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In dubio pro duriore

In dubio pro duriore
In dubio pro duriore
(c) MICHAEL BUHOLZER / Keystone / picturedesk.com
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Der Grundsatz „In dubio pro duriore“ (lateinisch für „Im Zweifel für das Härtere“) ist ein Ausdruck dafür, auch dann eine Anklage zu erheben, wenn Umstände für als auch gegen eine Anklage vorliegen. Ähnlich verhält es sich bei einer Vertrauenskrise an den Finanzmärkten: Die Befürchtungen, dass eine Vertrauenskrise bei einige mittleren Banken in den USA und bei der Credit Suisse Überwälzungen auf das gesamte Banken- und Finanzsystem haben könnten, haben trotz der Rettungspakete an Stärke geworden.

Bank Run als Synonym für eine Vertrauenskrise

Für die Erklärung der Mechanik von Bank Runs erhielten Douglas W. Diamond und Philip H. Dybvig im Vorjahr den Nobelpreis („Bank runs, deposit insurance, and liquidity“, Journal of Political Economy, 1983). In dem Artikel geht es darum, dass kurzlaufende liquide Einlagen in langlaufende illiquide Kredite investiert werden. So beschreiben sie die Basisfunktion einer Bank. Es können allerdings Umstände eintreten, die das Vertrauen in die Sicherheit der Einlagen schwinden lässt. Dann ist es für jede:n einzelne:n rational, die Einlagen schnell abzuziehen, denn die Ersten bekommen das gesamte Kapital zurück, die Letzten gar nichts. Es entsteht ein Bank Run. Wenn allerdings alle Einlagen zur selben Zeit zurückgefordert werden, kommt es zur Insolvenz, weil nicht alle Kredite schnell und ohne Verluste liquidiert werden können.

Schärfere Regularien

Nach der Großen Finanzkrise 2007 bis 2009 brachten umfangreiche Regularien mehr Stabilität in das Bankensystem. Unter anderem wurde die Grenze für das nötige Eigenkapital angehoben, um Verluste abzufedern. Besonderes Augenmerk wurde auf die 30 größten Banken gelegt, die für das globale Finanzsystem systemrelevant sind (Global Systemically Important Banks oder G-SIBs). Der Konkurs der Silicon Valley Bank hat die Diskussion angeheizt, ob nicht mehr Banken scharf reguliert werden sollten.

Staat dämmt Überwälzungsrisiken ein

Stabil und robust bedeutet allerdings nicht immun. Wenn eine Vertrauenskrise einsetzt, können nur starke staatliche Maßnahmen eine solche beenden. Dafür gibt es das Konzept des Lender of Last Resort. Eine Zentralbank kann unendlich viel Liquidität bereitstellen, wenn im Notfall der private Sektor dafür nicht mehr bereit ist. Die Problematik des Trittbrettfahrens (Moral Hazard) ist nicht verschwunden.

In den USA bietet die US-Zentralbank nunmehr mit einem neuen Programm (Bank Term Funding Program – BTFP) Kredite an Banken mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr an. Die Anleihen, die dafür als Besicherung dienen, werden mit dem Nominalwert (nicht mit den aktuell niedrigeren Kursen) bewertet. Über diesen Weg könnten Banken zu Liquidität kommen, ohne die Buchverluste von Anleihen realisieren zu müssen. Die Bedingungen des Diskontfensters werden an das BTFP angepasst: Im Rahmen von drei Programmen (Primary, Secondary und Seasonal Credit) werden den Banken besicherte Kredite zur Verfügung gestellt. In den Tagen nach dem Konkurs der SVB sind die Ausleihungen der Banken über das Diskontfenster in die Höhe geschnellt. Zu guter Letzt werden alle Kundeneinlagen der betroffenen Banken geschützt (sowohl die ursprünglich von der Einlagensicherungsbehörde FDIC gesicherten als auch die nicht gesicherten).

In der Schweiz war die Übernahme der ins Trudeln geratenen Credit Suisse durch die UBS nur mit der Unterstützung des Staates möglich. So kann die Nationalbank der Credit Suisse ein mit einer Ausfallgarantie des Bundes gesichertes Liquiditätshilfe-Darlehen in der Höhe von bis zu 100 Milliarden Franken gewähren.

Zweifel bleiben

Als zugrundeliegender bestimmende Faktor für die Probleme kann der schnelle Ausstieg aus der ultra-expansiven Geldpolitik identifiziert werden. Die Zweifel, ob die Leitzinsanhebungen und die Reduktion der Zentralbankbilanzen andere schwache Segmente unter Druck bringen könnten, werden so schnell nicht verschwinden. Noch kann der angeklagte Finanzsektor nicht freigesprochen werden. Für den Grundsatz „In dubio pro reo“ (latainisch für „Im Zweifel für den Angeklagten“) ist es noch zu früh.

Extrem expansive Geldpolitik

Die zweite Entwicklung nach der Großen Finanzkrise 2007 bis 2009 war das Einläuten einer Phase der ultra-expansiven Geldpolitik der Zentralbanken. Die Leitzinsen wurden auf null Prozent (oder manchmal sogar darunter) gesenkt, und Anleihen wurden in großem Umfang aufgekauft. Die Zentralbanken argumentierten, dass es leichter sei, eine zu hohe Inflation mit Leitzinsanhebungen zu bekämpfen als eine zu niedrige mit einer expansiven Geldpolitik. Gerade wenn das Zinsniveau die Untergrenze erreicht hat. Man war überzeugt, die Säkulare Stagnation mit einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik überwinden zu können. Die Investor:innen wurden in Wertpapiersegmente mit Kreditrisiko gedrängt, weil die Renditen von Staatsanleihen sehr niedrig waren. Diese Entwicklung wurde mit TINA (There Is No Alternative to Risk Assets) beschrieben.

Risiken und Nebenwirkungen

Im Prinzip hat eine Zentralbank drei Funktionen:

  1. Niedrige Inflation
  2. Vollbeschäftigung
  3. Finanzmarktstabilität

Diese drei Punkte sind natürlich nicht voneinander unabhängig. Als nach den beiden inflationären Schocks –  Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine – die Inflation hartnäckig hoch blieb, gerieten die Zentralbanken unter Druck, die Leitzinsen schnell anzuheben. Mit den Leitzinsanhebungen verfolgten sie die Absicht, über eine Abkühlung der wirtschaftlichen Aktivität – ohne eine Rezession in Kauf nehmen zu müssen – die Inflation zu dämpfen. Aber in der Vergangenheit wurde eine von der Zentralbank verursachte Disinflation (fallende Inflation) ohne Rezession so gut wie nie erreicht. Weil die Verschärfung der geldpolitischen Haltung so schnell passiert ist, sind als Kollateralschaden leider auch die Risiken für die Finanzmarktstabilität angestiegen.

Wahrscheinlichkeit einer fallenden Inflation steigt

Auch wenn die Finanzmarktstabilität gewährleistet bleibt – dafür spricht das schnelle Eingreifen der Zentralbanken – könnte als Auswirkung ein restriktiveres Kreditumfeld übrig bleiben. Bereits vor der jüngsten Vertrauenskrise haben die Banken in den USA und der Eurozone die Kreditvergaberichtlinien verschärft. Daraufhin fiel das Kreditwachstum deutlich. Diese Entwicklung könnte sich fortsetzen, denn die Kapitalkosten der Banken sind angestiegen (niedrigere Aktienkurse, höhere Anleiherenditen). Der negative Kreditimpuls (fallende Kreditvergabe) könnte zusätzlich auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung drücken. Einzig positiv ist, dass damit auch die Wahrscheinlichkeit für eine fallende Inflation auf mittlere Sicht zugenommen hat.

Nachsatz: Wenn die Zentralbanken allerdings auf die Risiken für die Finanzmarktstabilität reagieren, indem sie die Leitzinsen nicht mehr (kräftig) anheben, aber die Nebenwirkung einer wirtschaftlichen Abschwächung nicht eintritt, steigen die Inflationsrisiken sogar an.

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