Die Auswirkungen des Coronavirus (COVID-19) auf die Weltwirtschaft und die Märkte sind mittlerweile deutlich zu spüren.
Auf den Kapitalmärkten sind die Aktienkurse kräftig gefallen. Gleichzeitig haben die Kurse der kreditsicheren Staatsanleihen, ebenso wie der Goldpreis, kräftig zugelegt. Auf der volkswirtschaftlichen Ebene werden die Schätzungen für das Wirtschaftswachstum immer weiter nach unten revidiert. Wie kann diese krisenhafte Entwicklung interpretiert werden? Wie geht es weiter?
Im Prinzip geht es um vier unsichere Entwicklungen:
- Die Entwicklung der Neuinfektionsraten.
- Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung.
- Das Ausmaß und die Dauer der Überwälzungen der wachstumsdämpfenden Effekte auf andere Regionen.
- Die Maßnahmen zur Linderung der wirtschaftlichen Auswirkungen.
Ausgangspunkt: niedriges, globales Wirtschaftswachstum
Schon vor dem starken Anstieg der Infektionsraten war die Weltwirtschaft in einer schwachen Position. Im vierten Quartal 2019 ist das globale Bruttoinlandsprodukt lediglich mit rund 2 Prozent im Quartalsabstand (auf das Jahr hochgerechnet) gewachsen.
Besonders schwache Zahlen lieferte der Gütersektor. Die globale Industrieproduktion ist geschrumpft. Die Einzelhandelsumsätze sind kaum gewachsen und die Autoverkäufe gefallen.
Stillstand in China
Zahlreiche Indikatoren in China (Produktionsrückgang, Elektrizitätsverbrauch, Verkehr, Luftqualität) deuten auf einen massiven Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität im ersten Quartal hin. Eine Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes ist wahrscheinlich. Im vierten Quartal 2019 betrug das Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes noch 6 Prozent (im Quartalsabstand, auf das Jahr hochgerechnet)
Hauptverantwortlich für den Wirtschaftseinbruch sind die Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie (Quarantäne, Reisebeschränkungen). Doch es kündigt sich Besserung an: Der Rückgang der neuen Infektionsraten in China ist ermutigend. Damit einhergehend nimmt die wirtschaftliche Aktivität in China langsam aber doch zu.
Allerdings steigen die Neuinfektionen außerhalb Chinas an. Auch dort reagieren die Behörden mit Eindämmungsversuchen, die sich nachteilig auf das Bruttoinlandsprodukt auswirken werden.
Signifikante, unmittelbare Überwälzungen
China ist mit rund 20 Prozent vom globalen Bruttoinlandsprodukt mittlerweile eine große Volkswirtschaft und mit der Weltwirtschaft integriert. Der Ausfall eines so wichtigen Teils der globalen Wertschöpfungskette hat negative Auswirkungen auf globaler Ebene. Die Anzeichen für einen Anstieg der Lieferzeiten nehmen zu. Es fehlen Teilfabrikate und Container.
Mittelbare Überwälzungen
Dass die möglichen mittelbaren Effekte oder Sekundärrundeneffekte größer als die unmittelbaren sein könnten, stellt eine Gefahr dar. Dadurch steigt die Unsicherheit. Diese hat Auswirkungen auf das Verhalten der Behörden, der Unternehmen und der Konsumenten.
Viele Wirtschaftsagenten könnten sich zur selben Zeit zurückhalten. Ähnlich wie bei einer selbst erfüllenden Prophezeiung sinkt dadurch die wirtschaftliche Aktivität.
Nur keine Panik
Die Behörden verhängen Quarantäne-Maßnahmen und verkünden in Medien, dass es keinen Grund für Panik gibt. Die Medienkonsumenten kommen unter Umständen damit erst auf die Idee, dass es einen Grund für selbige geben könnte.
Die Unternehmen könnten eine größere Störung in der Lieferkette, einen Absatzrückgang (Tourismus, Transport) und einen Anstieg der Preise bei Produkten mit einem Engpass spüren. Die Antwort der Unternehmen könnte ein Rückgang der ohnehin schwachen Investitionstätigkeit und ein gewollter Aufbau der Lager und der Cash-Quote sein.
Die Konsumenten können sich bei nicht notwendigen Ausgaben zurückhalten und Hamsterkäufe veranstalten.
Tatsächlich sind einige wichtige Eigenschaften von beziehungsweise Fragen zu COVID-19 noch nicht zu beantworten. Wie lange werden die Neuinfektionen auf globaler Ebene ansteigen? Kann es ausgerottet werden? Wenn nicht, wird es ein saisonales oder permanentes Phänomen sein? Kann mit den Eindämmungsmaßnahmen für die Entwicklung von Therapien / Medikamenten und Impfstoffen Zeit erkauft werden? Wird das Virus mutieren?
Stabilisierung im 2. Quartal
Eine schnelle Erholung nach dem Einbruch des Wachstums im ersten Quartal wird immer unwahrscheinlicher. Für China ist die Rückkehr zum Wachstum im zweiten Quartal wahrscheinlich. Allerdings werden im Rest der Welt zwei Faktoren das Wachstum dämpfen. Erstens wird die Störung in der globalen Wertschöpfungskette auch noch im zweiten Quartal zu spüren sein. Zweitens nehmen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus außerhalb Chinas zu.
Erholung im 2. Halbjahr
Das Basisszenario lautet auf eine Erholung der Weltwirtschaft im 2. Halbjahr 2020. Für das vierte Quartal 2020 veranschlagen wir eine Wachstumsrate des globalen Bruttoinlandsproduktes bei 2,5% (Wachstum im Quartalsabstand, auf das Jahr hochgerechnet). Die Wachstumsrisiken sind jedoch erheblich.
Koordinierte Lockerungsmaßnamen
Die US-amerikanische Zentralbank hat am 3. März 2020 die geldpolitische Haltung gelockert. Diese Maßnahme ist geeignet, die Verschärfung des Finanzumfeldes (gefallene Aktienkurse, höhere Renditeaufschläge für das Kreditrisiko, höhere Volatilitäten) zu linderen. Damit wird versucht, eine negative Rückkopplung von fallenden Aktienkursen auf das Wirtschaftswachstum einzudämmen. Dieser Schritt ist aus drei Gründen eher außergewöhnlich:
- Erstens war das Ausmaß der Senkung um 0,5 Prozentpunkte auf ein Zielband für den Leitzinssatz von 1,0% bis 1,25% relativ groß.
- Zweitens war der Zeitpunkt noch ungewöhnlicher. Denn der Zinsschritt erfolgte zwischen zwei regulär angesetzten Treffen des Offenmarktausschusses. Das nächste Treffen ist für den 18. März geplant.
- Drittens könnte der Zinsschritt der wohl wichtigsten Zentralbank der Welt der Teil einer koordinierten Aktion der Zentralbanken und Finanzminister in der entwickelten Welt sein. Bereits am selben Tag in den frühen Morgenstunden senkte die Zentralbank in Australien (RBA) den Leitzinssatz um 0,25 Prozentpunkte auf 0,5%. Diese Lockerungen werden in Ländern, in denen die Zinsen bereits sehr niedrig sind, wie etwa in der Eurozone oder in Japan, nicht notwendigerweise Zinsschritte umfassen. Geldpolitische Lockerungen können auch mit einer höheren Liquiditätsversorgung für Banken (TLTRO), temporär höheren Ankaufsprogrammen oder der Steuerung der Markterwartungen (Forward Guidance) geschehen. Zudem verlautbaren immer mehr Länder fiskalpolitische Maßnahmen und Hilfen für Unternehmen in Konkursgefahr.
Fazit:
Durch die jüngsten Kursrückgänge bei den Aktien ist die Risikoprämie gestiegen: Die mit COVID-19 ausgelöste Unsicherheit ist erhöht. Sollte sich das Szenario einer schnellen „V“-förmigen Erholung ohne permanente Auswirkungen bewahrheiten, sind die risikobehafteten Wertpapierklassen günstiger geworden. Unser Basisszenario lautet jedoch auf lediglich wirtschaftliche Stabilisierung im 2. Quartal. Aus diesem Grund behalten wir in unseren Portfolios eine defensive Grundausrichtung bei.
Unser Dossier zum Thema Coronavirus mit Analysen: https://blog.de.erste-am.com/dossier/coronavirus/
Wichtige rechtliche Hinweise:
Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für künftige Entwicklungen.