Nach dem großen Inflations- und Zinsschock befinden sich die Zentralbanken und die Märkte seit einigen Monaten in einer Findungsphase. Seit Mitte Mai sind die in den Marktpreisen reflektierten zukünftigen Leitzinsen abermals angestiegen. Der Markt erwartet also eine weiterhin restriktive Geldpolitik, wobei der bestimmende Grund dafür die Dynamik bei der Inflation ist. Zwar fallen die Teuerungsraten, jedoch langsamer als gedacht.
In der vergangenen Woche haben die Zentralbanken in den USA und der Eurozone ihre Erwartungen für die Inflation angehoben. Dem entsprechend wurden auch weitere Leitzinsanhebungen in Aussicht gestellt. Immerhin gibt es zumindest einige Anzeichen für einen weiteren Rückgang der Inflation.
Kein Zinsschritt in den USA
Die wichtigste Zentralbank der Welt, die Fed, hat im Juni die Bandbreite für den effektiven Leitzinssatz bei 5% – 5,25% unverändert belassen. Das, obwohl die Erwartung für die Inflation für das vierte Quartal 2023 auf 3,9% im Jahresabstand angehoben wurde. Die März-Schätzung für den sogenannten Core PCE Deflator hatte sich noch auf 3,6% für das vierte Quartal belaufen.
Auch wenn der Leitzinssatz diesmal unverändert blieb, wurden mehrere Leitzinsanhebungen für die Zukunft angedeutet. Im Durchschnitt erwarten die Sitzungsteilnehmer:innen Ende 2023 einen Leitzinssatz von 5,6% – zuvor lag diese Schätzung noch bei 5,1%.
Streckung der Zinsanhebungen
Dahinter steckt eine Strategie. Je mehr sich der Leitzinssatz einem ausreichend restriktiven Niveau annähert, desto vorsichtiger wird die Zentralbank mit Zinsanhebungen. Denn das Risiko von zu kräftigen Leitzinsanhebungen, die unnötigerweise eine Rezession auslösen würden, soll möglichst niedrig gehalten werden.
Nachdem die Fed das Ausmaß der Zinsanhebungen pro Sitzung in den vergangenen Monaten reduziert hat, wird jetzt der Zinsanhebungspfad zeitlich in die Länge gestreckt. Die Fed hebt nunmehr nicht auf jeder Sitzung die Leitzinsen an. Damit erhält die Zentralbank mehr Zeit, den Effekt der vergangenen Leitzinsanhebungen und der restriktiven Geldpolitik auf das Wachstum und die Inflation besser einschätzen zu können.
Immerhin ist im Monat Mai die Kerninflation im Dienstleistungssektor (Gesamtzahl ohne Nahrungsmittel, Energie und Wohnungskosten) auf den niedrigen Wert von 0,16% im Monatsabstand gefallen. Außerdem sind die Inflationserwartungen der Konsument:innen in zwei Untersuchungen der New-York-Fed und der University of Michigan deutlich zurückgegangen. Auch das verringert die Wahrscheinlichkeit für eine Inflationspersistenz, also dem Verharren der Inflation auf einem sehr hohen Niveau.
Drei Kriterien für das Vorgehen der EZB
Im Unterschied zur Fed hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen weiter um 0,25 Prozentpunkte angehoben. Der Hauptrefinanzierungssatz liegt nunmehr bei 4,0%. Die EZB richtet ihre Strategie zur Inflationsbekämpfung nach drei Kriterien:
- Wie weit liegt die Inflationsprognose über dem Zentralbankziel von 2%?
Die Zentralbank hat ihre Erwartung für die Konsumentenpreisinflation ohne Energie und Nahrungsmittel, also die Kernrate, für 2025 von 2,2% im März auf 2.3% angehoben. Das ist ein klar kämpferisches Signal – mehr Leitzinsanhebungen sind notwendig. - Der zugrundenliegende Inflationsprozess.
Die Kerninflation ist im Monat Mai zwar weiter gefallen, war mit 5,3% im Jahresabstand aber noch viel zu hoch. Immerhin fällt die Kerninflation im Monatsabstand. - Der Effekt der vergangenen Leitzinsanhebungen auf die Inflation.
Hier ist noch wenig ersichtlich, was wohl in der Natur der Sache liegt. Der Einfluss der Geldpolitik auf die Inflation ist mit erheblicher Unsicherheit behaftet, sowohl hinsichtlich der Stärke als auch der zeitlichen Dauer. Hinsichtlich der EZB-Sitzung im Juli sei eine Leitzinsanhebung jedenfalls sehr wahrscheinlich, wie die EZB-Präsidentin Christine Lagarde meinte.
Weitere Zinsanhebung auch seitens der Bank of England erwartet
Auch für das Vereinigte Königreich (UK) wird von der Bank of England eine weitere Leitzinsanhebung erwartet. In den Marktpreisen wird eine Anhebung von 4,5% auf 4,75% reflektiert. Der treibende Faktor dafür ist der sehr enge Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenrate ist niedrig, das Beschäftigungswachstum liegt über dem schwachen Wirtschaftswachstum und das Lohnwachstum ist nicht mit dem Inflationsziel von 2% vereinbar, weil die Produktivität niedrig ist.
Fazit: „Weiche“ oder „harte“ Landung?
Hinsichtlich der Einschätzung, auf welchem Niveau der Zinsanhebungszyklus der Zentralbanken endet, befinden wir uns nach wie vor in einem Anpassungsprozess nach oben. Zwar fällt die Inflation, jedoch nur langsam. Derzeit lautet die Arbeitsannahme, dass sowohl die Fed, als auch die EZB und die Bank of England den jeweiligen Leitzinssatz um zumindest weitere 0,5 Prozentpunkte anheben werden (auf 5,75%, 4,5% beziehungsweise 5%).
In der Vergangenheit hat eine restriktive Geldpolitik meistens eine Rezession ausgelöst („harte“ Landung). Die Hoffnung auf eine „weiche“ Landung wird durch die fallende Inflation und die Konjunkturindikatoren genährt, die zwar ein niedriges Wirtschaftswachstum aber keine Rezession indizieren. Die nächste wichtige Information werden in dieser Hinsicht die vorläufige Einkaufsmanagerindizes für den Monat Juni für die wichtigen entwickelten Volkswirtschaften am 23. Juni liefern.
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