Das dritte Quartal neigt sich dem Ende zu. Traditionell beginnt damit die Formulierung einer Strategie für das nächste Jahr. Ein wichtiger Teil davon ist die Erstellung von Szenarien. Ausgehend vom aktuellen Umfeld werden in diesem Blog drei weitere Szenarien skizziert.
Szenario 1 – „Goldilocks“
Das aktuelle Umfeld ist günstig für viele Wertpapierklassen. Das reale globale Wirtschaftswachstum ist kräftig und breit abgestützt. Vom ersten auf das zweite Quartal ist die Weltwirtschaft mit 3,8 Prozent auf das Jahr hochgerechnet gewachsen (Quelle: Erste AM). Dieser Wert liegt um mehr als einen Prozentpunkt über dem langfristig zu erwartenden Wert, dem Potential, und befindet sich am oberen Ende der Bandbreite des Quartalswachstums seit dem Jahr 2010. Die Vorlaufindikatoren für das dritte Quartal schlagen nur eine moderate Verlangsamung auf rund 3 Prozent vor (Quelle: Erste AM).
Gleichzeitig ist die Inflation niedrig. In vielen Teilen der Welt befindet sich die Konsumentenpreisinflation unter dem jeweiligen Ziel der Zentralbank. Im Einklang damit ist die Politik der Zentralbanken sehr unterstützend. Die Leitzinsen sind niedrig, die Liquidität der großen Zentralbanken wird heuer um mehr als US-Dollar 1000 Milliarden gewachsen sein und die Signale der Zentralbankmitglieder hinsichtlich der zukünftigen geldpolitischen Ausrichtung deuten auf ein vorsichtiges Vorgehen hin.
Es gibt einen Pferdefuß: Dieses günstige Umfeld wird bereits in den Preisen der Wertpapierklassen reflektiert.
Die Bewertungen sind erhöht. Definitionsgemäß ist „Goldilocks“ das Beste aller denkbaren Szenarien. Diesem Umfeld wird eine subjektive Wahrscheinlichkeit von 30% zugewiesen.
In weiterer Folge soll ein Abriss von Szenarien vorgestellt werden, die dieses sehr günstige Umfeld für den Finanzmarkt umstoßen können. Die dafür veranschlagten Wahrscheinlichkeiten sind von am wahrscheinlichsten bis wenig wahrscheinlich gereiht.
Szenario 2 – Normalisierung
Das tiefe Zinsniveau führt vor Augen, dass die Erholung von der Großen Rezession der Jahre 2008/2009 noch nicht in jedem Bereich abgeschlossen ist. Im Szenario „Normalisieren“ streben die wichtigen volkswirtschaftlichen Kenngrößen Wirtschaftswachstum, Inflation und Zinsniveau auf mittlere bis lange Sicht (mehrere Jahre) die jeweiligen wichtigen Referenzgrößen
- Potenzialwachstum (Welt: 2,7 Prozent),
- Inflationsziel der Zentralbank (rund 2 Prozent in vielen Industriestaaten) und
- neutrales Zinsniveau (rund 2 Prozent in den USA, rund 1,5 Prozent in der Eurozone) an.
Zusatz: Auch die Anleiheankaufsprogramme der Zentralbanken laufen aus und werden zurückgeführt; beides in einer vorsichtigen Weise. Gegenüber dem Szenario „Goldilocks“ verändern sich die Werte in einer nicht dramatischen Weise. Hier wird eine Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent veranschlagt. Dieses Umfeld ist für Aktien positiv und für kreditsichere Anleihen nachteilig.
Szenario 3 – Stagflation
Im Unterschied zum Szenario „Normalisierung“ verändern sich die wichtigen volkswirtschaftlichen Indikatoren ausgeprägter. Das Wirtschaftswachstum schwächt sich deutlich auf ein Niveau unter das Potenzial ab. Mitunter wird dafür auch der Begriff „Wachstumsrezession“ verwendet. Das verflixte an der Beziehung zwischen Wachstum und Inflation ist der nicht lineare und träge Charakter. Lange Zeit scheint es keinen Zusammenhang zu geben. Die Inflation bleibt niedrig, obwohl die Wirtschaft boomt. Erst wenn sich das Wachstum bereits abzuschwächen beginnt, steigt die Inflation. Die Inflationsraten steigen auf über das jeweilige Zentralbankziel an. Das zwingt die Zentralbanken auf die Bremse zu treten, sprich: die Leitzinsen werden auf über das neutrale Leitzinsniveau angehoben. Dieses Szenario tritt mit subjektiven Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent ein und ist natürlich nachteilig für die meisten Wertpapierklassen mit der Ausnahme von Cash.
Szenario 4 – Schock
Der Name lässt bereits vermuten, dass in diesem Szenario ein negatives Ereignis mit einer geringen Wahrscheinlichkeit (10 Prozent) aber einer hohen Auswirkung eintritt. Etwas konkreter betrifft das alle Ereignisse die einen sogenannten Deflationsschock (Schock für anhaltend fallende Preise und Löhne) darstellen. Die Inflationsraten sind in vielen Teilen der Welt niedrig. Der Abstand zur Nulllinie, die die Grenze zwischen Inflation und Deflation darstellt, ist damit gering. Zudem gibt es Hinweise dafür, dass die langfristigen Inflationserwartungen der Konsumenten, der Marktteilnehmer und der Volkswirte bereits jetzt nach unten tendieren. Aber auch die Leitzinsen sind sehr niedrig. Der Abstand zu jenem Niveau, ab dem die Leitzinsen nicht mehr gesenkt werden können, ist gering. Die Zentralbanken können also nicht mehr viel tun, um ein negatives Ereignis aufzufangen. Die jeweiligen Regierungen springen erfahrungsgemäß erst mit einer Zeitverzögerung ein und weiten die Budgetdefizite aus um die Wirtschaft zu unterstützen. Die Zentralbanken helfen, indem sie neue Wertpapierankaufsprogramme installieren. Dieses Umfeld ist positiv für kreditsichere Staatsanleihen und nachteilig für Aktien. Welche Ereignisse könnten zu einem solchen negativen Umfeld führen? Blickt man auf die volkswirtschaftliche Großwetterkarte, sticht vor allem der kräftig gewachsen Kreditbestand in China hervor. Dieser könnte – wie schon öfter in der Vergangenheit in anderen Ländern geschehen (USA, Spanien, Irland vor zehn Jahren) – unter dem eigenen Gewicht zusammen brechen.
Inflation ist der Schlüssel
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent bleibt das Umfeld für die Finanzmärkte sehr günstig („Goldilocks“: 30 Prozent plus „Normalisierung“: 40 Prozent). Das realistische nachteilige Szenario „Stagflation“ hat eine Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent. Im eindeutig negativen Szenario mit einer niedrigen Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent findet ein Deflationsschock statt. Es fällt auf, dass mit der Entwicklung des volkswirtschaftlichen Indikators Inflation ein Gutteil der insgesamt vier Szenarien beschrieben werden kann:
- Goldilocks: niedrige Inflation
- Normalisierung: Anstieg der Inflation in Richtung Zentralbankziel
- Stagflation: Anstieg der Inflation auf über das Zentralbankziel
- Schock: Negative Inflation
Die erste Erkenntnis für die Strategiebildung 2018: der Einschätzung für die Inflation kommt eine kritische Bedeutung zu.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.