Die Weltwirtschaft befindet sich in einem stagflationären Umfeld. Das ist neu für alle Gruppen: Die Unsicherheit für Konsumenten, Unternehmen, Staat (inklusive Zentralbanken) und Marktteilnehmer hat deutlich zugenommen. Lange Zeit etablierte Zusammenhänge zwischen volkswirtschaftlichen Kenngrößen (Wachstums, Arbeitslosenrate, Inflation, Zinsen, Wertpapierpreise) sind in Frage gestellt. Verschärft wird die Situation durch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, die fundamentale Aspekte wie Energie- und Nahrungsmittelsicherheit, Frieden, soziale Stabilität und die geopolitische Weltordnung bedrohen. Die Marktteilnehmer sind auf der Suche nach einer neuen Strategie: TINA („There is no Alternative to Risk Assets“) gilt jedenfalls nicht mehr.
Inflationsspirale
Die Kernfrage ist, ob ein Regimewechsel von einem Umfeld niedriger Inflation zu einem Umfeld mit anhaltend hoher Inflation stattfindet. Der im Vorhinein nicht feststellbare Kipppunkt, ab dem auch die Inflationserwartungen anhaltend ansteigen, rückt mit jedem weiteren Monat hoher Inflationsraten näher. In den kommenden Tagen steht für die Eurozone die Schnellschätzung für die Konsumentenpreisinflation im Juni im Blickpunkt (Bloomberg-Consensus: 0,7% p.m. / 8,5% p.a.). Die Unsicherheit über die tatsächliche Natur der Inflationsdynamik ist groß.
Restriktive Geldpolitik
Um eine Inflationsspirale zu verhindern, beschleunigen immer mehr Zentralbanken den Ausstieg aus der expansiven Haltung. Die Erstrundeneffekte bei der Inflation können zwar nicht verhindert werden – der Energiepreisschub bewirkt große Preisanstiege in vielen Bereichen – die Sekundärrundeneffekte können aber gebremst werden, indem die Nachfrage (der Arbeitsmarkt) abgeschwächt wird. Es gilt möglichst schnell ein moderat restriktives Zinsniveau zu erreichen. Der Fed-Vorsitzende Powell wiederholte vergangene Woche die Botschaft seiner Pressekonferenz die Woche davor. Er betonte, dass das Hauptaugenmerk der Zentralbank auf der Wiederherstellung der Preisstabilität liege. Powell meinte außerdem, dass eine weiche Landung der Wirtschaft (keine Rezession) sehr schwierig sein wird. Eine Rezession die eine Inflationsspirale verhindert wäre naturgemäß weniger gravierend als eine Inflationsspirale. Denn in letzterem Fall müssten die Leitzinsen sehr stark auf über die hohen Inflationsraten angehoben werden. Das würde eine schwere Rezession nach sich ziehen.
Fallende Konjunkturindikatoren
Noch bevor die Leitzinsen ein restriktives Niveau erreicht haben, haben sich die Aussichten für das Wirtschaftswachstum weiter eingetrübt. Die überraschend hohen Inflationsraten haben die Kaufkraft reduziert und zu einem starken Rückgang der Konsumentenstimmung geführt. In den USA (University of Michigan) und im UK (Gfk) wurden im Juni Allzeittiefs erreicht, in der Eurozone (European Commission) war die Stimmung nur während der Staatsschuldenkrise 2012/2013 noch niedriger. Auf der Unternehmensebene zeigten die Schnellschätzungen der Einkaufsmanagerindizes für einige entwickelte Volkswirtschaften (USA, Eurozone, UK, Japan, Australien) für Juni den dritten Monat in Folge einen Rückgang der aggregierten Gesamtzahl. Der Bericht deutet auf ein aktuell schwaches reales Wirtschaftswachstum sowie auf Abwärtsrisiken für das dritte Quartal hin. Besorgniserregend ist vor allem der starke Rückgang der Komponente Neuaufträge unter die Marke von 50. Das deutet auf eine schrumpfende Nachfrage hin.
Schwächezeichen am Arbeitsmarkt
Bis dato ist der Arbeitsmarkt fest. In den entwickelten Volkswirtschaften sind die Arbeitslosenraten sehr niedrig. Das OECD-Aggregat beträgt lediglich 5,02% für April. Erste Anzeichen für eine Abschwächung liefert der leichte, trendmäßige Anstieg der Erstanträge auf Arbeitslosenversicherung in den USA und der leichte Rückgang der Beschäftigungskomponente in der Schnellschätzung für den Juni-PMI (auf ein immer noch hohes Niveau). Historisch betrachtet erhöhen Abschwächungstendenzen am Arbeitsmarkt die Rezessionswahrscheinlichkeit, wenn die Arbeitslosenrate ein niedriges Niveau erreicht hat. In dieser Woche ist die Beschäftigungskomponente der US-Konsumentenstimmung (Jobs Plentiful minus Hard to Get) für Juni von Interesse, die vom Allzeithoch im März bereits zweimal in Folge gefallen ist. Ansonsten stehen die globalen Einkaufsmanagerindizes für den Monat Juni und das Wirtschaftsvertrauen in der Eurozone im Blickpunkt.
Gaslieferstopp
Die Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten haben zu stark angestiegenen Rohstoffpreisen geführt, die sich aktuell auf viele andere Preise überwälzen. Doch das noch größere Risiko stellen tatsächliche Lieferkürzungen dar. Bereits jetzt sind einige Entwicklungsländer mit einer Nahrungsmittelkrise konfrontiert. “We will continue to provide financial, humanitarian, military and diplomatic support and stand with Ukraine for as long as it takes,” heißt es in einem Erklärungsentwurf des jüngsten G7-Treffens. Wegen des weiter eskalierenden Konflikts zwischen dem Westen und Russland sind die Gaslieferungen nach Europa bereits gekürzt worden. Ein Gaslieferstopp würde zu einer starken Kontraktion des Bruttoinlandsproduktes in Europa führen.
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