Mittlerweile ist das dritte Jahr in der Pandemie angebrochen. Doch seit dem Einbruch im Frühjahr 2020 haben die wirtschaftliche Aktivität und die Märkte eine außerordentlich gute Resilienz gezeigt.
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn die Liste möglicher negativer Einflüsse (die „Herausforderungen“) ist lange.
Erholung
Auf der volkswirtschaftlichen Ebene hat das Coronavirus stagflationäre Tendenzen erzeugt. Ohne das Virus wäre die Produktion höher und die Inflation niedriger. Trotz der andauernden Pandemie befindet sich die Weltwirtschaft jedoch weiterhin in der Zyklusphase Erholung.
Das reale BIP-Wachstum kann so lange über dem Potential liegen, bis Vollbeschäftigung erreicht ist, wenn der Gegenwind nicht zu stark ist. Etwas granularer betrachtet haben die Hinweise für eine Beschleunigung des BIP-Wachstum vom dritten auf das vierte Quartal 2021 zugenommen.
Sowohl das Wachstum des privaten Konsums als auch jenes der Industrieproduktion hat sich in zahlreichen Ländern verbessert. Vor allem die Autoproduktion weist einen deutlichen Anstieg auf.
Letzteres ist auch ein Hinweis für eine Abnahme der Lieferengpässe. Insgesamt dürfte ein (beabsichtigter) Aufbau der niedrigen Lagerbestände deutlich zum BIP-Wachstum im vierten Quartal beigetragen haben.
In China sind im Einklang mit der Betonung auf Stabilität seitens der Politik die Einkaufsmanagerindizes angestiegen. Nach der Kontraktion im dritten Quartal wird China im vierten Quartal ein Wachstum aufweisen.
Rivalität
Auf der geopolitischen Ebene gibt es keine Entspannung. Die Rivalität zwischen den USA und China und der Konflikt zwischen dem Westen und Russland sowie dem Iran könnte im Unterschied zum vergangenen Jahr für die Märkte relevant werden.
„Auf der volkswirtschaftlichen Ebene hat das Coronavirus stagflationäre Tendenzen erzeugt. Ohne das Virus wäre die Produktion höher und die Inflation niedriger. Trotz der andauernden Pandemie befindet sich die Weltwirtschaft jedoch weiterhin in der Zyklusphase Erholung.“
Gerhard Winzer, Chef-Ökonom
© Bild: Erste AM
Klimawandel
Ähnliches gilt auch für den Klimawandel. Die angekündigten Maßnahmen sind wahrscheinlich zu gering, um die anvisierten Ziele für die CO2-Emissionen zu erreichen.
Das bedeutet unter anderem zu wenig Investitionen in klimafreundliche Technologien und Infrastruktur sowie eine zunehmende Intensität an Naturkatastrophen. Beides wirkt stagflationär (höhere Energie und Nahrungsmittelpreise im Trend).
Omicron
Die Pandemie ist noch nicht vorbei. Die Neuinfektionen zeigen abermals einen schnellen Anstieg. Die Omicron-Variante ist ansteckender als frühere Varianten aber auch weniger virulent.
Weil mehr Leute betroffen sind, bleibt das Gesundheitssystem herausgefordert. Der negative Zusammenhang zwischen Neuinfektionen und wirtschaftlicher Aktivität ist (noch) nicht gebrochen, weil global die Impfquote zu gering ist. Die Unsicherheit über die Stärke des stagflationären Einflusses ist erheblich.
Für das erste Quartal wird eine abermalige Abschwächung des globalen BIP-Wachstums abgenommen. Vor allem die kontaktintensiven Bereiche im Servicesektor sind betroffen. Das Wachstum bleibt in Basisszenario jedoch über dem Potentialwachstum.
Ob es wie im vergangenen Jahr zu einer Einschränkung der Produktion und der Logistik mit einem zunehmenden Preisdruck kommen wird, hängt stark davon ab, ob die Nulltoleranzpolitik in China fortgesetzt wird.
Externalitäten
Sowohl ein für Menschen klimafreundliches Umfeld als auch ein funktionierendes Gesundheitssystem sind öffentliche Güter. Definitionsgemäß ist für die Bereitstellung dieser Güter die Gesellschafft als Ganzes (der Staat) zuständig, weil Externalitäten unzureichend im Entscheidungsprozess von Individuen berücksichtigt werden (Marktversagen).
Genau genommen handelt es sich um global öffentlich Güter, aber einen globalen Staat gibt es nicht, weshalb die Externalitäten wohl nie zufriedenstellend internalisiert werden. Die 26. Klimakonferenz in Glasgow (COP26) hat nicht besonders überzeugt und die Emerging Market Economies haben zu wenig Impfstoffe.
Verkompliziert wird dieses Umfeld durch populistische Bewegungen, die die zugenommene Anti-Establishement und anti-wissenschaftliche Haltung nutzen und die Rivalitäten zwischen den Staaten (vor allem zwischen den USA und China). Auch die Präsidentschaftswahl in Frankreich und die Midterm Elections in den USA werden gute Gradmesser über das Ausmaß dieser Haltungen sein.
Inflation
Auf der Preisebene zeichnet sich ein Höhepunkt der Konsumentenpreisinflation im Jahresabstand bei rund 5% auf globaler Ebene im vierten Quartal 2021 ab. Die Energiepreise haben im zweiten Halbjahr 2021 maßgeblich zum Inflationsanstieg beigetragen.
Seit dem Preis-Hoch im Oktober sind im Aggregat die Energiepreise jedoch gefallen. Insgesamt wurden die hohen Inflationsraten vor allem dadurch verursacht, weil in manchen Sektoren das Angebot mit dem schnellen Anstieg der Nachfrage nicht mithalten konnte (Güter, Energie, Arbeitsmarkt) und die Inflation im Servicesektor nicht gefallen ist, obwohl die Nachfrage eingebrochen ist (Sperrklinkeneffekt).
Zudem wurde aufgrund von Eindämmungsmaßnahmen auch das Angebot in Teilbereichen beeinträchtigt (Schließung von Häfen in China). Darüber hinaus hat im vierten Quartal mit der zunehmenden Nachfrage auch die Inflation im Servicesektor zugelegt.
Das Ausmaß und die Dauer der hohen Inflationsraten hat viele Ökonomen überrascht. Zudem können einige Überwälzungseffekte festgestellt werden. Vor allem die Nahrungsmittelpreise sind deshalb angestiegen, weil die Kosten für Energie und Transport angestiegen sind.
Ob es sich um einen einmaligen Effekt (höheres Preisniveau) oder um eine Phase anhaltend hoher Inflationsraten handelt, hängt davon ab, ob die als fest verankert gedachten langfristigen Inflationserwartungen nach oben driften und / oder ob das Wirtschaftswachstum über dem Potential bleibt, auch wenn die negative Produktionslücke geschlossen ist (die Arbeitslosenrate niedrig ist).
Bereits jetzt kann in immer mehr Ländern eine Einengung am Arbeitsmarkt festgestellt werden.
Dilemma
Die Geld- und die Fiskalpolitiken sind in einem Dilemma. Soll ein stärkeres Gewicht auf die wirtschaftliche Erholung (die Beschäftigung) oder auf die Inflation gelegt werden?
In den Emerging Market Economies haben jedenfalls bereits markante Leitzinsanhebungen stattgefunden. Auch in den Developed Market Economies (DME) wurden bereits in drei Ländern (Neuseeland, UK und Norwegen) die Leitzinsen angehoben.
Generell haben die Zentralbanken in den DME mit einer Reduktion der Anleiheankaufsprogramme begonnen und die Markteilnehmer auf Leitzinsanhebungen vorbereitet.
Die ultra-akkommodierenden Geldpolitiken werden zurückgefahren. Ein Schwenk hin zu einer restriktiven Geldpolitik erfolgt jedoch erst dann, wenn die Inflationsraten zu hoch bleiben.
Known Unknowns
Im vergangenen Jahr haben einige risikobehaftete Wertpapierklassen, vor allem US-Aktien, außerordentlich hohe Kursanstiege verzeichnet.
Die wirtschaftliche Erholung ist zu einem guten Teil eingepreist, während die zahlreichen Risiken eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Pandemie, die Klimakrise, die geopolitischen Konflikte, die Probleme im Immobiliensektor in China, die Produktions- und Lieferengpässe und die Inflation könnten an Intensität gewinnen und die Zentralbanken könnten unter Druck kommen, die Leitzinsen stark anzuheben.
Wenn all diese Risiken nicht an Bedeutung gewinnen bleiben nur noch zwei klassische Risikofaktoren über: Ansteigende (reale) Renditen von Staatsanleihen würden die Bewertungen von Aktien unter Druck bringen.
Deutlich zunehmendes Lohnwachstum würde die Gewinnaussichten schmälern. Schlussfolgerung: Im wahrscheinlichsten Szenario bleiben risikobehaftete Wertpapierklassen (Ausnahme: Emerging Markets) attraktiv. Ein etwas vorsichtigeres Vorgehen in der Veranlagung ist jedoch empfehlenswert.
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen.