Die weltweite wirtschaftliche Erholung läuft trotz kräftiger Turbulenzen immer noch weiter. Wie lang wird sie durchhalten?
In den vergangenen Monaten hat sich die Stagflationsgefahr (das gleichzeitige Auftreten von wirtschaftlicher Stagnation und Inflation) erhöht. Ohne die Pandemie wäre die Produktion höher und die Inflation niedriger: Engpässe in Produktion und Logistik haben die Wirtschaftstätigkeit gebremst und die Preise im Warensektor stark ansteigen lassen.
Darüber hinaus haben die stark gestiegenen Energiepreise die Kaufkraft der Verbraucher geschmälert. Auch auf dem Arbeitsmarkt kam es zu Engpässen: Die Verlagerung des Konsums hat den Bedarf an Arbeitskräften von einem Sektor in einen anderen verlagert und damit die Arbeitslosigkeit erhöht, da Arbeitskräfte nicht so leicht ersetzt werden können.
Auf zyklische Sicht: keine Stagflation
Der Aufschwung nach der Covid-Krise droht von kurzer Dauer zu sein, während die Inflation auf lange Sicht hoch bleibt. Stehen wir nun vor einer Stagflation? Wenn die Phase der engpassbedingt hohen Inflationsraten länger anhält als ursprünglich angenommen, steigt das Risiko, dass auch die langfristigen Inflationserwartungen steigen: Eine so genannte Lohn-Preis-Spirale würde dann in Gang gesetzt werden.
Um dieses Negativszenario zu verhindern, reduzieren immer mehr Zentralbanken den ultraexpansiven geldpolitischen Kurs. Ziel ist es, die Inflationserwartungen fest auf dem Inflationsziel der Zentralbank zu verankern. Infolgedessen erhöhen immer mehr Zentralbanken die Leitzinsen schneller als erwartet in Richtung eines für die Wirtschaft neutralen Zinsniveaus. Solange die Zentralbanken dabei erfolgreich bleiben, d.h. die Inflationserwartungen nicht steigen, werden die derzeit überdurchschnittlichen Inflationsraten verschwinden, sobald sich die Engpässe auflösen. Dann könnte auch die wirtschaftliche Erholung in Richtung Vollbeschäftigung reibungsloser verlaufen.
Das Risiko einer unmittelbaren Stagflation hat zugenommen, ist aber noch überschaubar. Langfristig haben die strukturellen Inflationsrisiken jedoch aus zwei Gründen zugenommen: Die deflationären Kräfte nehmen ab und die inflationären Kräfte nehmen zu
Die deflationären Kräfte verschwinden
In den letzten 25 Jahren sind die Inflationsraten vor allem aus zwei Gründen deutlich gesunken: die Globalisierung, insbesondere die Öffnung Chinas, und die wachsende Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Diese beiden Effekte werden jedoch zunehmend schwächer.
In immer mehr Ländern schrumpft die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Viele Länder versuchen diesen Trend durch eine Erhöhung der Erwerbsquote zu kompensieren. Dies gelingt jedoch nicht überall: In den USA ist die Erwerbsquote z.B. im Abwärtstrend. Ein höheres Produktivitätswachstum könnte theoretisch auch den Effekt der proportional schrumpfenden Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ausgleichen.
Tatsächlich aber ist das Produktivitätswachstum seit Jahren rückläufig, trotz technologischer Fortschritte bei der Digitalisierung. Weniger Arbeit bedeutet eine schlechtere Verhandlungsposition der Arbeitnehmer und letztlich Druck auf die Lohn-Preis-Spirale. Nicht nur die demografische Entwicklung könnte zu einer höheren Inflation führen. Mehrere Studien weisen auf den stagflationären Einfluss des Klimawandels hin: Ohne den Klimawandel wären auch Produktion und das Preisniveau niedriger.
Inflationäre Kräfte auf dem Vormarsch
Auf der Seite der Geld- und Finanzpolitik hat sich das Denk- und Verhaltensmuster geändert. Da die Inflationsraten in den letzten 10 Jahren in vielen Fällen unter dem jeweiligen Zielwert der Zentralbank lagen, ist die Geldpolitik im Vergleich zu früher insgesamt länger locker geblieben.
Auf der fiskalischen Seite gibt es Anzeichen dafür, dass auf die derzeitige Phase hoher Haushaltsdefizite keine Sparpolitik folgen wird: Die Erholungsphase soll nicht gefährdet werden. Zentralbanken und Finanzministerien sind aufgerufen, die Zügel nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam anzuziehen. Ein zu frühes Einschwenken auf einen restriktiven Kurs würde zu einem wachstumsschwachen Umfeld führen. Wenn jedoch schließlich Vollbeschäftigung erreicht wird und die politischen Entscheidungsträger den expansiven Kurs zu langsam zurücknehmen, besteht die Gefahr einer Überhitzung der Wirtschaft. Die Inflation würde dann ansteigen. Doch wie würden die Zentralbanken darauf reagieren?
Widersprüchliche Ziele
Die Zentralbanken sind explizit oder implizit mit mehreren Zielen konfrontiert: Die Inflation mittelfristig auf einem niedrigen Niveau zu halten und Vollbeschäftigung zu erreichen, die Finanzstabilität und die Dynamik der Staatsverschuldung nicht zu gefährden (durch starke Zinserhöhungen) und den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen.
Was wäre die Antwort auf mögliche Zielkonflikte? Die Leitzinsen könnten zu wenig angehoben werden, um die Finanzstabilität und die Dynamik der Staatsverschuldung nicht zu gefährden. Die Inflation könnte dann aus dem Ruder laufen, und letztlich würde die Zentralbank zu spät auf die Inflation reagieren und mit den nötigen Leitzinsanhebungen das Wirtschaftswachstum abwürgen. Dieses Szenario könnte zu einem strukturellen stagflationären Umfeld führen.
Schlussfolgerung
Die Pandemie hat zu einer höher als erwarteten Inflationserwartungen geführt. Im wahrscheinlichsten Szenario handelt es sich dabei um ein vorübergehendes Phänomen: Ein Inflationsproblem ist allerdings auf die mittlere Sicht ein ernstzunehmendes Risikoszenario.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.