Die Sommermonate Juli/August sind auch an den Börsen von einer gewissen Ruhe geprägt, da viele Marktteilnehmer urlaubsbedingt pausieren, und die allgemeine Aktivität nachlässt. Zwar kann sich dieser Effekt immer ins Gegenteil verkehren, indem punktuell negative Nachrichten zu übermäßigen Marktschwankungen führen, da sie nur von wenigen informierten Akteuren bewertet werden – für den Sommer 2023 liegen aber einige Anzeichen vor, dass man beruhigt an den Strand gehen kann.
Ein Aspekt, den wir hier im Blog immer wieder beleuchtet haben, ist eine potenzielle Rezession in den USA. Hervorgerufen nicht durch wirtschaftliche Schwierigkeiten und nicht durch eine Vertrauenskrise wie 2008/2009, sondern durch die raschen Zinserhöhungen der US-Notenbank, von denen eine Belastung für die Wirtschaft ausgeht und auch ausgehen soll, da eine gedämpfte Aktivität Druck von der Inflationsseite nimmt. Die außergewöhnlichen Inflationswerte in den USA und in Europa seit ca. 2021 haben den Zentralbanken keinen anderen Spielraum gelassen, als entschieden vorzugehen.
Eine Rezession bedeutet im Grunde eine kontrahierende Wirtschaft für ein halbes Jahr. Bis belastbare Werte für das Wirtschaftswachstum eintreffen, vergehen jedoch mehrere Monate, und selbst dann kann es im Nachhinein noch zu Revisionen kommen. Diesen Aspekt versucht das „Nowcasting“ zu entschärfen, das dem Wirtschaftswachstum zeitnahe frisch einlangende Daten zugrunde legt. Der folgende Chart bietet zwei Erklärungen: 1. Die Aussagekraft der „Nowcast“-Werte (blaue Linie) für das tatsächliche Wirtschaftswachstum (graue Linie) ist zufriedenstellend, und 2. der aktuelle Wert liegt bei +2,3% und damit lange nicht im Rezessions-Bereich.
Wirtschaftswachstum USA: „Nowcast“
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Seit dem Abklingen der COVID-Pandemie war das Wirtschaftswachstum, gemessen am „Nowcast“, tatsächlich nur von Jänner bis Juli 2022 negativ. Von Bedeutung ist eine Rezession, weil sie in der Regel mit einer hohen Arbeitslosigkeit kommt und dadurch soziale Spannungen hervorruft, und weil die Unternehmensgewinne einbrechen können, mit entsprechenden Konsequenzen für die Aktienbörsen. In den Pandemiejahren ist das Konzept des Nowcasting an seine Grenzen gestoßen, mit schwer einzuordnenden Werten, deshalb ist dieser Bereich im Chart leer gelassen.
Eine Maßzahl für die Belastungen, denen sich die Bevölkerung ausgesetzt sieht, ist der sogenannte „Misery“-Index, der Inflation (in %) und Arbeitslosigkeit (in %) addiert. Hier zeigt der folgende Chart, dass unsere Welt auch nach der Pandemie noch mehr als genug „Misere“ ausgesetzt war. Die unter diesen Umständen erfreuliche Nachricht ist, dass die Belastungen jetzt nachlassen, und die Inflation zurückgeht. Die Arbeitslosenrate hat interessanterweise in diesem Zeitraum kaum zur Belastung beigetragen, da international ein Arbeitskräftemangel vorherrscht. Das höchste „Misery“-Ausmaß trägt derzeit noch Großbritannien.
„Misery“ Index: Inflation plus Arbeitslosigkeit
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Im Chart fällt der kräftige Ausschlag für die USA im August 2020 ins Auge. Die Ursache ist, dass im Zuge des „Lockdowns“ die Arbeitnehmer tatsächlich freigesetzt (und bald wiedereingestellt) wurden, im Gegenzug zu Europa, wo Arbeitszeitmodelle das überbrückt haben.
Volkswirtschaftlich sollten die Inflation und die Leitzinsen der Notenbanken einander vergleichbar sein. Diese beiden Charts zeigen, dass die USA-Notenbank jene „Herkulesaufgabe“ zum jetzigen Zeitpunkt bewältigt hat: indem sich die Linien für die Inflation (blau) und die Zinsen (türkis) bereits schneiden. Hingegen hat die europäische Notenbank aller Voraussicht nach noch ein Stück des Weges zu gehen.
Verbraucherpreise USA und Leitzinsen
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Für die Eurozone haben sich die Verbraucherpreise und die Leitzinsen (noch) nicht vollständig angenähert:
Verbraucherpreise Eurozone und Leitzinsen
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Ein interessanter Aspekt ist, dass die Inflation im Euroraum in den letzten 10 Jahren überwiegend unter dem angestrebten Wert von 2% gelegen hat. Die Entscheidung der EZB, vergleichsweise spät in den Zinserhöhungszyklus einzusteigen, wird kontroversiell diskutiert – sie ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen.
Langfristig besteht ein Gleichlauf zwischen den Gewinnen börsennotierter Unternehmen und den Börsenkursen. Immer wieder läuft eine Komponente voraus, jedoch stellt sich normalerweise dieses Gleichgewicht früher oder später ein. Der folgende Chart zeigt, dass aktuell dieser Zustand vorliegt: Die Gewinne sind nicht eingebrochen (das wäre der Effekt einer gravierenden Rezession), deshalb sind die Börsenkurse zuletzt wieder angestiegen. Beide Linien stimmen heute überein.
Aktiengewinne und Börsenentwicklung
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Hinter uns liegt eine lange Phase des „billigen“ Geldes, d.h. dessen einfacher Verfügbarkeit. Der folgende Chart zeigt den Zusammenhang für die USA: Das Ausmaß, indem die US-Notenbank Liquidität der Wirtschaft zur Verfügung gestellt hat und immer noch stellt, zeigt einen Zusammenhang mit den Börsenkursen von US-Aktien.
Notenbanken-Maßnahmen („Quantitative Easing“) und Börsenentwicklung
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Seit Jahresmitte 2022 verringert sich die Bilanzsumme der US-Fed, d.h. die Geldmenge, die zur Unterstützung in die Wirtschaft geschleust wurde. Zugleich hat sich die rote Linie im Chart erst wenig von ihren Höchstständen entfernt. Die gute Nachricht ist hier, dass sich die Aktienkurse von der Unterstützung durch die Notenbank „emanzipiert“ haben könnten, und so auf die fortbestehende Reduktion der Liquidität nicht zwangsläufig mit Verlusten reagieren werden müssen.
In der Pandemie wurde eine massive Verstopfung der globalen Lieferketten festgestellt. Mit eine Ursache war, das sich die Internet-Bestellungen stark erhöht haben, für Waren, die einen langen Lieferweg erfordern. Der Preis, den es für den Transport eines Containers auf einem Frachtschiff zu bezahlen galt, war explodiert:
Container-Schifffahrt
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Hier hat sich nun Normalität eingestellt. Das wirkt nicht zuletzt auf die Inflation dämpfend – und die Rohstoffpreise zeigen ein ähnliches Bild. Apropos Rohstoffe! Ein brisantes Thema noch vor kurzer Zeit haben die Erdgas-Speicher in Europa dargestellt, die es zu füllen galt, als die Gaslieferungen aus Russland ausblieben oder bewusst verringert werden sollten. Insbesondere Deutschland – ein wirtschaftliches Schwergewicht in Europa, ehedem „Exportweltmeister“ – und Österreich zeigten und zeigen eine hohe Erdgas-Abhängigkeit. Wäre es nicht gelungen, die Speicher zeitgerecht zu füllen, hätte sich eine deutliche Rezession in Deutschland einstellen können. Bewältigt wurde das – zu hohen Kosten – überwiegend durch sogenanntes LNG, d.h. durch verflüssigtes Erdgas, das auch ohne Pipeline transportierbar ist. Die Infrastruktur dafür wurde im Rekordtempo ausgebaut.
Der milde Winter hat die Situation zusätzlich viel einfacher gemacht. Stand heute liegt der Füllstand EU-weit bereits wieder bei 80,1% und damit höher als in vielen Sommern davor. Das sollte Europa einen „Startvorteil“ für den Winter 2023/24 verschaffen:
Erdgasspeicher Füllstand
Quelle: Bloomberg; Stand 14.07.2023; Hinweis: Die Entwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für künftige Wertentwicklungen.
Fazit
An den Börsen kehrt häufig in den Sommermonaten bis zu einem gewissen Grad Ruhe ein. Für den Sommer 2023 deuten mehrere Anzeichen darauf hin, dass uns keine bösen Überraschungen die Ferien verleiden werden.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.
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