Als Jungvater hat man wenig Zeit. Da braucht man vor allem eines: eine gute Strategie. Eine meiner Strategien bei der Auswahl von Lesestoff ist, einfach zu warten. Die Zeit weiß, was interessant ist und was nicht. Und so habe ich letzte Woche ein Buch gelesen, das schon 2011 erschienen ist. Das Ende des Dollar-Privilegs von Barry Eichengreen, seines Zeichens Professor (einer der besseren) für Wirtschaftsgeschichte.
Das Buch ist aus meiner Sicht lesenswert und passt (im Faust-auf’s-Auge-Sinn) gut in die Gegenwart. Das Buch behandelt das immer wieder prophezeite Ende des Dollars als weltweite Leitwährung und den entsprechenden Kursverfall. Seit Das Ende des Dollar-Privilegs veröffentlicht wurde, hat der US-Dollar, gewichtet gegenüber allen seinen Handelspartnern und bereinigt um Inflationsdifferenzen, ca. 35% zugelegt, etwa die Hälfte davon in den letzten 15 Monaten.
Was Eichengreens Buch so spannend macht, sind die Argumente, die er 2011 anführte. Er stellte die These auf, dass das Ende des „unverschämten Privilegs“ (©Valéry Giscard d’Estaing) allen Unkenrufen zum Trotz nicht bevorstünde. Versierter Ökonom und Wissensvermittler, der Eichengreen nun einmal ist, hat er seine Aussage auf einer leicht lesbaren und historisch fundierten Analyse aufgebaut. Ich möchte hier einige Punkte herausgreifen, die ich für die aktuelle Situation interessant finde.
Leitwährung zu sein macht Spaß:
Man kann etwas zu quasi Null Kosten produzieren, das alle haben wollen. Man kann lange Zeit über seine Verhältnisse leben (Außenwirtschaftsdefizite) und dies günstigst finanzieren, da eine riesige Nachfrage nach den eigenen Wertpapieren, vor allem Staatsanleihen, vorhanden ist, man kann eine Reihe gut bezahlter Jobs aus diesem Privileg schaffen (das war einmal eine positive Aussage über die Finanzindustrie) und man kann andere dazu bringen, nach der eigenen Pfeife zu tanzen, weil sie von einem abhängen (sprich, die Währung des Landes brauchen). Kein Wunder, dass andere (=China) das gerne hätten.
Die Weltwirtschaft wurde mit flexiblen Wechselkursen viel robuster
Die Zeit der fixen Wechselkurssysteme (Goldstandard vor und nach dem ersten Weltkrieg, eingeschränkte Konvertierbarkeit vor dem zweiten Weltkrieg und Bretton Woods danach) war eine Periode, in der minimale Änderungen des Wechselkurses massive Erschütterungen der Wirtschaft zur Folge hatten. Vergleicht man das mit der Bewegung des Euro seit seiner Einführung im Vergleich zum US-Dollar (Start bei 1,18, runter auf 0,82, rauf auf 1,60 und wieder runter auf aktuell ca. 1,1), dann sieht man, wie viel robuster die Weltwirtschaft mit flexiblen Wechselkursen geworden ist. Das zeigt sich auch dort, wo man heute noch fixe Wechselkurse hat. Die zwei Abwertungen Chinas im heurigen Jahr um ca. 4,5% hatten massive Ausschläge auf den Märkten zur Folge.
Währungen bzw. Wechselkurse waren immer auch politische Themen.
Abwertungen haben Regierungen zu Fall gebracht. In der Suezkrise 1956 erpressten die Amerikaner die Briten währungspolitisch so lange, bis sich die Regierung Eden vom Suezkanal zurückzog. Geschichten wie diese gibt es zuhauf. Das Politische an der Währung ist älter als der Euro und hat den Euro nicht nur ermöglicht (die deutsche Wiedervereinigung als Window of Opportunity), sondern auch bedingt (politischer Gesichtsverlust Frankreichs aufgrund wiederholter Abwertungen versus der D-Mark). Währungen waren immer schon politische Symbole, es ist dem Euro somit schlecht vorzuwerfen, ein politisches Projekt zu sein.
Der vielgescholtene Euro ist heute zumindest eine regionale Leitwährung.
Das sieht man daran, wie stark der Euro in den Reserven diverser Zentralbanken eingesetzt wird, wie viele Länder Handel in Euro betreiben, sogar, wenn sie den Euro nicht als Währung verwenden, wie viele Ländern seit der Eurokrise doch dem Euro beigetreten sind und wie viele Länder den Euro als Währung benützen, obwohl sie nicht Teil der Eurozone sind. Frei nach Mark Twain: Die Gerüchte über den Euro-Tod sind reichlich übertrieben.
Sowohl beim Pfund als auch beim Dollar kam der Status als Leitwährung immer wieder ins Gerede. Und jedes Mal, wenn dann Geld aus den großen Kapitalmärkten dieser Leitwährungen fließt, hat das Auswirkungen auf neue Destinationen, in welche die Zahlungsströme fließen. Vor der Einführung des Euros war das lange Zeit etwa die D-Mark, die mit Ebbe und Flut der Kapitalflüsse aus dem US-Dollar nach oben oder unten ging wie ein kleines Boot am Ozean. Heute fällt mir spontan der Schweizer Franken ein, der in den letzten Jahren von massiven Flüssen aus dem Euro „profitieren“ konnte.
Der Dollar ist Leitwährung.
Ein großer Teil des Welthandels findet in US-Dollar statt, auch wenn keine US-Amerikaner involviert sind. Die Fed ist damit nicht nur die Notenbank der USA, sondern die Notenbank der Welt. Dies war früher ein kleiner Unterschied, da die USA einen größeren Teil des weltweiten Bruttoinlandsproduktes produzierte – wodurch die von der Fed im Blick auf die US-Wirtschaft gesetzte Höhe der US-Leitzinsen „besser“ zum weltweiten Wirtschaftsgefüge passte. Mittlerweile hat sich dieser Zusammenhang deutlich gelockert. Steigen die Leitzinsen in den USA, kann das zwar gut zur US-Wirtschaft passen, aber schlecht zur Weltwirtschaft. Einer der Gründe, warum sich US-Dollar-abhängige Schwellenländer derzeit so schwer tun.
Vor dem Dollar war das Pfund die Leitwährung der Welt. Handelsströme fakturierten in Pfund, internationale Kredite wurden in Pfund vergeben und Großbritannien profitierte von allem, was der Status einer Weltleitwährung mit sich bringt. Diesen Status verlor das Vereinigte Königreich in relativ kurzer Zeit. Eichengreen weist darauf hin, dass das Pfund seine Rolle innerhalb von nur 10 Jahren an den Dollar verlor. Für mich ein Hinweis darauf, wie genau man sich derzeit die Versuche anschauen muss, einen Markt für Renminbi auf- bzw. Shanghai zum weltweiten Finanzzentrum auszubauen.
Der Dollar war nach dem zweiten Weltkrieg die (einzige) Leitwährung, weil er frei konvertierbar, durch eine enorme Wirtschaftskraft unterstützt (ca. 50% der Wirtschaftsleistung außerhalb des kommunistischen Blocks wurden von den USA erbracht) und von extrem liquiden und tiefen Kapitalmärkten abgesichert war. Verglichen damit fehlen dem Euro der entsprechende Kapitalmarkt und China sowohl der Kapitalmarkt als auch die Umwandelbarkeit der Währung. Damit ist klar, dass der Dollar weiterhin Leitwährung bleibt.
Europa müsste seinen Kapitalmarkt verbreitern und vertiefen (Rolle der Banken in der Finanzierung, Eurobonds, Kapitaltransaktionssteuer, etc.). China wiederum müsste mit seinen Bestrebungen fortsetzen, den Kapitalmarkt zu liberalisieren und einen Renminbi-Kapitalmarkt für ausländische Investoren aufzubauen.
Die Lektüre von Das Ende des Dollar-Privilegs zeigt klar, dass Wechselkurse fundamentalen Entwicklungen folgen und sich nicht ewig von den Fakten am Boden abkoppeln können. Da die Fakten sich ändern, ändern sich Wechselkurse. Bei flexiblen Wechselkursen geht diese Anpassung schrittweise und damit verbunden mit geringeren Kosten vor sich. Die letzte „große“ Umwälzung war aus meiner Sicht, dass in den vergangenen 15 Monaten eine weitere Diskrepanz zwischen den Notenbankpolitiken der USA und der Eurozone absehbar wurde. In den USA ist ein Ende der Nullzinspolitik und der geldpolitischen Lockerung in Sichtweite. In Europa ist mit weiteren Schritten der Lockerung zu rechnen. Genau das spiegelt sich auch im Euro-US-Dollar-Wechselkurs der letzten Monate wider. Ich denke, diese Entwicklung ist inzwischen an den Märkten angekommen und wird (außer die US-Notenbank erhöht die Zinsen deutlich schneller als geplant) zu keiner massiven Abwertung des Euro mehr führen. Gefühlt liegt das Risiko jetzt auf der anderen Seite, da sich die Leitzinserhöhung in den USA immer weiter nach hinten verschiebt.
Zu guter Letzt meine Prognose, dass der US-Dollar auch in 10 Jahren noch die Leitwährung der Welt sein wird, wir aber gleichzeitig eine Gruppe von Währungen erleben werden, die eine regional wichtigere Stellung einnehmen. Zu diesen wird neben dem chinesischen Renminbi auch der Euro gehören.