Was ist die wirtschaftliche Auswirkung von Epidemien und Pandemien? Unsere Experten haben wissenschaftliche Reports aus der jüngsten Vergangenheit (2003 bis 2019) durchgearbeitet, um eine möglichst fundierte Einschätzung der Auswirkung von Pandemien auf die weltweite Wirtschaftsleistung zu erhalten.
Die einzelnen Studien untersuchen und vergleichen die Effekte von Epidemien (signifikanter regionaler Anstieg von Neuerkrankungen in einer Region) und Pandemien (länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektionskrankheit) anhand von:
- Historischen Fallstudien
- Makroökonomischen Modellen und Simulation von Schocks
- Simulationen (z.B. versicherungsmathematische Modelle), welche Krankheitsverläufe und Auswirkungen simulieren.
Die meisten Studien bedienen sich historischer Fallbeispiele, um die Parameter in den jeweiligen Modellrechnungen zu kalibrieren.
Während makroökonomische Modelle primär darauf abzielen, die Auswirkungen von sich rasch ausbreitenden Infektionskrankheiten zu quantifizieren, verknüpft die Versicherungsmathematik die zu erwartenden Effekte einer Pandemie mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Auf diese Weise wird versucht, auch die Eintrittswahrscheinlichkeit von Pandemien und deren sozioökonomischen Kosten zu prognostizieren.
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Was ist laut Studien zu erwarten?
Wie sich aus den einzelnen Studien ablesen lässt, gehen die jeweiligen Modelle global gesehen von einer relativ geringen wirtschaftlichen Auswirkung aus.
Die gängigste Annahme rechnet mit einem Rückgang der weltweiten Wirtschaftsleistung (gemessen am BIP) um 0,6% bzw. 500 Mrd. USD. Gleichzeitig erwartet der Konsensus eine V-förmige Erholung der Wirtschaft innerhalb von 3 bis 12 Monaten.
Regional sind jedoch deutliche Unterschiede zu erwarten, vor allem was die Auswirkungen auf die volkswirtschaftliche Entwicklung von Staaten der 1. Welt und den Entwicklungsländern betrifft.
Die negativste Schätzung einer Studie für einen angenommenen Ebola Ausbruch in Sierra Leone prognostiziert einen Einbruch des Bruttoinlandsproduktes für diesen Staat um 16%.
Gründe hierfür sind die im Vergleich zu Industriestaaten mangelhafte medizinische Versorgung, die generell schlechtere Versorgungslage der Bevölkerung, sowie die hohe Bevölkerungsdichte gepaart mit mangelnder Hygiene (Stichwort Zugang zu sauberen Trinkwasser).
Die Weltbank geht in einer Modellrechnung aus dem Jahr 2013 davon aus, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit einer weltweiten Pandemie mit 1% bis 3% zwar sehr gering ist, dass aber bei einer hohen Infektionsrate (analog der Spanischen Grippe) die Kosten für die Weltwirtschaft bis zu drei Billionen USD betragen könnten.
Die Berechnungen der Weltbank
Angesichts dieses Ausmaßes mahnt die Weltbank, dass die Staatengemeinschaft zu wenig Präventionsmaßnahmen gesetzt hat.
Die Weltbank rechnet vor, dass jährliche Investitionen von 3,7 Mrd. USD in Präventivmaßnahmen (va. in Entwicklungsländern) die durch Infektionskrankheiten hervorgerufenen Kosten um 37 Mrd. USD senken würden.
Generell gilt, dass die wirtschaftlichen Kosten in all jenen Branchen am größten sind, in denen Kundenkontakt von Angesicht zu Angesicht stattfindet und in denen der Konsum nicht aufgeschoben werden kann.
Dies betrifft zahlreiche Bereiche des Dienstleistungssektors, vor allem den Tourismus und die Freizeitindustrie. Überdurchschnittlich betroffen sind des weiteren Unternehmen mit komplexen und globalisierten Lieferketten, die durch die Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie gestört werden.
Kosten einer Epidemie/Pandemie
Auf Länderebene sind jene Volkswirtschaften überproportional betroffen, die eine stärkere Abhängigkeit vom Faktor Arbeitskraft besitzen.
Somit fallen die Kosten einer Epidemie oder Pandemie in Entwicklungsländern mehr ins Gewicht, als in den entwickelten Ländern, deren Wirtschaft einen höheren Grad an Automatisierung und Digitalisierung aufweist.
Auch der Grad der Vernetzung von Regionen ist ein wichtiger Einflussfaktor für die Ausbreitung einer Infektionskrankheit und der Höhe der Kosten. So verbreiten sich Viruskrankheiten in offenen Volkswirtschaften wie in Europa wesentlich schneller, als beispielsweise im Nahen Osten, wo die einzelnen Staaten stärker voneinander abgeschottet sind.
Ein wichtiges Element bei den von Pandemien verursachten Kosten stellt das menschliche Verhalten dar. Die Angst vor einer Ansteckung kann sowohl die Eindämmung erschweren, als auch unmittelbar negative wirtschaftliche Effekte hervorrufen.
Die Soziologie von Quarantäne
Dies beginnt bei der Soziologie der Quarantäne, aus der Menschen, um einer möglichen Ansteckung zu entgehen, auszubrechen versuchen und den Virus dadurch erst recht weitertragen.
Aus der Literatur lässt sich aber auch ablesen, dass sich viele Menschen quasi in Selbstquarantäne flüchten, um einer Ansteckung zu entgehen. Diese Selbstquarantäne beginnt beim Verzicht auf den Besuch von Orten, an denen mit einer erhöhten Ansteckungsgefahr gerechnet wird (Veranstaltungen, Restaurants, Kinos, Reisen, etc.), was einen negativen Effekt auf den Konsum hat.
Wie vergangene Pandemien gezeigt haben, bleiben in besonders betroffenen Gebieten zahlreiche Menschen auch der Arbeit fern, um nicht infiziert zu werden.
Untersuchungen haben ergeben, dass solche selbst auferlegte Schutzmaßnahmen rund 60% der Folgekosten einer Pandemie ausmachen können.
Im Gegenzug resultieren nur etwa 28% der Gesamtkosten aus dem krankheitsbedingten Ausfall von Arbeitnehmern.
Transport & Globalisierung: Rahmenbedingungen haben sich nachteilig verändert
Wenngleich die untersuchten Studien relativ jung sind, stellt sich derzeit die Frage, ob die getroffenen Modellannahmen nach wie vor Gültigkeit besitzen oder ob sich einige Rahmenbedingungen während der letzten Jahre nicht deutlich verändert haben.
Anders ausgedrückt: lassen sich die Ergebnisse der Studien auf den sich ausbreitenden Corona Virus im Jahr 2020 umlegen?
Am auffälligsten ist das weltweit stark gestiegene Verkehrsaufkommen während der letzten Jahrzehnte. Dies betrifft den Gütertransport ebenso, wie die verstärkte Reisetätigkeit von Personen. Hinzu kommt die Globalisierung der Lieferketten, welche in der jüngsten Vergangenheit ebenfalls deutlich an Bedeutung gewonnen haben.
All dies hat die Verletzlichkeit der Weltwirtschaft erhöht. Schließlich ist das wirtschaftliche Umfeld als herausfordernder zu beurteilen, als bei manch vergangener Pandemie.
Das aktuelle Wirtschaftswachstum befindet sich nach mehreren Jahren des kräftigen Aufschwunges in einer Phase der Abkühlung. Gleichzeitig ist der Anteil Chinas und Südostasiens an der globalen Wirtschaftsleistung während der letzten 10 Jahre deutlich angestiegen.
Eine Pandemie kann heute größere Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben
Eine Pandemie, zumal eine, die in China ihren Ausgang genommen hat, könnte in diesem Umfeld daher größere Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben, als vergangene Seuchen.
Hinzu kommt, dass die Zentralbanken in der anhaltenden Niedrigzinslandschaft wenig Spielraum haben möglichen negativen Auswirkungen effektiv entgegenzuwirken.
Eine Studie aus dem Jahr 2006 beispielsweise empfiehlt der Europäischen Zentralbank als erste Gegenmaßnahme eine Senkung der Leitzinssätze um 100bp. Ein solcher Schritt wäre heutzutage gar nicht möglich.
Einen weiteren wichtigen Punkt stellen soziale Medien dar, die sich in den vergangenen 10 Jahren in unseren Gesellschaften etabliert haben. Diese Medien können zu Panikverstärkern werden und so die Kosten einer Pandemie zusätzlich in die Höhe treiben.
Auf diesen möglichen Effekt weist zwar die eine oder andere jüngere Studie hin, in Modellrechnungen ist er aber bis Dato noch nicht eingeflossen.
Erste Erkenntnisse zum Corona Virus lassen keinen gravierenden Verlauf erwarten
Zum aktuell grassierenden Corona Virus gibt es aufgrund des frühen Stadiums zwar noch keine abschließenden Erkenntnisse, allerdings lässt der bisherige Verlauf erste Schlüsse zu.
Von der Übertragungsrate scheint der Corona Virus einer Erkältung oder aggressiven Form der Grippe zu entsprechen. Eine infizierte Person reicht in diesem Fall den Virus an zwei bis drei Menschen weiter.
Von der Mortalitätsrate scheint der Covid-19 Virus etwas über jener des gewöhnlichen Grippevirus, aber deutlich unter der des Sars Virus zu liegen.
Des Weiteren zeigt sich bisher, dass die Alterskohorten 70+ und 80+ überproportional von einem schweren Krankheitsverlauf betroffen sind, die arbeitsfähige Bevölkerung (va. die Altersgruppe 20 bis 60 Jahre) hingegen meist einen milden Krankheitsverlauf aufweist.
Auch der Verlauf der Anzahl an Neuerkrankungen in China lässt den Schluss zu, dass sich der Zeitraum der Pandemie im Rahmen dessen bewegen dürfte, was auch bei anderen Pandemien (Spanische Grippe, Schweinegrippe, gewöhnliche Grippe, etc.) zu beobachten war. Damals hatte der Höhepunkt der Pandemie bei einer Dauer von etwa drei Monaten gelegen.
Vor diesem Hintergrund ist nach derzeitigem Kenntnisstand und nach Analyse diverser Studien zu diesem Thema davon auszugehen, dass die globale Ausbreitung des Corona Virus sehr wohl eine Auswirkung auf die Weltwirtschaft hat, dieser Effekt allerdings nicht allzu gravierend sein sollte und in etwa 12 Monaten egalisiert sein sollte.
Unser Dossier zum Thema Coronavirus mit Analysen: https://blog.de.erste-am.com/dossier/coronavirus/
Quellen:
- Win-Win? Assessing the global impact of the Chinese economy; Risto Herrala and Fabrice Orlandi BOFIT Discussion Papers; #4/2020
- The Economics of Pandemics and Quarantines; American Institute for Economic Research; Vincent Geloso; January, 2020
-
Epidemics and Economics; Author(s): International Monetary Fund. Communications Department; June 2018Impact of a Hypothetical Infectious Disease Outbreak on US Exports and Export-Based Jobs; Bambery Z, Cassell CH, Bunnell RE, Roy K, Ahmed Z, Payne RL, Meltzer MI; 2018
- Ahmed, Shaghil, Ricardo Correa, Daniel A. Dias, Nils Gornemann, Jasper Hoek, Anil Jain, Edith Liu, and Anna Wong (2019). Global Spillovers of a China Hard Landing. International Finance Discussion Papers 1260. https://doi.org/10.17016/IFDP.2019.1260
- Future Global Shocks: Pandemics by H Rubin OECD; 2011; – www.oecd.org › gov › risk
- Global Macroeconomic Consequences of Pandemic Influenza; Alexandra A. Sidorenko and Warwick J. McKibbinWednesday, February, 2006
- Globalization and Disease: The Case of SARS; Jong-Wha Lee and Warwick J. McKibbin, May, 2003
- A Potential Influenza Pandemic: Possible Macroeconomic Effects and Policy Issues December 8, 2005; Congressional Budget Office; revised July 27, 2006
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.
Vielen Dank für diesen sehr sachlichen Kommentar, der sich wohltuend von den vielen überschießenden Spekulationen unterscheidet.
„Mortalität ETWAS höher als beim Grippevirus“??
Ungefähr um den FAKTOR 10-20!
Also: mindestens so ansteckend wie die Grippe und zugleich ca 10-20x tödlicher als die Grippe.
Das ändert die Sachlage „etwas“, nicht wahr?