Kommentar von Péter Varga, Senior Professional Fondsmanager. Sein Fonds ERSTE BOND EM CORPORATE hat bei den FundAwards für die besten Fonds in Deutschland, die vom €uro Magazin und Börse-Online vergeben werden, 2021 u.a. den ersten Platz belegt (für 3 & 5 Jahre).
In diesem Kommentar möchte ich kurz zusammenfassen, was seit meinem Beitrag am 27.09.2021 in dem Sektor passierte und die Ereignisse in einen Kontext setzen.
Die Zahl Drei
Die Zahl Drei hat in China einen speziellen Stellenwert: die Drei Königreiche (Wu, Wie, Shu), die Drei Schluchten von Yangtse oder die Drei Sagen: Konfuzius, Lao Tzu, Mo-tse. Konfuzius sagte einmal: „Drei Leute spazieren zusammen; zumindest einer ist gut genug, um mein Lehrer zu sein“. Man sagt auch, je mehr Dreier nebeneinanderstehen, desto glücklicher ist es.
Die Aktienticker in Hong-Kong bestehen aus vier Zahlen. Dementsprechend gibt es auch den Aktienticker 3333. Welcher Firma dieser wohl gehört, ist sicher nicht schwer zu erraten, oder? Unter dem Ticker 3333 ist die Firma Evergrande auf der Börse in Hong-Kong zu finden, welche Aktie nach einer 3-wöchigen (wieder die Drei!) Handelsaussetzung am 21.10.2021 erneut handelbar war und seither weitere 45% an „Wert“ einbüßte. Um das zu relativieren: Wer die Aktie vier (3+1!) Jahre vorher nahe am Hochstand kaufte, hatte in den darauffolgenden Jahren bis zur Aussetzung bereits 90% seines Investment verloren.
Zukunft von Evergrande
Laut den aktuellen Nachrichten aus der Guangdong Provinz wird Evergrande wohl in Teile aufgespalten und verkauft, um so die Verbindlichkeiten der Firma bezahlen zu können. Wie bei dem Prozess die Reihenfolge der Gläubiger (lokale vs. ausländische) bestimmt wird – ob dabei Anleihenbesitzer im Ausland das Nachsehen haben – wurde noch nicht mitgeteilt. Es wird aber DIE wichtigste Entscheidung sein, um die Chancen für eine Restzahlung aus weiteren Umstrukturierungsfällen wie Kaisa, Modernland, Yuzhou etc. einschätzen zu können.
In den letzten Monaten sind weitere Firmen in dem Sektor unter die Räder gekommen, selbst Firmen wie Shimao (Bonds handeln bei 40-50 im Cashpreis), welche sogar über ein Investment Grade Rating verfügte. Die Performance des Sektors ist stark negativ, passiv investieren ist unserer Ansicht nach gerade eine reine Geldvernichtung.
Problembereiche des Hausbausektors
Die größte Problematik für Firmen verursachte der Umstand, dass die Erlöse aus dem Vorverkauf (Presale Deposits) der Wohnungen und Häuser nach damaligen Verordnungen nicht für das Geldfluss-Management der Firma zur Verfügung standen. Warum waren diese Erlöse so wichtig?
Die Entwickler haben in den letzten Jahren aus allen Stakeholdern, außer den Aktionären (hier sind hauptsächlich die Zulieferer gemeint), den letzten Tropfen Saft ausgepresst.
Die Anzahl der Tage, nach dem unter anderem die Zulieferer bezahlt werden, hat sich im Durchschnitt von 200 (maximal 350) Tagen im Jahr 2014 auf knapp 400 in 2020 (maximum aber über 900!) erhöht. Sprich im Schnitt mussten Lieferanten deutlich mehr als über ein Jahr auf ihre Zahlungen warten. Je größer der Entwickler, desto mehr Macht hat er, um Zahlungen hinauszuzögern.
„Die größte Problematik für Firmen war der Umstand, dass die Erlöse aus dem Vorverkauf (Presale Deposits) der Wohnungen und Häuser nach damaligen Verordnungen nicht für das Geldfluss-Management der Firma zur Verfügung standen.“
Péter Varga, Senior Professional Fondsmanager
© Bild: Erste AM
Laut Statistiken sowie dem Unternehmen Gau Hua Securities finanzierte sich ein typischer Entwickler bis zu 40% durch Zulieferer und aus den Erlösen der bereits verkauften, aber noch nicht gebauten Immobilien. Es ist auch erwähnenswert, dass die Verpflichtungen Richtung Zulieferer größer waren als die von den Schuldnern, sprich die Zulieferer finanzierten auch gleich die noch nicht verkauften (und eventuell auch unverkäuflichen) Immobilien.
Wenn die Behörden also den Hahn der Vorverkaufserlöse abdrehen, und daneben andere, teilweise illegale Kanäle von „Vermögensprodukten“ stoppen (Trust Products: eine der wichtigsten Finanzierungsquellen der letzten Jahre, meist außerbilanzlich und so die Achillesferse vieler Entwickler geworden), ist es gleich das Armageddon-Szenario für die Branche – so war es auch.
Langsam sickern Nachrichten durch, dass auch bei der Buchhaltung der Firmen womöglich nicht alles sauber war. Bei Evergrande wird es bereits untersucht. Beim Unternehmen Hopson Development hat der Wirtschaftsprüfer PwC den Prüfbericht nicht ausgestellt, da Hopson zu wenig Informationen über die Immobilien in der Bilanz und über gemeinsame Projekte mit anderen Unternehmen übermittelt hat.
Die Frage ist: kommt das plötzlich? Haben diese Wirtschaftsprüfer in den letzten Jahren alles erhalten, oder wird die Situation, nachdem die Behörden bei Evergrande immer tiefer graben, zu kritisch?
Zukünftige Entwicklungen
Die Situation in der Baubranche hat ein neues Level erreicht. Es wird immer konkreter, wer womöglich überleben wird und wer nicht.
Auf der einen Seite setzten die Behörden dabei auf gutkapitalisierte Privatfirmen wie unter anderem Longfor sowie auf staatsnahe Unternehmen wie China Overseas Land and Investment. Daneben auch auf andere staatsnahe Firmen wie zum Beispiel jene, die für notleidende Kredite zuständig sind und dann Immobilien bzw. Projekte übernehmen und abwickeln.
Dazu gehört unter anderem Cinda Asset Management aus der Branche von Huarong. Bei diesem Unternehmen gab es aber auch Ungereimtheiten und es befindet sich in der Umstrukturierung bzw. Rekapitalisierung. Dabei entstehen potenzielle neue Problemfälle, wie die Finanzierungsfirmen der Provinzen (LGFV: Local Government Financing Vehicle), die aufgrund der mangelnden Nachfrage nach Bauland derzeit selbst dieses kaufen. Also nochmal: Die Provinz verkauft Grundstücke an ihre eigene Firma, die durch Kredite finanziert ist – man kann hier den nächsten Stolperstein erkennen.
Auf der anderen Seite lockern die Behörden nun erneut das regulatorische Umfeld: Sie instruieren Banken, die Kreditvergabeprozesse zu beschleunigen und erlauben wieder einen gewissen Zugriff auf die Vorverkaufserlöse der Immobilien. Die wirtschaftlichen Einbußen aus dem Untergang der Branche gefährden mittlerweile den Wohlstand und innenpolitische Ziele.
Der Staat erhöht de facto in diesem Prozess seinen Einfluss in der Immobilienbranche, nachdem das Ziel „Wohlstand für alle“ in den letzten Jahren offensichtlich nicht verfolgt wurde. Immobilien sind immer öfter für viele nicht mehr leistbare, Spekulationsobjekte geworden. Die Branche hat die Warnungen der Regulatoren nicht ernst genommen und die Familien, die hinter den meisten privaten Firmen stehen, haben diese oft überlistet (rasanter Anstieg der außerbilanzlichen Verbindlichkeiten, Joint Ventures).
Die Branche steht damit aber nicht alleine da. Die Casinos in Macau sowie Techfirmen wie Tencent und Alibaba, die über eine Vielzahl von Firmen gegründet und aufgekauft wurden und dadurch in den Augen der Behörden als „Staat im Staat“ funktionierten, unterliegen nun alle neuen Regularien. Der Staat greift überall durch, wo seine Ziele als gefährdet erscheinen. Das ist die neue Realität, in dem sich „für den Westen öffnenden“ Land.
Über den ERSTE BOND EM CORPORATE
Nun zum Schluss wäre eine berechtigte Frage, wie wir aus Wien diese herausfordernden Zeiten in China in unseren Fonds miterlebt haben. In unserem fast 15 Jahre alten ERSTE BOND EM CORPORATE Fonds haben wir die Immobilienbranche in China von 2017 bis Sommer 2020 deutlich übergewichtet gehabt. In den Monaten darauf haben wir in unseren Produkten die Branche entweder auf das Universum angenähert oder, wo sie ein deutliches Gewicht hatte, auf spürbaren Untergewichten herabgestuft.
Ein 180 Grad Dreh innerhalb von wenigen Monaten, das was ein aktiver Manager manchmal machen muss. Die Outperformance im Vergleich zum Universum ist auf der Grafik deutlich zu erkennen, auch in den letzten Monaten, als die Gewichtung per se verglichen mit dem Universum konstant war. Eine optimale Titelselektion, Auswahl von stark bestraften, aber aus unserer damaligen Einschätzung heraus stabilen Namen, war der Schlüssel dazu.
Wertentwicklung ERSTE BOND EM CORPORATE 10 Jahre
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.