Negative Entwicklungen
Die Weltwirtschaft ist mit mehreren negativen Ereignissen konfrontiert. Das dominante Thema ist die hohe Inflation, die das Wirtschaftswachstum einbremst. Davon abgeleitet wirken auch die schnellen Leitzinsanhebungen und das verschärfte Finanzumfeld wachstumsdämpfend. Darüber hinaus stellt der massiv angestiegene Gaspreis für Europa einen besonders negativen externen Schock dar. Mengenbeschränkungen hätten zusätzliche deutlich negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität. Zudem dämpfen in China die Immobilienkrise und die Nulltoleranzpolitik gegenüber Covid das Wachstum. Auf der geopolitischen Ebene hat sich mit dem Besuch von US House Speaker Nancy Pelosi in Taiwan nun auch die Beziehung zwischen den USA und China weiter verschlechtert.
Fallende Wirtschaftsindikatoren
Die Mehrheit der Wirtschaftsindikatoren deutet auf ein deutlich nachlassendes wirtschaftliches Momentum sowie auf ansteigende Rezessionsrisiken hin. In der vergangenen Woche ist der globale Einkaufsmanagerindex für den Monat Juli auf das niedrigste Niveau in der Erholungsphase nach der Kontraktion im Frühjahr 2020 gefallen. Mit 50,8 deutet er auf ein globales Wachstum unter dem Potential hin. Besorgniserregend ist vor allem der Rückgang der Neuaufträge (schwächere Nachfrage) und der Erwartungskomponente (schlechte Stimmung). Auch die Beschäftigungskomponente ist gefallen. Das liefert einen Hinweis für eine Abschwächung der sehr engen Arbeitsmärkte. Auf der positiven Seite fielen sowohl die Verkaufspreise als auch die Lieferzeiten. Eine wichtige Inflationsquelle scheint an Kraft zu verlieren: Lieferengpässe. Immerhin ist im globalen Einkaufsmanagerbericht für den Fertigungssektor das Verhältnis von Neuaufträgen zu Lagerbeständen weiter deutlich gefallen. Leider bedeutet das gleichzeitig erhöhte Rezessionsrisiken.
Kräftiges Beschäftigungswachstum in den USA
Gleichzeitig haben in der vergangenen Woche in den USA zwei Wirtschaftsberichte positiv überrascht. Erstens stieg der ISM Non-Manufacturing Index für Juli überraschend auf ein hohes Niveau an (56,7). Das steht im Widerspruch mit der signifikanten Eintrübung von anderen Indikatoren. Auch der Services PMI von S&P Global ist deutlich gefallen (47,3). Zweitens war der Beschäftigungszuwachs im Juli besonders stark (Nonfarm Payrolls: tatsächlich +528.000 vs. Erwartung: +250.000). Zudem fiel die Arbeitslosenrate weiter auf ein sehr niedriges Niveau (von 3,6% auf 3,5%).
Sehr enger Arbeitsmarkt
Im Einklang mit dem sehr engen Arbeitsmarkt blieb das Wachstum der durchschnittlichen Stundenlöhne hoch (0,5% im Monatsabstand auf 5,2% im Jahresabstand). Es scheint wieder einen inversen Zusammenhang zwischen Arbeitslosenrate und Lohninflation zu geben. Bis vor kurzem gab es noch einige Artikel, die keinen Zusammenhang für die vergangenen Jahre feststellen konnten (Tod der Phillips-Kurve). Gleichzeitig ist das Verhältnis der freien Stellen zur Arbeitslosigkeit sehr hoch (Beveridge-Kurve). Beide Kurven deuten auf einen sehr engen Arbeitsmarkt hin.
Nachwirkungen der Pandemie
Der Arbeitsmarkt ist von der Pandemie nach wie vor beschädigt. Das Verhältnis der Beschäftigten zur arbeitsfähigen Bevölkerung (Beschäftigungsquote) befindet sich mit 60% nach wie vor deutlich unter dem Vor-Pandemieniveau von 61,2%. Dasselbe gilt für das Verhältnis des gesamten Arbeitsmarktes (Beschäftigte und Arbeitslose) zur arbeitsfähigen Bevölkerung (Beteiligungsrate: 62,1% vs. 63,4%).
Wie kann der Inflationsdruck gemildert werden?
Ein guter Ausgang wäre, wenn die freien Stellen genügend fallen würden (weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nachlässt) und sich mehr Leute am Arbeitsmarkt beteiligen (weil das Lohnwachstum angestiegen ist und die Sparquoten fallen). Immerhin war im letzten JOLTS-Bericht ein leichter Rückgang der freien Stellen erkennbar (März: 11,9 Millionen, Juni: 10,7 Millionen). Eine weiche Landung der Wirtschaft, also eine Abkühlung am Arbeitsmarkt und eine fallende Inflation ohne eine Rezession, ist zumindest theoretisch möglich.
Ein schlechter Ausgang, das heißt, ein durch eine restriktive Zentralbankpolitik ausgelöster Anstieg der Arbeitslosenrate (= Rezession) wird jedoch von einigen prominenten Volkswirten (Blanchard / Domash / Summers) als wahrscheinlicher angesehen.
Adaptive Inflationserwartungen
Die Problematik eines zu engen Arbeitsmarktes, der durch die Phillips-Kurve und die Beveridge-Kurve beschrieben wird, hat noch eine zusätzliche Komponente. Als Erklärung für die aktuelle Inflation werden in der Phillips-Kurve nicht nur die Arbeitslosenrate (je niedriger, desto höher die Inflation), sondern auch die Inflationserwartungen herangezogen. Um letztere zu schätzen, wird mitunter auch die Inflationsentwicklung in der Vergangenheit herangezogen. In einer Phase, in der die Inflation die Bevölkerung nicht besonders kümmert, weil sie niedrig ist, ist der Zusammenhang zwischen vergangener und aktueller Inflation niedrig (niedrige Persistenz). In einer Phase, in der die Inflation im Zentrum des Interesses steht, weil sie bereits für eine gewisse Zeit hoch war, nimmt der Zusammenhang zu (hohe Persistenz bedeutet eine Inflationsspirale).
Restriktive Fed-Politik
Die Fed steht also vor der Herkules-Aufgabe, eine Inflationsspirale zu verhindern (oder zu brechen), indem sie die Nachfrage abschwächt. Wenn dabei die Anzahl der freien Stellen genügend fällt (und sich mehr Leute am Arbeitsmarkt beteiligen), kann eine Rezession verhindert werden. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit deuten jedoch darauf hin, dass aufgrund der restriktiven Zentralbankpolitik auch die Arbeitslosenrate ansteigen wird (= Rezession).
Energische Bank of England
Vergangene Woche hat die Bank of England (BoE) den Leitzinssatz um 0,5 Prozentpunkte auf 1,75% angehoben. Das war bereits die sechste Anhebung seit Dezember 2021. Im veröffentlichten Statement zeigte sich die Zentralbank energisch in der Inflationsbekämpfung. Wenn der Inflationsdruck hoch bleibt, würde sie den Leitzinssatz auch im Fall einer Rezession anheben.
Schlussfolgerung
Das hohe Beschäftigungswachstum hat die unmittelbaren Rezessionsrisiken in den USA gemildert. Weil dadurch der Inflationsdruck jedoch hoch bleibt, hat die Wahrscheinlichkeit für mehr als die im Markt eingepreisten Leitzinsanhebungen zugenommen (Ende 2022: knapp 3,6%, Ende 2023: 3,0%). Das wiederum impliziert erhöhte Rezessionsrisiken für das nächste Jahr. Das gilt auch dann, wenn in dieser Woche in den USA die Konsumentenpreisinflation wie erwartet von 1,3% p.m. / 9,1% p.a. im Juni auf 0,2% p.m. / 8,7% p.a. fällt.
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Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.