Die Beisetzung der britischen Königin Elizabeth II. am heutigen Montag markiert für Großbritannien in mehrerer Hinsicht eine Zeitenwende. Nicht nur folgt auf die längst dienende Monarchin des Königreichs mit Charles III. ein neuer König, nur wenige Tage vor dem Tod der Queen hatte diese noch die neue britische Premierministerin Liz Truss zur Nachfolgerin von Ex-Premier Boris Johnson ernannt. Truss übernimmt das Amt damit in einer turbulenten Zeit: Neben der Thronfolge beschäftigen das Land die Folgen der Corona-Pandemie, Lieferengpässe, der weitere Brexit-Kurs sowie die mit dem Ukraine-Krieg einhergehende Energiekrise. Auch der Kurs des britischen Pfund war unmittelbar nach dem Amtsantritt von Truss auf den niedrigsten Stand zum Dollar seit 1985 gefallen.
Insbesondere die hohen Energiepreise stellen die britische Regierung derzeit vor große Herausforderungen. Unmittelbar nach ihrer Angelobung hat Truss ein Maßnahmenpaket zur Eindämmung der Energiepreisanstiege vorgestellt. Die neue britische Premierministerin will die Gas-und Strompreise bei 2.500 Pfund oder umgerechnet rund 2.890 Euro pro Jahr für einen durchschnittlichen Haushalt einfrieren. Mit der Maßnahme will die Regierung Millionen Haushalte vor dem Abrutschen in die Armut bewahren.
Die stark gestiegenen Preise für Gas und Strom bringen bereits jetzt knapp die Hälfte der Menschen in Großbritannien finanziell an ihre Grenzen, wie zuletzt aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Opinium hervorgeht. Beinahe 40 Prozent der Menschen im Vereinigten Königreich sparen demzufolge schon jetzt beim Einkauf von Lebensmitteln, um mit der Preissteigerung zurechtzukommen. Auch eine Studie der Denkfabrik Resolution Foundation (RF) sieht angesichts der Energiekrise die Armut im Land weiter zunehmen. Ohne eine Änderung der Regierungspolitik würde die Zahl der Menschen in absoluter Armut bis zum Haushaltsjahr 2023/24 um 3 auf 14 Millionen steigen, prognostiziert das RF.
Energiepreisbremse soll Haushalte und Unternehmen unterstützen
Die Energiepreisbremse soll von Oktober an für zwei Jahre gelten. Bereits angekündigte Hilfen von 400 Pfund pro Haushalt bleiben erhalten. Auch Unternehmen sollen mit einem Unterstützungspaket von den rasant steigenden Preisen am Weltmarkt abgeschirmt werden. Die Kosten für die Maßnahme dürften Schätzungen zufolge bei etwa 100 Mrd. Pfund oder rund 116 Mrd. Euro liegen.
Eine stärkere Abschöpfung von Übergewinnen großer Energieunternehmen schloss Truss trotz entsprechender Forderungen der Opposition aus. Wichtiger sei es, den Unternehmen Investitionen in die Erschließung neuer Gas- und Erdölvorkommen in der Nordsee sowie erneuerbarer Energien zu ermöglichen. Die britische Regierung will Insidern zufolge Dutzende neuer Lizenzen für die Öl- und Gasexploration in der Nordsee vergeben, um die heimische Produktion anzukurbeln. Auch den Bau neuer Atomkraftwerke stellte Truss in Aussicht.
Der Chefökonom der Bank of England, Huw Pill, äußerte sich zuletzt optimistisch. Die Regierungspläne zur Entlastung in der Gaskrise würden unterm Strich zu einer Dämpfung der Inflation beitragen. Die Maßnahmen waren dringend notwendig, denn in den Inflationsraten schlugen sich die explodierenden Energiepreise merklich nieder.
Inflation stieg zuletzt auf über 10 Prozent
Im Juli war die Inflation in Großbritannien bereits auf 10,1 Prozent geklettert. Das entspricht der höchsten Rate seit Beginn der Erfassung vor 25 Jahren. Im August war die Rate angesichts einer leichten Entspannung bei den Energiepreisen wieder auf 9,9 Prozent gefallen. Eine Entwarnung kann aber noch nicht gegeben werden. Analyst:innen großer Investmentbanken halten im Fall anhaltend hoher Gaspreise weitere Anstiege für möglich.
Die hohen Inflationsraten dürften sich auch auf die Wirtschaftsleistung niederschlagen. Um den Inflationsschub zu kompensieren, haben viele Verbraucher:innen begonnen, ihre Ausgaben zu reduzieren. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging von April bis Juni zum Vorquartal um 0,1 Prozent zurück, wie das Statistikamt (ONS) mitteilte. Die Bank of England erwartet, dass das Land Ende des Jahres in eine Rezession abgleiten könnte, die auch im nächsten Jahr anhalten könnte.
Im Kampf gegen die Inflation hat die Bank of England im August ihre Zinszügel weiter gestrafft. Sie hob ihren Leitzins um einen halben Prozentpunkt auf 1,75 Prozent an – so stark wie noch nie seit der 1997 erlangten Unabhängigkeit der Notenbank von der Politik. Mit Spannung erwartet wird an den Märkten jetzt die wegen der Trauerphase nach dem Tod der Queen auf 22. September verschobene kommende Zinssitzung. An den Terminmärkten wird es derzeit für wahrscheinlich gehalten, dass es die Notenbank bei einer Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte belässt. Zuvor war verstärkt auf einen größeren Schritt im Umfang von 0,75 Prozentpunkten spekuliert worden.
Nordirland-Protokoll sorgt für politische Spannungen
Gefordert ist Truss auch von noch ungelösten Fragen des Brexit-Kurses, und hier insbesondere die Nordirland-Frage. Das von der britischen Regierung im Rahmen des EU-Austritts ausgehandelte Nordirland-Protokoll sieht derzeit für Nordirland besondere Zollregeln vor. Dadurch wird die sensible Grenze zwischen der britischen Provinz und dem EU-Staat Irland offen gehalten. Eine Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts soll verhindert werden. Durch die Übereinkunft ist de facto eine Zollgrenze in der Irischen See entstanden, die Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs trennt. Das führte unter anderem zu Lieferproblemen und zu großem Unmut in Großbritannien.
Truss hatte noch als Außenministerin ein Gesetz vorangetrieben, mit dem das Nordirland-Protokoll ausgehebelt werden soll. Das Gesetz zur Änderung des Nordirland-Protokolls hatte Ende Juni mit einer Abstimmung im Unterhaus eine erste parlamentarische Hürde genommen. Es sieht steuerliche Änderungen und ein Kennzeichnungssystem für Waren vor. Der Europäische Gerichtshof soll nicht mehr für Streitigkeiten bei der Umsetzung des Brexit zuständig sein.
Die EU kritisiert das Vorhaben scharf und droht mit dem Gang vor den Europäischen Gerichtshof. Die USA hatten Truss zuletzt vor einseitigen Veränderungen am Brexit-Vertrag gewarnt. Jeder Versuch, das Nordirland-Abkommen zu unterlaufen, werde sich negativ auf die Gespräche über ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und den USA auswirken, erklärte eine Sprecherin der US-Regierung.
Tod der Queen schürt Schottlands Unabhängigkeitsbestrebungen
Auch die bereits vom Brexit geschürten Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland dürften durch den Tod der Queen weiteren Auftrieb erhalten. „Einige Schott:innen werden das Ende dieser Ära als einen natürlichen Zeitpunkt für einen Neuanfang betrachten“, meinte etwa der schottische Journalist Alex Massie in einem Kommentar für die „Times“.
Die Unabhängigkeitsbewegung in Schottland wächst seit Jahren. Seit 2007 regiert die Unabhängigkeitspartei SNP. Bei einem Referendum 2014 hatten sich allerdings 55 Prozent der Schott:innen für den Verbleib im Vereinigten Königreich ausgesprochen. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte Ende Juni an, im Herbst 2023 ein neues Referendum über die Unabhängigkeit abhalten zu wollen – eine Entscheidung, die der Oberste Gerichtshof Großbritanniens im Oktober prüfen wird.
Eine etwaige Abspaltung von Großbritannien müsste aber nicht gleichbedeutend mit einem Abschied vom Königshaus sein. Der neue König Charles III. hat eine besondere Beziehung zu Schottland. Manche Regionalzeitungen wie der „Daily Record“ sehen in Charles Engagement für den Umweltschutz eine Chance für Schottland. Sie hoffen, dass der König die Entwicklung weg vom Kohlebergbau hin zu einem Vorreiter bei den erneuerbaren Energien unterstützen wird.
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