Nach rund einem Jahr ist die niederländische Regierung unter Premier Rutte im Sommer 2023 an Uneinigkeit über die Migrationspolitik gescheitert. Überraschend kam dabei die Absage des langjährigen Premiers Rutte, bei den nächsten Wahlen nicht mehr anzutreten.
Nach mehr als dreizehn Jahren im Amt, womit er der längst dienende Premierminister in der niederländischen Geschichte ist, machte er den Weg frei für einen neuen Kandidaten, und die damit wohl spannendsten Wahlen seit langem in den Niederlanden.
Vielfältige Kandidat:innen
Sowohl die linke als auch die rechte Seite des politischen Spektrums machte sich Hoffnung auf Erneuerung Unter Anderen trat auch das (europa-)politische Schwergewicht Frans Timmermans für das Bündnis Die Grünen/Arbeiterpartei an.
Für die Liberalen trat als Nachfolgerin von Rutte, die Justizministerin Dilan Yeşilgöz an. Damit haben die Niederlande erstmalig die Möglichkeit eine Frau als Regierungschefin zu bekommen.
Der ehemalige Christ-Demokrat Peter Omtzigt trat aus Unzufriedenheit mit dem politischen Klima, als Kandidat für das neu gegründete NSC (neuer Gesellschaftsvertrag), an. Er wurde ebenso auf Anhieb als möglicher Kandidat für die Regierungsvorsitz gehandelt.
Auf der eindeutig rechten Seite des Spektrums die einwanderungsfeindliche PVV (Freiheitspartei) unter der Führung von Geert Wilders, der langjähriger Vorsitzende und Gründer der Partei.
Das Wahlergebnis
Bis zum Wahltag kristallisierte sich in den Umfragen keine Partei als eindeutiger Favorit heraus, obwohl die PVV im Endspurt stark aufholen konnte. Der Anteil an unentschlossenen Wähler blieb bis zuletzt ungewöhnlich hoch.
Der dann noch stärker als erwartete Stimmenanteil für die PVV, die mit mehr als 23% Prozent (37 von insgesamt 150 Sitzen) die eindeutig größte Fraktion im Parlament ist, löste in den Niederlanden eine Schockwelle aus. Der Wandel hin zu populistischen Parteien verdeutlicht die Unzufriedenheit der Niederländer:innen mit traditionellen Politiker:innen und der politischen Verantwortung der Regierung.
Auf den Kapitalmärkten war hingegen kaum eine Reaktion zu bemerken. Die politische Landschaft in den Niederlanden ist von Haus aus stark fragmentiert, und obwohl die PVV mit die größte Fraktion im Parlament stellt, muss sie bei der Regierungsbildung weitgehend Kompromisse eingehen, um eine Mehrheitsregierung zu ermöglichen:
Während die linke Seite des Spektrums noch eher fragmentiert ist, haben sich die Wähler:innen auf der rechten Seite im Vergleich zu 2021 eindeutiger entschieden Der größte Profiteur davon, ist die PVV. Im Allgemeinen zeigt sich die politische Landschaft in den Niederlanden nach den Wahlen allerdings weniger stark fragmentiert.
Mögliche Regierungsvarianten
Als wahrscheinlichsten wurde direkt nach den Wahlen eine Koalition zwischen der PVV und den beiden eher Mitte-Rechts-Parteien VVD (Liberalen) und NSC (Neuer Gesellschaftsvertrag), sowie der Bauernpartei BBB, angesehen.
Innerhalb von wenigen Tagen hat die VVD aber eine Teilnahme an einer Regierung ausgeschlossen, nachdem sie von den ersten auf den dritten Platz gerutscht ist. Damit wäre auf der rechten Seite des Spektrums nur noch eine Minderheitsregierung möglich. Nachdem das Bündnis Die Grünen/Arbeiterpartei wegen zu großer Differenzen in einer Regierung mit Wilders nie Platz nehmen würde, ist das eine solche Minderheitsregierung aktuell auch die wahrscheinlichste Variante.
Die vorletzte Minderheitsregierung
Das 1. Kabinett von Mark Rutte war auch eine Minderheitsregierung, aus der rechtsliberalen VVD und dem CDA, toleriert von der PVV. Die Koalition verfügte zusammen mit der PVV über 76 von 150 Mandaten in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments.
Am 23. April 2012 kam diese Zusammenarbeit zu Ende, wegen eines Streits über Haushaltskürzungen im Zuge der Eurokrise. Diese Haushaltsverhandlungen wurden nicht von der PVV unterstützt, wodurch die Minderheitsregierung keine Mehrheit für die Verhandlungen erhielt.
Die Sparpläne würden 3 Tage später noch abgesegnet mit Hilfe der oppositionellen Parteien D66, GroenLinks und die ChristenUnie.
Bei den darauffolgenden Neuwahlen wanderten viele Wähler von der PVV zur VVD, Geert Wilders hatte sich somit vorerst im Abseits manövriert. Mit dem jetzigen Ergebnis sind die Rollen wohl genau umgekehrt verteilt, mit Geert Wilders in der Position von Mark Rutte im Jahr 2010.
Geert Wilders als Premierminister
Fraglich ist ob der Geert Wilders als Person tragbar ist als Premierminister, geschweige denn ob er die Rolle tatsächlich antreten möchte. Seit mehr als einem Jahrzehnt hat er Personenschutz, seine Wohnadresse ist geheim, und sein Arbeitszimmer im Parlamentsgebäude ist wegen ernstzunehmender Morddrohungen wie ein Safe-Room eingerichtet. Seine Fraktion im Parlament wird von ihm mit eiserner Faust regiert und ein neuer Parteivorsitzender der PVV ist nicht leicht zu finden. Überhaupt besteht in den eigenen Reihen Zweifel über genügend Personal für ein Kabinett.
Erste Schritte in Richtung eines neuen Kabinetts
Die nächsten Schritte bestehen darin, dass das Parlament einen oder mehrere „Informanten“ ernennen wird. Diese Koalitionssondierer haben die Aufgabe, herauszufinden welche Parteien bereit wären, einen Koalitionsvertrag zu schließen. Ihr kann sich auch auf die eigentlichen Koalitionsverhandlungen erstrecken – das könnte aber auch die Aufgabe eines weiteren Informanten sein.
Im Allgemeinen können die Verhandlungen rund um eine neue Koalition lange dauern – beim letzten Mal waren es 299 Tage. Die durchschnittliche Zeit, in den Niederlanden eine Regierung zu bilden, beträgt in etwa 140 Tage.
Ursprünglich war Gom van Strien, Abgeordneter der PVV als Sondierer vorgeschlagen worden. Nachdem dieser jedoch aus den eigenen Reihen des Betrugs verdächtigt worden war, trat er noch vor Antritt seines Amtes zurück. Der neue „Informant“ der die Möglichkeiten einer künftigen Koalition sondieren soll ist ein Parteimitglied der Arbeiterpartei und ehemaliger Minister.
Wie bereits erwähnt wird die Arbeiterpartei sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht an einer Regierung mit dem Geert Wilders beteiligen. Das zeigt die Schwierigkeiten der PVV auf, genügend fähiges Personal in den eigenen Reihen zu finden.
Wirtschaftspolitischen Folgen
Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist es noch zu früh, die Auswirkungen solch einer Regierung vorherzusagen. Erwähnenswert ist, dass die PVV als euroskeptisch gilt. In Umfragen wie denen der Europäischen Kommission befürworten die niederländischen Bürger:innen jedoch mit überwältigender Mehrheit die Europäische Union und den Euro. Es ist unwahrscheinlich, dass Geert Wilders sich bei möglichen Regierungspartnern damit durchsetzen kann.
Quelle: statista.com / IMF; 1 Prognose
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Die Freiheitlichen vertreten auch eine populistische Wirtschaftspolitik mit klaren Wünschen nach höheren Sozialausgaben. Auch in dieser Hinsicht dürften sie angesichts der niederländischen Tradition einer soliden Haushaltspolitik von möglichen Koalitionspartnern diszipliniert werden.
Quelle: statista.com / IMF; 1 Prognose
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Gewiss ist auch, dass die öffentlichen Finanzen der Niederlande in einer gesunden Verfassung sind, die Verschuldung beträgt lediglich 50 % des BIP. Tatsächlich sind die Renditen niederländischer Staatsanleihen, wie oben erwähnt, trotz des überraschenden Wahlausgangs, stabil.
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