Angesichts der hohen Staatsverschuldung hat Frankreichs neue Mitte-Rechts-Regierung von Premier Michel Barnier schon knapp nach ihrem Amtsantritt ein drastisches Sparprogramm auf den Weg gebracht. Im kommenden Jahr sollen durch Einsparungen und zusätzliche Einnahmen von 60 Milliarden Euro gutgemacht werden.
Zwei Drittel davon sollen durch Ausgabenkürzungen erreicht werden, ein Drittel durch Steuererhöhungen, die vor allem auf Unternehmen mit hohem Umsatz, aber auch Haushalte mit hohem Einkommen abzielen. Damit soll das immer stärker ausufernde Budgetdefizit, das heuer rund 6% des BIP betragen könnte, auf 5% begrenzt werden.
Die Staatsverschuldung sei „das wahre Damoklesschwert“, das Frankreich bedrohe, sagte der neue französische Premierminister Michel Barnier bei seiner Regierungserklärung Anfang Oktober. Die bisherige Regierung war für 2024 ursprünglich von einem Haushaltsdefizit von 5,1% ausgegangen. Anfang September war dann von 5,6% die Rede, Ende September warnte der neue Budgetminister Laurent Saint-Martin im Haushaltsausschuss des Parlaments sogar vor einem drohenden Defizit von 6%. Auch die renommierte Wirtschaftszeitung „Les Échos“ berichtete über ein mögliches Defizit in dieser Höhe.
Niedrigere Einnahmen und zu hohe Ausgaben
Als entscheidende Gründe für den Anstieg des Budgetdefizits gelten niedriger als erwartet ausgefallene Steuereinnahmen und zu hohe öffentliche Ausgaben. Zudem dürfte die langwierige und schwierige Regierungsbildung nach der vorzeitig angesetzten Neuwahl vor vier Monaten zu einer abwartenden Haltung vieler wirtschaftlicher Akteure geführt haben.
Mit seinem Defizit liegt Frankreich auch über den EU-Konvergenzkriterien, die für eine Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion eine maximale Verschuldung von 3% des BIP vorsehen. Die EU hat daher bereits ein Defizitverfahren gegen die zweitgrößte EU-Volkswirtschaft eingeleitet. Die ursprünglich für Ende September angesetzte Frist für die Vorlage eines Plans zur Schuldenreduzierung wurde mittlerweile auf Ende Oktober verschoben.
Abkehr von unternehmensfreundlicher Politik stößt auf Widerstand
Die nun vorgelegten Pläne sind mit ihren drastischen Ausgabensenkungen und Steuererhöhungen eine deutliche Abkehr von der wirtschaftsfreundlichen Politik der alten Regierung. Angesichts der finanziellen Lage sei es nötig, „von großen Unternehmen, die hohe Gewinne erzielen, einen Beitrag zu verlangen“, sagte Barnier.
Im Parlament stieß der Sparhaushalt bisher auf Widerstand. Noch vor der Vorstellung gab es Kritik sowohl aus dem linken Lager als auch von den Rechtsnationalen. Da die neue Regierung keine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung hat, könnte es also sein, dass sie den Haushalt nur in abgeänderter Form durchbekommt oder ihre Version mit einem Sonderartikel der Verfassung über die Köpfe der Abgeordneten hinweg durchsetzt.
Vorbehalte gibt es zudem in den Reihen der Regierung, deren Mitglieder unzufrieden mit den Etatkürzungen und dem Abrücken von der bisherigen Wirtschaftspolitik sind. In der bisherigen Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron waren die Steuern für große Unternehmen gesenkt worden. Kritik kam schließlich auch vom Hohen Rat für Finanzen, der die Regierungspläne auf ihre Tragfähigkeit hin prüfte. Die zugrundeliegenden Wachstumsprognosen seien zu optimistisch, urteilte der Rat.
Defizit und Steuerpläne werden an Finanzmärkten aufmerksam verfolgt
An den Finanzmärkten werden die Entwicklungen in Frankreich aufmerksam verfolgt. Schon bisher hatte die hohe Verschuldung und die schwierige Regierungsbildung für Unsicherheit gesorgt, dazu kommen nun Sorgen, dass das Sparbudget die Konjunkturentwicklung bremsen könnte.
Der französische Aktienindex MSCI France hat sich seit Jahresbeginn unterm Strich kaum bewegt und hinkt damit den deutlichen Gewinnen der Indizes anderer Börsenplätze hinterher. An der Börse kamen zu den wirtschaftspolitischen Faktoren noch die Sorgen um Chinas Konjunktur. Einige wichtige börsennotierte Konzerne in Frankreich sind besonders stark von der Nachfrage aus China abhängig.
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen. Quelle: LSEG Datastream
Kursentwicklung Aktienindex MSCI France
Auch an den Anleihenmärkten waren Anleger angesichts der Neuwahlen und des Budgetdefizits heuer zurückhaltend bei französischen Staatsanleihen. Der Risikoaufschlag französischer Anleihen gemessen am Renditeabstand zu vergleichbaren deutschen Papieren ist heuer merklich gestiegen. Die Ratingagentur Fitch hat angesichts der wirtschaftspolitischen Unsicherheiten ihre Einstufung des Bonitätsausblicks von Frankreich im Oktober von „stable“ auf „negative“ revidiert. Fitch verwies zur Erklärung auch auf die Unsicherheit, ob eine Minderheitsregierung die nötigen Wirtschaftsprogramme überhaupt auf den Weg bringen kann.
Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen. Quelle: LSEG Datastream. Der Risikoaufschlag ergibt sich aus der Differenz der Rendite 10 jähriger französischer Staatsanleihen und 10 jähriger deutscher Staatsanleihen.
Risikoaufschlag französischer Staatsanleihen
Kreisen zufolge hatte Präsident Emmanuel Macron bereits im Vorfeld der Vorstellung der Haushaltspläne bei einem Treffen mit hochrangigen US-Bankern um Verständnis für die Budgetprobleme und mögliche Steuererhöhungen geworben. Der ehemalige Investmentbanker Macron habe Ende September bei einem Treffen mit 13 Financiers darum gebeten, auf etwaige Steuererhöhungen nicht überzureagieren, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Insider. Macron versicherte den anwesenden Investoren, es würde sich dabei um gezielte und vorübergehende Maßnahmen handeln, die der schwachen Wirtschaft in Europa geschuldet seien.
Einige zuletzt veröffentlichte Wirtschaftsdaten aus Frankreich überraschten jedenfalls positiv. So ist die Industrieproduktion des Landes im August unerwartet deutlich um 1,4% gestiegen. Die Inflation in Frankreich hat sich zudem dank günstigerer Energiepreise stärker abgeschwächt als erwartet und im September mit einer Rate von 1,4% den tiefsten Stand seit mehr als drei Jahren erreicht.