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Biodiversität: Interview mit Ökologe Franz Essl

Biodiversität: Interview mit Ökologe Franz Essl
Biodiversität: Interview mit Ökologe Franz Essl
(c) Thomas Lehmann
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Herr Essl, Sie wurden als Ökologe vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen als Wissenschaftler des Jahres 2022 ausgezeichnet. Im Vordergrund stand vor allem, Wissen einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln und speziell das Thema des Verlusts der Artenvielfalt in die Diskussion zu bringen.
Wie würden Sie das Problem beschreiben: was sind die größten Risiken/Gefahren mit denen wir als Menschheit konfrontiert sind, wenn wir diesen Verlust nicht aufhalten?

Der rasante Artenverlust, der weltweit und in Österreich gleichermaßen stattfindet, ist wie ein Frühwarnsystem. In Österreich sind in den letzten 20 Jahren 40% der Brutvögel verschwunden, der Weltbiodiversitätsrat schätzt, dass eine Million Arten global vom Aussterben bedroht sind. Diese Zahlen belegen, dass wir Raubbau an der Natur betreiben. Wie wir aus anderen Lebensbereichen wissen, geht Raubbau nicht lange gut und irgendwann wird die Rechnung fällig gestellt. In diesem Fall stehen auf der Rechnung: Verlust an Bestäubern, mangelnder Schutz vor Hochwässern und Lawinen, Ernteausfälle und vieles mehr. Sowie hässliche monotone Agrarwüsten oder zersiedelte Landschaften. Das sind trübe Aussichten.

Können Sie den Begriff der Biodiversität näher erläutern? Man spricht vom Verlust von großen Teilen von Beständen aber auch vom Verlust der genetischen Vielfalt innerhalb einzelner Arten oder auch der Degradierung von Ökosystemen.
Welche Problematik würden Sie hier besonders relevant einstufen und wo haben wir den dringendsten Handlungsbedarf?

Biodiversität ist ein etwas sperriger Begriff. Im Grunde umfasst er die Vielfalt des Lebens, von genetischer Vielfalt, über die Vielfalt von Arten bis zur Vielfalt unterschiedlicher Lebensräume. Da diese unterschiedlichen Aspekte der Vielfalt der Natur eng miteinander verknüpft sind, ist es schwierig einen einzelnen herauszugreifen. Aber, ich würde meinen, die Zerstörung von Lebensräumen wie Blumenwiesen, Moore, naturnahe Wälder ist der vielleicht gravierendste Faktor, da dies wie beim Domino letztlich auch zum Verschwinden der dort vorkommenden Arten führt. Daher ist es ganz wichtig, solche Lebensräume zu erhalten – in Österreich, aber besonders auch in Regionen wie in den Tropen, wo sie besonders rasch zerstört werden. Stichwort Brasilien oder Indonesien.

Verschiedene Regulierungen auf EU-Ebene beziehen auch das Thema Biodiversität mit ein, wie etwa die Taxonomie für nachhaltige Veranlagungen.
Ist es aus ökologischer Sicht überhaupt möglich über den Biodiversitätszustand zu berichten bzw. diesen Zustand in Kennzahlen zu fassen um z.B. Verantwortung auf Unternehmensebene festzumachen?

Ja, das ist möglich, sinnvoll und nötig. Möglich, da es zwar nicht einfach ist den Zustand von Natur mit Zahlen zu bewerten, aber es gibt mittlerweile genug Forschungsergebnisse, die dies näherungsweise ermöglichen. Sinnvoll, da Entscheidungen am Finanzmarkt massive Auswirkungen auf die Natur und das Klima haben können – im positiven, wie im negativen. Nötig, da es dringend notwendig ist, Artensterben und Klimawandel viel ernsthafter als bisher zu bekämpfen – da braucht es natürlich auch den Finanzmarkt.

In der Vergangenheit wurde über das Thema der Datenqualität und -validität bzgl. Biodiversität vermehrt kritisch diskutiert. Während im Klimabereich die Emissionen von Treibhausgasen eine vielfach akzeptierte Kennzahl sind, um die Klimakrise zu adressieren, bleibt die Frage offen, ob es für den Biodiversitätsbereich eine ähnlich geeignete Kennzahl geben kann?

Eine einzige Kennzahl, um den Zustand der Biodiversität zu bewerten, ist in der Tat kaum ausreichend. Aber, es lässt sich mittlerweile fundiert bewerten, wie etwa die Art der Landnutzung – von Verbauung über Land- zur Forstwirtschaft – sich auf die Artenvielfalt auswirkt. Ähnliches lässt sich auch für uns Menschen wichtige Ökosystemleistungen berechnen – etwa Grundwasserneubildung, Hochwasserschutz, Kohlenstoffspeicherung. All dies ist im Grunde möglich. Natürlich mit gewissen, jedoch vertretbaren, Unschärfen, und abhängig davon, ob die notwendigen Grundlagendaten etwa von Unternehmen vorliegen.

Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise sind eng miteinander verbunden. Bei der Klimakrise wird davon ausgegangen, dass man sie auf globaler Ebene lösen muss.
Ist dieses „Problem“ ebenfalls bei der Biodiversitätskrise gegeben oder kann man hier mit lokalen oder regionalen Lösungen ebenfalls gut arbeiten?

Global lösen lassen sich Probleme nur, wenn man national und lokal handelt. Nur wenn viele dies machen, wird es zu der globalen Lösung, die es braucht. Damit ist klar, dass auch Österreich seinen Beitrag dazu leisten muss. Und das passiert eindeutig viel zu wenig. Dabei wäre es nur nötig, dass umzusetzen, wozu wir uns verpflichtet haben – das Pariser Klimaschutzübereinkommen, und die nationale Biodiversitätsstrategie, die seit Herbst 2022 vorliegt. Daran führt kein Weg vorbei, und es ist ein Politikversagen, dass diese Dokumente bislang weitgehend leere Beschlüsse geblieben sind. Ich bin auch überzeugt, die Wirtschaft würde in ihrer Mehrheit eine solche zukunftsfähige Politik mittragen.

Für die Klimakrise bleibt bekanntlich wenig Zeit, um Lösungen zu finden und umzusetzen. Denken Sie, dass der Zeithorizont bei der Biodiversitätskrise ein Ähnlicher ist?

Dass uns die Zeit durch unsere Inaktivität zwischen den Fingern zerrinnt, das ist beiden Krisen gemeinsam. Sie sind eben ganz eng miteinander verknüpft, haben ähnliche Ursachen, und lassen sich nur zusammen lösen.

Wie schneidet Österreich aus einer Biodiversitäts-Betrachtung ab: ist die Biodiversität, im Vergleich zu anderen Ländern, noch größer? Was wäre auf politischer Ebene notwendig, um das Thema noch stärker zu adressieren?

Österreich ist artenreich. Einfach deshalb, da wir Anteil an sehr unterschiedlichen Landschaften haben: Berge, Steppen, und im Süden in Kärnten und der Steiermark, auch Arten aus dem nördlichen Mittelmeerraum, die Österreich gerade noch erreichen. Aber, mit diesem uns zugefallenen Naturkapital gehen wir achtlos um. Politisch halte ich Leadership für wichtig. Eine Wende zu einer zukunftsfähigen Umwelt- und Klimapolitik, sozial ausgewogen umgesetzt, hätte meiner Meinung nach eine breite Legimitation in der Bevölkerung und Wählerschaft, und würde honoriert werden. Dabei sind natürlich dennoch Widerstände zu überwinden, und davor wird derzeit noch zurückgeschreckt.

Weitere Informationen, Insights und Expert:innenstimmen zum Thema Biodiversität erhalten Sie in unserem neuen ESGenius Letter.

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