Nach dem überraschend starken Beschäftigungsbericht von letzter Woche sind die Chancen, dass die US-Notenbank Fed in der Dezember-Sitzung des Offenmarktauschusses (FOMC) die Zinsen erhöht, auf fast 70% gestiegen. Natürlich sind 70% nicht 100%, aber die meisten Beobachter sind überzeugt, dass in den kommenden vier Wochen Schreckliches passieren müsste, um die Fed vom Zinserhöhungskurs abzubringen Darauf deutet auch die Aussage von Präsidentin Yellen im September hin, dass die Mehrhheit im FOMC eine Erhöhung der Leitzinsen noch in diesem Jahr für wahrscheinlich hielte.
Ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, jetzt den Zinserhöhungszyklus einzuläuten, bleibt eine schwierige Frage wie zuletzt Kenneth Rogoff ausführte. Die Faktoren, die für eine Anhebung sprechen, sind jedenfalls massiver geworden. Die US-Wirtschaftsdaten haben sich generell in den letzten Wochen relativ zu den Prognosen (laut dem Citi Economic Surprise Index) verbessert. Insbesondere hält die Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt an. Die Anzahl der Jobs in der US-Wirtschaft (außerhalb der Landwirtschaft) wuchs heuer monatlich im Durchschnitt um 200.000, und die Arbeitslosenrate fiel auf 5%. Vor allem gibt es Anzeichen dafür, dass die Phillipskurve (die den Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit widerspiegelt) endlich funktioniert und die Löhne steigen.
Der durchschnittliche Stundenlohn wächst derzeit um gut 2% (auf jährlicher Basis). Das mag zwar noch immer nicht „das Weiße in den Augen der Inflation“ darstellen, wie es Paul Krugman vor einer Zinserhöhung sehen will, doch zeigt die jüngste Lohndynammik, dass das Deflationsrisiko sinkt.
Möglich negative Folgen eines ersten Zinsschrittts im Dezember sind seit Monaten ein zentrales Thema in der Finanzpresse, bei internationalen Bloggern und bei den Entscheidungsträgern selbst. Allerdings ist bei weitem nicht klar, dass eine Erhöhung der Fed Funds Rate um 25 Basispunkte – mehr ist nicht realistisch – im Dezember tatsächlich mit ernsten Folgen verbunden wäre.
Wie schon an früherer Stelle erwähnt, hat es wohl noch nie zuvor einen geldpolitischen Schritt gegeben, der so lange und so intensiv öffentlich diskutiert worden wäre, wie der nächste Zinsschritt der Fed. Der Überraschungseffekt sollte sich also in engen Grenzen halten.
Zum zweiten ist der unmittelbare Einfluss der Zinspolitik auf die Marktzinssätze schwach, und sein Vorzeichen hängt überdies von den Umständen ab. Auf Basis der früheren Beispiele (1994, 1999, 2004) wird die Zinserhöhung vorrangig das kurze Ende der Zinskurve betreffen. Die Folgen am langen Ende, das für die Realwirtschaft maßgeblich ist, werden außerhalb der USA vermutlich überschaubar bleiben. Am wahrscheinlichsten ist eine leichte Abflachung der Kurve nach dem Schritt der Fed.
Auf Zinserhöhung muss nicht unbedingt ein Bärenmarkt folgen
Drittens zeigt die Performance der Aktienmärkte während früherer Perioden steigender Zinsen, dass die Initialerhöhung des Zinssatzes nicht unbedingt einen andauernden Bärenmarkt auslöst. Beispielsweise verbuchten sowohl US- als auch europäische Aktienindizes – nach kurzfristigen Verlusten in den ersten Monaten direkt nach der Erhöhung – signifikante Gewinne in den zwölf Monaten, die auf die erste Zinserhöhung der Fed folgten. Es gibt auch kein klares Muster, wie die relative Performance von US- oder europäischen Aktien während des Beginns steigender US-Zinsen ausfällt (sie nächste Grafik).
Viertens: Aus US-Perspektive besteht die Befürchtung, dass die mögliche Zinserhöhung zu einer weiteren Stärkung des US-Dollars führen könnte, was eine Bedrohung für das Wirtschaftswachstum des Landes darstellen würde. Außerdem könnten hoch verschuldete Schwellenländer in Mitleidenschaft gezogen werden. Allerdings zeigt die nachfolgende Grafik, dass zumindest im Gefolge der letzten drei Initialzinserhöhungen die Dollarentwicklung anders verlief.
Tatsächlich begann die US-Währung schon vier bis sechs Monate vor der Zinserhöhung zu steigen. Nach dem Zinsschritt selbst, schwächte sie sich ab. Diesmal könnte es anders sein. Die wichtigsten Zentralbanken außerhalb der USA sind nach wie vor zu geldpolitischen Lockerung entschlossen oder werden sie sogar ausdehnen. Allerdings ist der US-Dollar-Spot-Index (Bloomberg: DXY) seit Mitte 2014 bereits um 25% gestiegen, und der reale, handelsgewichtete Dollar-Index befindet sich auf dem höchsten Niveau seit 2005. Das Aufwärtspotenzial des Dollars könnte daher geringer sein, als vermutet (wobei Wechselkurse allerdings dafür bekannt sind, zu „überschießen“).
Zinsängste nicht wirklich begründet
Die zentrale Botschaft, die sich aus den früheren Fed-Zinsschritten ableiten lässt, ist: Die Reaktion der Finanzmärkte auf die wahrscheinliche Erhöhung im Dezember wird vermutlich weniger dramatisch ausfallen als oftmals angenommen. Wichtiger als das Timing des ersten Zinsschritts wird die Frage sein, welche Signale die Fed hinsichtlich ihrer Zinspolitik für 2016 und darüber hinaus aussenden wird. Präsidentin Yellen hat darauf hingewiesen, dass die „Normalisierung“ – ein Terminus, der einer eigenen Diskussion bedarf – länger dauern und weniger steil vor sich gehen werde als bei früheren Zinserhöhungen. Derzeit erwartet der Markt eine sehr moderate Erhöhung der Fed Funds Rate bis Ende 2016 (auf etwa 1%). Etwaige Anzeichen, wonach die Fed aggressiver agieren könnte, würden negativ aufgefasst werden (solange der Wachstumsausblick größtenteils unverändert bleibt). Dagegen würden Signale, wonach die Zinsen in der absehbaren Zukunft gar nicht erhöht, vermutlich die Annahme stärken, dass sich die Welt auf eine Deflationsphase zubewegt.