Günstig kaufen, teuer verkaufen – dieses einträgliche Motto gilt nicht nur für den Transfermarkt im Fußball, sondern auch für Anleger:innen, die in Aktien investieren. Da wie dort geht es darum, unentdeckte Perlen mit Potenzial zu finden, die ihren Wert möglichst rasch vervielfachen und Geld in die Kassen spülen. Doch wie lassen sich chancenreiche Aktien finden – noch dazu in instabilen Zeiten wie jetzt, wo unklar ist, ob der Höhenflug der Aktienmärkte weiter anhalten wird? Objektive Kennziffern stellen ein bewährtes Hilfsmittel dar, um den Wert einer Aktie zu beurteilen.
Individuelle Aspekte zur Kurseinschätzung
Da die Kurse vieler Aktien in den letzten Jahren stark gestiegen sind, stellen sich so manche Anleger:innen die kritische Frage, ob die aktuellen Kurse noch den echten Unternehmenswerten entsprechen oder nicht schon überhöht sind – vor allem im Hinblick auf die Zukunft, die massiv von einer Rohstoff-Verknappung und steigenden Zinsen geprägt sein wird. Speziell diesem Aspekt sollte daher vor einer Kaufentscheidung besondere Bedeutung beigemessen werden: Wie sehen die Chancen auf künftiges Wachstum aus? Taugt das Geschäftsmodell des Unternehmens, um Umsatz und Gewinnanstiege auch weiterhin zu ermöglichen? Wie steht es im Gegensatz dazu um die Kostenstruktur? Welche Aufwendungen hat das Unternehmen etwa für Rohstoffe zu tätigen, die es benötigt? Laufen die Kosten aus dem Ruder oder gelingt es, diese durch das Wachstum bzw. die Wachstumsfantasie zu kompensieren?
Billig oder teuer? Objektive Kriterien zur Beurteilung
Auf all diese Fragen gibt es keine allgemein gültigen Antworten, sie müssen von Unternehmen zu Unternehmen individuell beleuchtet werden. Und doch existieren daneben auch standardisierte Kriterien, die bei der Suche nach günstigen und erfolgversprechenden Aktien eingesetzt werden können. Einige dieser Kennzahlen, die sich in den Kursspalten von Zeitungen und Magazinen bzw. auf diversen Börsen-Plattformen sowie auf George finden, stellen wir Ihnen hier kurz vor.
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV, stellt einen Klassiker unter den Bewertungskriterien dar und ist für Anleger:innen eine der wichtigsten Kennziffern, wenn es um die Analyse von Aktien geht. Wie der Name schon sagt, beinhaltet dieser Wert das Verhältnis zwischen dem aktuellen Aktienkurs und dem Jahresgewinn des Unternehmens. Um diesen Wert zu berechnen, dividiert man den Aktienkurs durch den prognostizierten Gewinn je Aktie. Das heißt allerdings nicht, dass eine Aktie mit einem KGV von 10 unterbewertet ist im Vergleich zu einer Aktie mit einem KGV von 20.
Es ist in etwa so, wie wenn man beim Autokauf einen Dacia mit einem Mercedes vergleicht und blindlings zum günstigeren Vehikel tendiert. Der Preis für einen Mercedes kann aber durchaus gerechtfertigt sein, weil die Käufer:innen mehr Qualität und Leistung bekommen.
Was heißt das nun beim Aktienkauf?
Eine Aktie kann ein günstiges KGV haben, weil das Unternehmen kaum ein Gewinnwachstum ausweist und/oder über eine niedrige Qualität verfügt. Das heißt, es gibt einen Grund für die günstige Bewertung.
Deshalb setzen viele Anleger:innen das KGV in Relation zum langfristigen Gewinnwachstum. Nehmen wir als Beispiel zwei Unternehmen:
- Unternehmen A: KGV 10, Ø Gewinnwachstum 2%
- Unternehmen B: KGV 20, Ø Gewinnwachstum 8%
Unternehmen A hat ein „Preis/Leistungsverhältnis“ von 10/2 = 5, Unternehmen B 20/8 = 2,5
Das heißt, Unternehmen A kann trotz günstiger Bewertung überbewertet sein, während Unternehmen B unterbewertet sein kann.
Wichtig: ein günstiges KGV darf nicht mit unterbewertet gleichgesetzt werden
Im ersten Fall haben wir die Bewertung in Relation zum Wachstum (Leistung) gesetzt, im zweiten Fall berücksichtigen wir die Qualität eines Unternehmens.
Es gibt viele Methoden, die Qualität eines Unternehmens zu beschreiben. Hier gibt es keinen allgemein gültigen Ansatz, allerdings haben sich in der Finanzwelt vor allem drei Faktoren als praktikabel erwiesen:
- Je profitabler ein Unternehmen, desto höher die Bewertungskennzahlen
Kennzahl ROE: Return on Equity (Eigenkapitalrendite), je höher die Profitabilität, umso mehr Qualität hat ein Unternehmen. - Je stabiler die Gewinnentwicklung, desto höher die Kurse
Je weniger die Gewinne eines Unternehmens schwanken, umso leichter ist es für Investor:innen und Analyst:innen die Entwicklung einzuschätzen. Deshalb werden stabile Gewinne mit einer höheren Qualität gleichgesetzt. Messbar ist die Entwicklung z.B. durch die Standardabweichung der Gewinne. - Geringer Verschuldungsgrad spricht für Qualität
Je weniger Schulden ein Unternehmen hat, umso besser ist die Qualität einer Aktie. Ein Unternehmen leidet weniger, wenn die Zinsen ansteigen sollten. Statt Zinszahlungen zu leisten, kann ein Unternehmen z.B. Dividenden ausschütten.
Qualität hat seinen Preis
Investor:innen tendieren dazu, für mehr Qualität einen höheren Preis zu zahlen. Wie im ersten Beispiel kann somit eine Aktie mit einem KGV von 20 angemessen bewertet sein, weil die Qualität hoch ist (sehr profitables Business Model, sehr stabile Gewinnentwicklung und kaum Schulden). Unternehmen B ist mit einem KGV von 10 bewertet, ist aber kaum profitabel, die Gewinne sind zyklisch und schwanken stark und die Verschuldung ist hoch. Auch in diesem Fall kann Unternehmen B angemessen bewertet sein und Unternehmen A trotz günstigen KGV überbewertet sein.
Akademische Untersuchungen haben gezeigt, dass es sich langfristig auszahlen kann, wenn man auf Qualitätsaktien setzt. Warren Buffet ist bekannt dafür, dass er Qualitätsunternehmen bevorzugt. Für die Anleger:innen heißt das, dass man das Gewinnwachstum und die Qualität mitberücksichtigen muss, wenn man ein Aktieninvestment beurteilen möchte.
Manche Manager:innen haben einen sogenannten GARP (Growth at a reasonable price) Ansatz. Bei diesem Ansatz geht es darum, qualitativ hochwertige Wachstumsaktien zu finden, allerdings zu einem vernünftigen Preis. Naturgemäß ist dies kein einfaches Unterfangen.
Aufpassen beim Vergleich von Börsenplätzen
Vorsicht ist geboten, wenn verschiedene Märkte (Börsenplätze) miteinander verglichen werden. Das Erste Bank Research bewertet zum Beispiel den Austrian Traded Index (ATX) derzeit mit einem KGV von 10,6 (Stand 13.1.2022) – was verglichen mit anderen Indices relativ günstig ist.
Aber auch hier gilt, dass die Zusammensetzung des Index berücksichtigt werden muss. Ein Index, der vor allem Finanzwerte und Ölwerte beinhaltet, wird deutlich günstiger sein als ein Index mit Wachstumswerten oder ein Index mit vielen Qualitätswerten. Die Bewertung allein wird wenig über die zukünftige Entwicklung aussagen.

Hinweis: Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine verlässlichen Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung des Fonds zu.
Chart 1 zeigt, dass die USA deutlich teurer bewertet ist als z.B. Europa. Allerdings haben US-Unternehmen im Durchschnitt ein deutlich höheres Gewinnwachstum gezeigt als europäische. Emerging Markets sind zumeist noch billiger als entwickelte Länder, hier kommt neben Gewinnwachstum und Qualität auch noch ein politisches Risiko zum Tragen, das berücksichtigt werden muss.
Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) beurteilt Finanzkraft und Liquidität
Während bei der Gewinnermittlung eines Unternehmens gewisse Spielräume bestehen, sagt der Finanzüberschuss (Cashflow) deutlich mehr über dessen Finanzkraft und Liquidität aus. Ein positiver Cashflow gibt an, dass das Unternehmen mehr Geld eingenommen als ausgegeben hat – und somit über gute Voraussetzungen verfügt, um zukünftige Investitionen oder auch Dividendenzahlungen aus eigener Kraft zu bestreiten.
Um das Kurs-Cashflow-Verhältnis zu bestimmen, dividiert man den Kurs durch den Cashflow je Aktie. Wie bei der Gewinnrendite gilt auch hier: Je niedriger das KCV, desto preiswerter ist eine Aktie – und umgekehrt. In vielen Fällen weisen Aktien mit niedrigem KGV auch ein niedriges KCV auf. Doch es gibt auch Ausnahmen – zum Beispiel, wenn ein Unternehmen einen Großteil seines Finanzüberschusses investiert. In diesem Fall wird das KCV niedriger ausfallen als das KGV, denn durch die hohen Abschreibungen fällt der Gewinn gering aus, obwohl das Unternehmen gute Geschäfte macht.
Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) berücksichtigt immaterielle Werte und Humankapital nicht
Eine weitere Kennziffer, um die Bewertung einer Aktie zu betrachten, ist das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV). Der Buchwert errechnet sich aus der Bilanz, aus Vermögen minus Verbindlichkeiten. Man spricht auch vom ausgewiesenen Eigenkapital. Bei einem KBV von 1,0 ist ein Unternehmen an der Börse so bewertet, wie es dem sichtbaren Wert in der Bilanz entspricht. Stille Reserven oder zu niedrig angesetzte Vermögenswerte kommen hier nicht zum Tragen. Ein KBV kann hoch sein und dennoch keine Überbewertung anzeigen. Das könnte z.B. der Fall sein, wenn Maschinen oder Grundstücke in der Bilanz keine Rolle spielen, weil die Produktion ausgelagert wurde. Wenn das KBV unter 1,0 rutscht, also wenn die Investor:innen dem Unternehmen nicht einmal den Buchwert zumessen, sollte man als Investor:in hellhörig werden und das Geschäftsmodell oder die Branche hinterfragen. Es kann aber auch eine Chance darstellen, wenn ein Unternehmen zu skeptisch betrachtet und unter dem Buchwert bewertet wird.
Generell ist die Betrachtung des Kurs-Buchwerts etwas aus der Mode gekommen. Grund ist unter anderem die Tatsache, dass intellektuelles Kapital mit der Bedeutung der Technologiewerte zugenommen hat und die KBV Betrachtung somit den tatsächlichen Wert mancher Unternehmen unzureichend erfassen kann.
Dividendenrendite: Cash ist fesch
Die Dividendenrendite ist eine weitere populäre Messgröße, um Aktien zu bewerten. Sie gibt das Verhältnis der Dividende zum Aktienkurs an und wird nach folgender Formel berechnet:
Dividende ÷ Aktienkurs x 100 = Dividendenrendite in Prozent
Eine hohe Dividendenrendite bringt zum Ausdruck, dass das Unternehmen Geld verdient, den Gewinn aber nicht für sich behält, sondern an die Anleger:innen weitergibt. Im Gegensatz zu anderen Kennziffern lässt sie jedoch keine verlässlichen Schlüsse zu, die die Profitabilität oder die Qualität der erwirtschafteten Gewinne betreffen. Die Dividendenrendite kann bei steigender Dividende und bei fallendem Aktienkurs steigen. Umgekehrt kann sie sinken, wenn der Aktienkurs steigt und die Dividende niedriger ausfällt. Die Dividendenrendite ist somit ein Wert, der börsentäglich schwankt und sich laufend durch die Kursveränderungen der Aktie verändert.
Eine hohe Dividendenrendite sagt somit über den Wert eines Unternehmens wenig aus. Nichtsdestotrotz können Unternehmen mit einer stabil hohen Rendite attraktiv für bestimmte Anleger:innen sein, die Interesse an einem regelmäßigen Einkommen haben.
Anleger:innen, die gezielt Dividendenwerte suchen, müssen sich somit ein Bild darüber machen, wie nachhaltig eine Dividendenzahlung ist. Unternehmen mit zyklischen Gewinnen werden weniger in der Lage sein, die Dividenden kontinuierlich zu steigern. Unternehmen, die in den letzten 25 Jahren immer eine Dividende bezahlt haben und diese zusätzlich nie reduziert haben, nennt man Dividenden-Aristokraten (Bsp.: Johnson& Johnson, Coca Cola, Procter Gamble, u.a.). für so viel Qualität sind Investor:innen naturgemäß bereit, ein höheres KGV zu zahlen.
Aktien-Faktoren (Stile) beeinflussen die Bewertungskennzahlen
Unter Faktor versteht man eine Eigenschaft, die verschiedene Unternehmen teilen. Bekannte Faktoren sind:
Value-Aktien | Value Aktien sind Unternehmen mit niedriger Bewertung, was aber wie wir nun wissen, nichts darüber aussagt, ob eine Aktie über oder unterbewertet ist. Denn für eine niedrige Bewertung gibt es zumeist einen Grund, z.B. geringe Profitabilität oder stark schwankende Gewinne. |
Quality-Aktien | Quality Aktien sind Unternehmen mit hoher Qualität. Die Profitabilität ist hoch, weil das Unternehmen z.B. wenig Konkurrenz hat. Die Gewinne sind stabil und somit für Analyst:innen leichter zu prognostizieren. Die Gewinne sind auch weniger von der Wirtschaftsentwicklung abhängig. Auch die Verschuldung wird oft als Qualitätsmerkmal verwendet. |
Growth-Aktien | Während Quality Unternehmen v.a. eine stabile Gewinnentwicklung haben, zeichnen sich Growth/Wachstumsunternehmen dadurch aus, dass das Wachstum deutlich über dem Durchschnitt liegt. Dazu gehören auch Unternehmen, die noch keine Gewinne schreiben, aber hohe Gewinne in der Zukunft versprechen. |
Aktien, die bestimmte Eigenschaften teilen (die demselben Faktor zugewiesen werden), entwickeln sich im Übrigen recht unterschiedlich, je nach makroökonomischem Umfeld. Fallen die Zinsen und die Rohstoffpreise, tendieren Wachstumswerte und Qualitätsunternehmen sich besser als ein Vergleichsindex zu entwickeln. Steigen die Zinsen und die Rohstoffpreise hingegen, bevorzugen Investor:innen Value und Dividendenpapiere.
Für Investor:innen bedeutet dies entweder ein breit diversifiziertes Portfolio mit einer Streuung über Value-, Qualitäts- und Wachstumswerte aufzubauen oder gezielt Unternehmen zu suchen, die in das aktuelle makroökonomische Umfeld passen.

Hinweis: Die Wertentwicklung in der Vergangenheit lässt keine verlässlichen Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung des Fonds zu.
In Chart 2 sehen wir die relative Performance von Faktoren in den letzten 5 Jahren (USA). Zwischen dem ersten Balken und dem zweiten sind die Anleihen Renditen von über 3% auf 0,5% gefallen. In dieser Periode profitierten Wachstumswerte, während Value Aktien oder Dividendenwerte sich unterdurchschnittlich entwickelt haben. Das Blatt hat sich gewendet, als die Renditen wieder stiegen, jetzt wurden Value Aktien gegenüber Wachstumsaktien bevorzugt. Als die Rohstoffpreise ihren Aufwärtstrend begonnen haben (3. Balken), haben Investor:innen vor allem Dividendenwerte gesucht und Wachstumswerte verkauft (fallende blaue Linie). Dieser Chart verdeutlicht, dass Investor:innen bei ihren Investments das aktuelle Umfeld mit berücksichtigen sollten.
Kennzahlen erhöhen Transparenz und Vergleichbarkeit bei der Aktienauswahl
Alle erwähnten Kennzahlen schaffen Transparenz und Vergleichbarkeit. Dadurch sind sie ein wertvolles Hilfsmittel, um Anleger:innen bei der Aktienauswahl zu unterstützen. Doch Kennzahlen alleine sollten nicht die einzige Entscheidungsgrundlage sein – genauso wichtig ist es, diese Werte im Zusammenhang mit der aktuellen Lage eines Unternehmens und seinen Wachstumsambitionen zu betrachten. Außerdem müssen Anleger:innen das aktuelle makroökonomische Umfeld im Auge behalten. Wer das nicht selbst machen möchte, überlässt diese verantwortungsvolle Aufgabe am besten den Profis bei den Fondsgesellschaften und entscheidet sich für einen Aktien-Investmentfonds.
Erläuterungen zu Fachausdrücken finden Sie in unserem Fonds ABC: Fonds-ABC | Erste Asset Management
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.