | 206,2 |
Quelle: Bloomberg, JPM Indizes; Anmerkung: 100 Basispunkte sind 1 Prozent-Punkt
Tiefgreifende Reformen
Stattdessen will Modi die Krise auch zur raschen Umsetzung der bereits seit Jahren angekündigten Reformen nutzen. Dies beinhaltet insbesondere eine massive Deregulierung des landwirtschaftlichen Sektors. Hier hat der Premierminister u.a. einen völligen Abbau von Handelsbeschränkungen zwischen einzelnen Bundesstaaten sowie das Recht für Bauern, ihre Ware frei zu verkaufen, in Aussicht gestellt.
So könnte die aktuelle Situation wieder eine historische Möglichkeit für tiefgreifende Reformen bieten. Das Jahr 1991 dient hier als Vergleichspunkt: Damals wurde Indien von einer Währungskrise erschüttert. Die damaligen Machthaber nutzten diese schwierige Phase zur Umsetzung von entscheidenden Reformen. Rückblickend stellt 1991 eine Zäsur dar, denn die gesetzten Liberalisierungen und Deregulierungen gestalteten Indien zu einer marktwirtschaftlich-orientierten Volkswirtschaft um. Dies legte den Grundstein für signifikante ausländische Investments und den folgenden ökonomischen Aufstieg.
Zusätzlich verkündete Premierminister Modi sein Land auch global neu zu positionieren zu wollen: Im Zeichen des anhaltenden Handelskrieges zwischen China und den USA sowie eines aufkeimenden Trends zur Diversifikation von Produktionsstätten könnte Indien eine interessante Alternative zur (Wieder-)Ansiedlung für westliche Industrieunternehmen darstellen. Eine Änderung der entsprechenden globalen Handelsströme könnte in einem anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung resultieren.
Fazit: Modi könnte gestärkt aus der Krise hervorgehen
Im Endergebnis könnte daher Narendra Modi gestärkt aus der Krise hervorgehen und auch geschichtswirksam Indien nachhaltig gestalten. Aber bietet dies auch interessante Investment-Gelegenheiten?
Die Renditen der indischen Unternehmensanleihen notieren mit höheren – und zuletzt deutlich ausgeweiteten – Aufschlägen gegenüber der Vergleichsgruppe mit gleichem Rating. Bei Unternehmen könnten sich auf selektiver Einzeltitelbasis bereits gute Einstiegszeitpunkte zeigen, bevor ein Investment auf breiter Basis empfohlen werden kann, müssen die angekündigten Reformen umgesetzt werden und erste Früchte tragen. Staatsanleihen weiteten zuletzt ebenfalls deutlich aus und bewegen sich nunmehr auf dem Niveau anderer Emerging Markets.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.