Die längsten „fünf Minuten vor zwölf“ in der jüngeren Geschichte neigen sich ihrem Ende zu. Allerdings wurde immer noch kein Abkommen unterzeichnet, auch wenn einige der Differenzen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern in den langen Verhandlungsrunden ausgeräumt werden konnten.
Die Frage, wie die Märkte auf einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone („Grexit“) reagieren würden, ist größtenteils Spekulation, aber man kann zumindest den Versuch unternehmen, die Reaktion der Märkte auf die Schwankungen des Griechenland-Risikos zu analysieren.
Für diesen Zweck haben wir einen simplen Risikoindikator ermittelt. Dieser Indikator (GREEKRISK) ergibt sich aus der der Renditedifferenz zwischen den 10-jährigen griechischen Staatsanleihenrenditen und der Durchschnittsrendite vergleichbarer Staatsanleihen aus Italien, Spanien und Portugal. Durch diese Berechnung wird das allgemeine Risiko der Peripheriemärkte in der Eurozone zu einem großen Teil eliminiert. Der Vorteil dieser Kennzahl gegenüber Credit Default Spreads (CDS) liegt darin, dass letztere ein extrem volatiles Handelsmuster an den Tag legen.
Die nachfolgende Graphik zeigt die Entwicklung von GREEKRISK seit 2009 und stellt dar, wie dieser Indikator von wichtigen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen beeinflusst wurde:
Legende: | ||
a) Pasok gewinnt die Wahlen | h) Rücktritt des Premierministers | o) Emission eines 3 Mrd.-Eurobonds |
b) Erstes Sparpaket | i) Umschuldung | p) Vorgezogene Präsidentenwahlen |
c) Erstes Hilfsprogramm | j) Wahlen ohne Sieger | q) EZB kündigt QE-Programm an |
d) Neues Sparpaket | k) Neue Demokratie gewinnt die Wahlen | r) Syriza gewinnt die Wahlen |
e) Budget 2011 bewilligt | l) Draghi-Rede: „Whatever it takes“ | s) Verlängerung des Euroländer-Kredits |
f) Portugal Hilfsprogramm | m) Neuerliches Sparpaket | t) Aufschub für die IWF-Zahlung |
g) Zweites Griechenland-Hilfsprogramm | n) Demokratische Linke verlässt die Regierung |
Was man sofort erkennt: unser Risikoindikator GREEKRISK, der seit dem letzten Herbst wieder zu steigen begann, befindet sich nach wie vor deutlich unterhalb des Höchstniveaus der letzten Krise. Wir befinden uns zwar nicht im „Panik-Modus“, aber Renditen von über 10% zeigen, wie besorgt die Investoren sind.
Der zweite bedeutende Aspekt ist der Umstand, dass sich zahlreiche zwischenzeitliche Erfolge als äußerst kurzlebig erwiesen haben. Hilfsprogramme führten nur kurzfristig zu Renditerückgängen, während einige Maßnahmen, die als große Erfolge gefeiert wurden, innerhalb weniger Wochen oder Monate wieder verpufften (wie z.B. die Umschuldung im März 2012 oder die Rückkehr Griechenlands als Emittent am internationalen Anleihemarkt im Vorjahr).
Deshalb sind die Hoffnungen, dass die Risiken selbst bei einer Einigung der beteiligten Seiten im Jahresverlauf nicht doch wieder aufleben, gering. Gideon Rachmann, ein anerkannter Finanzjournalist hat deshalb (hoffentlich) unrecht, wenn er in der Financial Times schreibt: „unabhängig davon, welche Entscheidungen getroffen werden – sämtliche Varianten führen zum Chaos“.
Der Zusammenhang zwischen dem Griechenland-Risiko und dem Euro-USD-Kurs ist signifikant – zumindest seit 2014 wie der nachfolgende Chart beweist:
Zwar sind Korrelation und Kausalität zwei unterschiedliche Dinge, und die Entwicklung des Euro hängt zweifelsohne nicht nur von jener in Griechenland ab. Jedoch suggeriert der Chart einen massiven Einfluss. Seit Anfang 2014 beträgt der Korrelationskoeffizient minus 0,96.
Etwas überraschend stieg der Euro gegenüber dem US-Dollar im Juni von 1,093 auf 1,135, während der griechische Risikoindikator (GREEKRISK) um 11% zulegte. Es bleibt unklar worauf das zurückzuführen ist: Entweder setzen die Devisenhändler darauf, dass es keinen Grexit geben wird, oder – unabhängig von Griechenland – die nunmehr geringere Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung seitens der Fed vor Jahresende schwächt den US-Dollar.
Europäische Aktien: Opfer der Griechenland-Risiko
Seit April weisen europäische Aktien (am Beispiel des Euro-Stoxx-Aktienindex) eine massive Underperformance auf. Längerfristig ist dieser Zusammenhang allerdings weniger stark ausgeprägt. Manchmal ist sogar das Vorzeichen konträr zu dem, was man erwarten würde.
Für europäische Aktien begann die Underperformance im Jahr 2010, als dieersten Anzeichen der Griechenland-Krise auftraten. Als sich die Situation im zweiten Halbjahr 2012 stabilisierte, konnten europäische Aktien ihre Verluste zum Teil wieder wettmachen. Auch wenn sich die mit Griechenland-spezifischen Risiken 2013 verbesserten: europäische Aktien setzten aufgrund der sich aufbauenden Wachstumsdifferenz relativ zu den USA ihre Underperformance fort.
Besonders in Richtung Aktienmärkte in Zentral- und Osteuropa (CEE) wurden im Falle einer weiteren Verschlechterung der Situation, bzw. dem tatsächlichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, viele Warnungen ausgesprochen.
Auch wenn die direkten Beziehungen zwischen den osteuropäischen Volkswirtschaften und Griechenland schwach sind und sich hauptsächlich auf Bulgarien und Rumänien beschränken, so würde eine sich verschlechternde Investorenstimmung und fallende Risikoneigung die gesamte Region treffen. Dass die Warnungen nicht völlig grundlos sind, zeigt die folgende Graphik, in der die relative Performance von CEE-Aktienmärkten zu den europäischen Aktienmärkten (umgekehrte Skala) mit dem griechischen Risikoindikator in Relation gesetzt wird.
Insgesamt bleibt die Situation fragil, der Ausgang ist offen. Allerdings glauben wir nach wie vor daran, dass das Grexit-Szenario aus politischen Gründen vermieden wird. Zum einen ist der politische Wille, die EU und die Eurozone zusammenzuhalten, immens (und wird vor allem von US-amerikanischen Kommentatoren ständig unterschätzt); zudem wäre, rein wirtschaftlich betrachtet, der Austritt eines Mitglieds problematisch, da die Zweifel an der Dauerhaftigkeit der Eurozone steigen würden.
Zum anderen erfüllt der Gedanke, dass Griechenland sich in Russlands geopolitischen Orbit begeben könnte, europäische und vor allem US-amerikanische Diplomaten mit Schrecken. Es wird Zeit einzusehen, dass es „hier nicht um Zahlen, sondern um hohe Europapolitik geht“, wie Larry Summer neulich an den IWF gerichtet schrieb. Doch diese Aussage gilt auch für die anderen betroffenen Parteien.
Sicher ist eines: selbst wenn alle involvierten Seiten die richtige Route wählen, so wird die Fahrt dennoch lang und holprig bleiben.