Die US-Zinsen steigen. Nach der ersten Erhöhung im Dezember 2015 dauerte es zwölf Monate, ehe die Federal Reserve Bank („Fed“) eine zweite folgen ließ. Doch aus zwei Gründen sind die Chancen gestiegen, dass sich die Zinserhöhungen in den kommenden zwölf Monaten häufen werden. Zum einen ist die Fed auf einen eher restriktiven Kurs eingeschwenkt, und zum anderen sind die Inflationserwartungen gestiegen. Erst kürzlich warnte die US-Notenbankchefin Yellen, „dass zu langes Zuwarten bei weiteren Zinsschritten in Richtung eines neutralen Zinsniveaus das Risiko einer unerfreulichen Überraschung mit sich bringen könnte – und zwar in Form exzessiver Inflation oder finanzieller Instabilität, oder sogar beidem.“
Investorenängste
Steigende Zinssätze werden von Aktieninvestoren oft mit Skepsis gesehen. Quelle dieser Bedenken sind
- die Erwartung fallender Bewertungen aufgrund steigender Diskontierungszinssätze;
- der wahrscheinliche Druck auf die Unternehmensgewinne durch steigende Zinsaufwendungen bei Gesellschaften mit signifikanter Fremdfinanzierung; und
- der schrumpfende Abstand zwischen Dividenden und den laufenden Erträgen aus verzinslichen Papieren.
Allgemeiner gesprochen werden steigende Zinsen auch als Vorbote von Turbulenzen auf den Finanzmärkten gesehen.
Die empirische Evidenz ist allerdings nicht eindeutig. Die letzten vier Male, als die Fed einen neuen Zinszyklus begann, waren die US-Aktien für zwei bis vier Monate Turbulenzen ausgesetzt, aber anschließend setzte eine Markterholung ein (außer 1994, als es ein Jahr dauerte, bevor der S&P 500-Index wieder das Niveau vor der ersten Zinserhöhung erreichte).
Sektor-Gewinner und -Verlierer
Die Auswirkungen des neuen Zinsumfeldes auf die Performance von Investitionsstilen und Sektoren sind ebenso wichtig für die Aktienanleger wie die Richtung des Gesamtmarktes. Basierend auf monatlichen Aktienmarktdaten aus den USA seit 2010 zeigt sich folgendes Muster:
- Die Hauptgewinner in einem Umfeld steigender Zinsen sind Finanzunternehmen, vor allem Lebensversicherer, Banken und Finanzdienstleister. Es besteht ein stark positiver, statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen den Veränderungen der 10J-Renditen und der relativen Performance dieser Sektoren im Vergleich zum Gesamtmarkt.
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Quellen: Bloomberg; Erste Asset Management. Relative Performance gegenüber S&P 500 versus Veränderungen bei den 10J Treasury-Renditen, Januar 2010 – Januar 2017. - Auf der Verliererseite befinden sich Versorger, nicht-zyklische Konsumgüter, Immobilien und Telekomunternehmen. Der negative Zusammenhang ist stark und statistisch signifikant. Er hat auch damit zu tun, dass diese Sektoren zumeist aus Aktien mit hoher Dividendenrendite bestehen, die leiden, wenn verzinsliche Papiere attraktiver werden. Dazu kommt, dass die meisten Unternehmen in diesen Sektoren kapitalintensiv sind und sich über langlaufende Verbindlichkeiten finanzieren, welche wiederum zinssensitiv sind.
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Quellen: Bloomberg; Erste Asset Management. Relative Performance gegenüber S&P 500 versus Veränderungen bei den 10J Treasury-Renditen, Januar 2010 – Januar 2017. - Es gibt eine Anzahl von Sektoren, die gegenüber dem Gesamtmarkt besser abschneiden (z.B. Investitionsgüter, Grundstoffe, Energie) oder aber zurückbleiben (z.B. der Gesundheitssektor). Allerdings ist in diesen Fällen der Zusammenhang mit Zinsbewegungen nicht stark ausgeprägt und statistisch insignifikant und daher ungeeignet, um für Portfolio-Entscheidungen nützlich zu sein, selbst wenn die Anleger fähig wären, die Richtung der Zinsen vorherzusagen.
- „Value“-Aktien (üblicherweise Aktien, die zu niedrigen Bewertungen gehandelt werden) entwickeln sich in einem Umfeld steigender Zinsen tendenziell besser als sogenannte Wachstums-Aktien (also Aktien mit hoher Bewertung, wo überdurchschnittliches Wachstum eingepreist ist).
- Zyklische Aktien entwickeln sich stärker als defensive Aktien (was im Wesentlichen die oben beschriebenen Sektoreneffekte widerspiegelt).
- Die Aktien von Schwellenmärkten verzeichnen eine schlechtere Performance als jene von entwickelten Märkten.
- Negativer Einfluss auf den Goldpreis, da steigende Zinsen die Opportunitätskosten der Goldhaltung erhöhen. Daher schneiden physisches Gold sowie Goldaktien im Vergleich zum breiten Aktienmarkt in Perioden steigender Zinsen tendenziell eher schlecht ab.
Die Konsequenzen von Zinsbewegungen für Aktieninvestoren gehen allerdings über Sektorwirkungen hinaus. Empirisch zeigt sich, dass überdies mit folgenden Effekten steigender Zinsen zu rechnen ist:
Quellen: Bloomberg; Erste Asset Management. Relative Performance gegenüber S&P 500 versus Veränderungen bei den 10J Treasury-Renditen, Januar 2010 – Januar 2017.
Unter Vorbehalt…
Obige Charts sind unter einem gewissen Vorbehalt zu sehen. Sie spiegeln empirische Muster wider, doch um sie als Basis für Anlageentscheidungen zu verwenden, braucht es eine tiefergehende statistische Analyse.
Der wichtigste Vorbehalt ist wohl, dass die empirische Beziehung zwischen Zinsbewegungen und Aktien-Performance meist schwach ausgeprägt ist, d.h. dass üblicherweise Zinsänderungen nur einen geringen Teil der Aktienkursbewegungen erklären.
Darüber hinaus ist die Beziehung zwischen Zinsen und Aktienbewegungen – wie die meisten empirischen Muster auf den Finanzmärkten – wenig stabil. In Zeiten finanziellen Stresses und/oder einer aggressiven Straffung der Geldpolitik lösen sich angeblich stabile Zusammenhänge oftmals auf und Gewinner steigender Zinsen, vor allem Finanzwerte, können rasch zu Verlierern werden.
Außerdem könnte die oben dargestellte Beziehung zwischen Zinsen und Aktienerträgen in Wahrheit die simultane Reaktion beider Variablen auf andere wirtschaftliche Entwicklungen wie Wachstums- und Inflationserwartungen widerspiegeln. Wie der bekannte Ökonometriker Ed Learner einmal sagte: „Korrelation ist in den Daten, aber Kausalität im Kopf des Betrachters.“
Zu guter Letzt ist auch die Steigung der Zinskurve von Relevanz. Wenn beispielsweise steigende Zinsen von einer Abflachung der Kurve begleitet werden, dämpft dies üblicherweise sowohl die positiven als auch die negativen Effekte von Änderungen im Zinssatz.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Zinsen steigen werden, zugenommen hat. Zwar wird das neue „Normalniveau“ niedriger sein als frühere historische Niveaus, und die Wirkung in Europa wird erst mit Verzögerung spürbar sein, aber Anleger müssen sich zweifellos mit einem neuen Umfeld vertraut machen. Steigende Zinsen gehen Hand in Hand mit Rotation zwischen Sektoren und Anlagestilen. Finanzwerte sowie andere zyklische Sektoren werden wahrscheinlich weiterhin Rückenwind spüren, während nicht-zyklische Konsumgüter, Versorger und Immobilien mit Gegenwind zu kämpfen haben werden. Es bleibt dabei allerdings festzuhalten, dass keine dieser Entwicklungen nach einem mechanistischen, vorhersehbaren Schema ablaufen wird, das quasi automatisch Gewinne zulässt.