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Netzausfall und Whistleblowerin geben Facebook-Kritikern neuen Zündstoff

Netzausfall und Whistleblowerin geben Facebook-Kritikern neuen Zündstoff
(c) annie-spratt-unsplash

Zwei praktisch zeitgleiche Ereignisse haben zuletzt Bedeutung und Macht des sozialen Netzwerkriesen Facebook massiv ins Rampenlicht gerückt und Facebook-Kritiker bestärkt: Nach dem mehrstündigen Ausfall der wichtigsten Facebook-Dienste am vergangenen Montag hat am Tag darauf die Whistleblowerin und Ex-Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen vor dem US-Senat schwere Vorwürfe gegen den Konzern vorgebracht. Damit lieferte sie auch den politischen Forderungen nach einer stärkeren Regulierung der Facebook-Dienste oder gar einer Zerschlagung des Konzerns weiteren Zündstoff.

Am Montag kam es bei Facebook zu einem fast sechsstündigen Total-Ausfall seiner Dienste. Für die über drei Milliarden Nutzer des Unternehmens waren damit Facebook selbst, aber auch die zum Konzern gehörende Chat-Plattform WhatsApp, der Foto-Dienst Instagram und die Business-Plattform Workplace zeitweise nicht verfügbar. Anbieter alternativer Dienste verzeichneten in Folge steigende Nutzerzahlen.

Die Chat-App Signal verbuchte Millionen neue Nutzer, die iPhone-App von Signal stieg zweitweise von Platz 55 auf Platz eins der Download-Charts. Die andere bekannte WhatsApp-Alternative Telegram verzeichnete laut ihrem Gründer Pawel Durow 70 Millionen neue Nutzer. Viele User wichen auch auf die guten alten SMS-Dienste zurück. Die Deutsche Telekom verzeichnete an diesem Tag achtmal mehr SMS-Nachrichten als üblich, die Telefonica (O2) meldete eine Verdreifachung des SMS-Verkehrs.

Betroffen waren davon aber nicht nur private Nutzer. Viele Kleinunternehmer und Selbständige sind stark von Facebook, WhatsApp und Instagram abhängig um Produkte online zu verkaufen und mit Kunden zu kommunizieren. Sie erlitten daher beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden. Zudem war auch Facebooks Dienst Workplace, eine Plattform für die interne Kommunikation von Unternehmenskunden, betroffen. An der Börse brachen Facebook-Aktien am Tag des Vorfalls um fast fünf Prozent ein. Allein das persönliche Vermögen des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg schrumpfte damit nach Berechnungen von Bloomberg binnen weniger Stunden um mehr als 6 Milliarden Dollar.

Fehlerhafte Konfigurationsänderung legte Facebook-Dienste lahm

Auslöser des Ausfalls war laut Facebook eine fehlerhafte Konfigurationsänderung. Damit „verschwand“ IT-Experten zufolge das sogenannte „Border Gateway Protocol“ von Facebook, das nötig ist, damit die Server des Unternehmens im Internet überhaupt zu finden sind. Erschwert wurde die Fehlerbehebung dadurch, dass auch die interne Kommunikation bei Facebook betroffen waren. Sogar digitale Türschlösse sollen Berichten zufolge teilweise ausgefallen sein.

Zudem konnten die Facebook-Netzadministratoren nicht mehr über das Internet auf die eigenen Server zugreifen um den Fehler zu beheben. Schließlich musste Facebook daher laut „New York Times“ ein Team in sein Rechenzentrum im kalifornischen Santa Clara schicken um einen manuellen Reset der Server durchzuführen.

Whistleblowerin sammelte interne Dokumente über schädliche Folgen der Dienste

Der Ausfall rückte die Bedeutung der Facebook-Dienste zu einem denkbar heiklen Zeitpunkt ins öffentliche Bewusstsein: Gleich am folgenden Tag brachte die Ex-Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen vor dem US-Senat ihre Vorwürfe gegen den Konzern vor. Die ehemalige Facebook-Datenexpertin hatte schon davor zahlreiche interne Dokumente und Forschungspapiere des Konzerns gesammelt und dem Wall Street Journal zugespielt.

Gleichzeitig wandte sie sich mit einer Beschwerde an die US-Börsenaufsicht SEC und genießt damit als sogenannte „Whistleblowerin“ nach US-Recht besonderen juristischen Schutz. Die von ihr gesammelten Papiere belegen laut Haugen, dass Facebook von den schädlichen Auswirkungen seiner Dienste gewusst, und dennoch Geschäftsinteressen über jene der Nutzer gestellt habe.

So würden Studien von Facebooks eigenen Forschern zeigen, dass der Facebook-Dienst Instagram bei vielen Nutzern im Teenager-Alter die Unzufriedenheit mit den eigenen Körper und in Folge den Hang zu Ess-Störungen verstärke. Zudem verwende Facebook Mechanismen, die ein Suchtverhalten speziell bei jüngeren Nützern auslösen können, so Haugen.

Laut der Datenexpertin schreite der Konzern auch zu wenig gegen polarisierende und Hass-schürende Postings ein. Facebook verwende zwar Algorithmen um schädliche und irreführende Inhalte auszufiltern, doch greifen diese oft zu kurz. Interne Dokumente zeigen auch, dass der Konzern viele prominente User von diesen Filtern ausgenommen hat, da man bei der Kontrolle ihrer Posts nicht nachkam.

Ex-Datenexpertin: Facebook formt unsere Wahrnehmung der Welt

Insgesamt bestimmen die Facebook-Algorithmen zu einem großen Teil, welchen Ausschnitt der Welt die Nutzer zu sehen bekommen. „Facebook formt unsere Wahrnehmung der Welt durch die Auswahl der Informationen, die wir sehen“, so die Whistleblowerin. Der Konzern macht aus diesen Algorithmen aber streng gehütete Firmengeheimnisse und verwehrt Forschern und Regulierern den Zugang dazu. Haugen fordert daher eine stärkere Transparenz und Regulierung der Auswahlmechanismen.

Facebook selbst dementiert zwar nicht die Echtheit der Dokumente, weist die Vorwürfe aber generell zurück. „Das Argument, dass wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen, ist zutiefst unlogisch“, schrieb Facebook-Chef Zuckerberg. So hätten etwa Werbekunden kein Interesse daran, ihre Anzeigen neben wuterregenden Inhalten zu sehen.

Spitzenpolitiker fordern stärkere Regulierung oder sogar Zerschlagung von Facebook

Den Facebook-Kritikern lieferten Haugens Enthüllungen gemeinsam mit dem Netzausfall trotzdem neuen Zündstoff. Experten sprechen vom größten PR-Debakel für Facebook seit dem Skandal rund um die Verwendung von Nutzerdaten durch Cambridge Analytica 2018. Damals war bekanntgeworden, dass Jahre zuvor eine Datenanalysefirma Informationen von Millionen Nutzern ohne deren Wissen abgreifen konnte.

Unter US-Politikern mehren sich die Stimmen, die eine stärkere Regulierung oder sogar Zerschlagung des Konzerns fordern, und zwar sowohl unter Demokraten als auch im Lager der Republikaner. „Zerschlagt sie jetzt“, forderte etwa die einflussreiche demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez.

Auch viele EU-Spitzenpolitiker sehen sich durch den Ausfall und Haugens Aussagen in ihren Vorhaben Unternehmen wie Facebook stärker zu regulieren bestätigt. Der Netzausfall habe gezeigt, dass es Bedarf an mehr Wettbewerb gebe, schrieb die für Wettbewerb und Digitales zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager auf Twitter. „Man darf sich nicht nur auf einige wenige große Spieler verlassen.“ Das sei auch das Ziel des Digital Markets Acts (DMA). An den neuen Regelungen zur Kontrolle großer Technologiekonzern werde gerade auf EU-Ebene gearbeitet.

An der Börse ging es nach Haugens Auftritt vor dem Senat weiter nach unten, die Aktien konnten sich im weiteren Wochenverlauf aber wieder etwas erholen. Die Frage aus wirtschaftlicher Sicht ist, ob die jüngsten Vorfälle zu einem massiven Abwandern von Nutzern und damit in Folge von Werbekunden führen kann. Manche Experten bezweifeln, dass viele User nach dem Netzausfall den Facebook-Diensten vollständig den Rücken kehren. Facebook profitiert stark vom sogenannten „Netzwerkeffekt“: Der große Nutzen des Diensts liegt in der riesigen Zahl der User und dafür kam man schwer Alternativen finden. Der Schaden für den Konzern könnte damit vorerst begrenzt sein.

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