Nachdem die EU-Kommission Investitionen in Atomenergie als klimafreundlich eingestuft hat[1], liegt die große Hoffnung der Atomindustrie und -staaten auf sogenannten Small Modular Reactors (SMRs). Diese Mini-Reaktoren mit einer Leistung von maximal 300MW sollen im Vergleich zu traditionellen Großreaktoren (>1000MW) schneller zu bauen, billiger und sicherer sein und durch ihren emissionsarmen Strom einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Doch was steckt wirklich hinter diesen Versprechungen?
Neuer Aufwind für alte Technologie
SMR-Konzepte gehen bereits auf die 1950er Jahre zurück. So versuchte man beispielsweise Atomkraft als Antriebstechnologie für Militär-U-Boote zu nutzen. Heutzutage gibt es weltweit rund 70 Projekte zur Entwicklung von SMRs – diesmal mit dem Ziel sauberen Strom als Alternative zu fossilen Brennstoffen zu produzieren. Der Großteil der Projekte befindet sich in Ländern, die bereits Kernwaffenprogramme unterhalten und/oder über ein großes kommerzielles Atomprogramm verfügen. Die meisten Projekte sind derzeit im Stadium der Konzeptstudien. Einzig in Russland sind bereits seit 2020 zwei SMRs an Bord des Schiffs „Akademik Lomonossow“ in Betrieb.
Ringen um Vormachtstellung
Im englischsprachigen Raum, ringen die USA, Großbritannien und Kanada um die Vormachtstellung in der Produktion von SMRs, um Jobs und Exporte für die Zukunft zu sichern. In den USA, genießt die SMR-Technologie Unterstützung von beiden Parteien sowie von Microsoft-Gründer Bill Gates und seinem Unternehmen Terrapower. Vorreiter ist jedoch das Unternehmen NuScale, dessen SMR-Design im September 2020 von der Nuclear Regulatory Commission bewilligt wurde. Im Oktober 2020, wurden dem Unternehmen Förderung vonseiten der Regierung in Höhe von 1.4 Mrd. USD zugesagt, um noch bis Ende dieses Jahrzehnts eine SMR-Anlage zu errichten.
In Großbritannien sind SMRs ein fester Bestandteil des Zehn-Punkte-Plans zur „Green Industrial Revolution“. Außerdem arbeitet ein Konsortium unter der Führung von Rolls Royce an der SMR-Technologie. Nachdem die erste Phase des Projekts erfolgreich ein Reaktorkonzept entwickelt hat, dient die im November 2021 angelaufene zweite Phase der Weiterentwicklung dieses Konzepts bis hin zur Bewilligung durch das Office of Nuclear Regulation. Das Projekt wird mit bis zu 210 Mio. GBP an Regierungsförderungen unterstützt. Die erste SMR-Anlage soll um 2030 herum in Betrieb genommen werden und bis 2050 sollen insgesamt 16 SMR-Anlagen errichtet werden.
In Kanada wurde 2018 die SMR Roadmap veröffentlicht – eine Reihe an Empfehlungen zur Förderung der SMR-Entwicklung. Letztes Jahr folgte als Antwort der SMR Action Plan, in dem 117 Akteure aus Politik, Industrie und Wissenschaft ihre konkrete Maßnahmen zur Förderung der SMR-Technologie auflisteten. Derzeit gibt es jedoch kein vergleichbares Projekt zum NuScale- oder Rolls Royce-Reaktor, und so sicherte sich das amerikanisch-japanische Unternehmen GE Hitachi den Auftrag eines der größten kanadischen Energieversorgungsunternehmen, Ontario Power Generation, mit SMRs zu beliefern.
In der EU zählt Frankreich zu den größten Verfechtern von SMRs. Frankreich plant derzeit Investitionen in Höhe von 1 Mrd. Euro, insbesondere für die Umsetzung des Nuward-Projekts. Das Projekt wird von der französischen Atomenergiekommission, EDF, Technic Atome und der Naval Group geleitet. Das Ziel ist es bis 2025 ein SMR-Design zu entwickeln, das rechtzeitig zum geplanten Baustart 2030 bewilligt werden soll. Der Demonstrationsreaktor soll in Frankreich stehen, doch zielt auch Frankreich wie die USA, Großbritannien und Kanada langfristig auf den Exportmarkt ab (z.B. Tschechien, Polen oder die Golfstaaten).
Schneller, billiger, sicherer?
Die Vorteile von SMRs, die Atomindustrie und -staaten gerne hervorheben, lassen sich kurz zusammenfassen als: schneller gebaut, billiger und sicherer. So können SMRs in Serie produziert und in der Fabrik vormontiert werden, wodurch die kostspielige Konstruktion vor Ort minimiert wird und Bauzeiten verkürzt werden. Im Vergleich zu konventionellen AKWs, soll es bei SMRs daher nicht zu Kostenexplosionen und Bauverzögerungen kommen. Gleichzeitig werden die Mini-AKWs als sicherer angepriesen, jedoch wird außer der kleineren Größe oft kein Grund dafür angeführt. Zu guter Letzt heben Klimaschützer gerne hervor, dass SMRs eine emissionsarme Alternative zu Gas- und Kohlekraftwerke darstellen.
Die propagierten Vorteile werden jedoch von vielen Seiten angezweifelt. Ein 2021 veröffentlichtes Gutachten des Deutschen Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) konnte bei vergangenen und aktuellen SMR-Entwicklungen keine signifikanten Kostenersparnisse oder kürzere Bauzeiten beobachten. Im Gegenteil, Planungs-, Entwicklungs- und Bauzeiten übersteigen die ursprünglichen Zeithorizonte in der Regel um ein Vielfaches. Außerdem sind SMRs anderen Energietechnologien wie Wind- und Solarenergie – auch in Kombination mit Speichersystemen – wirtschaftlich weit unterlegen. Darüber hinaus konnten keine Sicherheitsvorteile festgestellt werden, abgesehen davon, dass SMRs aufgrund ihrer kleineren Größe und Leistung ein geringeres radioaktives Inventar pro Reaktor aufweisen und dadurch im Falle einer Kernschmelze weniger nukleares Material freigesetzt werden kann. Es wird jedoch auch eine Vielzahl an SMRs benötigt, um die gleiche Menge an elektrischer Leistung zu produzieren, wodurch sich die Anzahl an potenzieller Fehlerquellen ebenfalls vervielfacht. Nicht zuletzt ist auch das Problem der Endlagerung von radioaktiven Abfall weiterhin ungelöst.
Dann bleibt nur noch der Beitrag zum Klimaschutz. Wie man an den oben aufgeführten Plänen jedoch rasch erkennt, wird der Beitrag von SMRs zum Klimaschutz in diesem Jahrzehnt gleich null sein. Dieses Jahrzehnt gilt jedoch laut UN-Klimarat IPCC als das kritische Jahrzehnt in der Bekämpfung des Klimawandels. Selbst wenn alles nach Plan läuft und die ersten SMR-Anlagen 2030 in Betrieb gehen, wird es noch Jahre dauern, bis Lieferketten für die vorgesehene Massenproduktion aufgebaut sind. Bei Massenproduktionen besteht zudem immer ein Risiko von Produktionsfehlern und umfangreichen Produktrückrufen – dies könnte bei Mini-AKWs nicht nur gefährlich sein, sondern auch Auswirkungen auf die Energiesicherheit haben.
Der Beitrag von SMRs zum Klimaschutz ist daher auch nach 2030 fraglich, insbesondere wenn die Kosten von erneuerbaren Energien und Speichersystem weiter fallen. Wie eine US-amerikanische NGO sehr treffend formuliert hat, sind zwei Dinge auf dem Weg zu einem klimafreundlichen Energiesystem Mangelware: Zeit und Geld. SMRs schneiden derzeit in beiden Punkten schlecht ab.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.